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Bauen aus dem Geist

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Es wird keines dieser legendären Feste des Clemens Holzmeister mehr geben, an denen er, wie ein später, letzter Fürst, Hof gehalten hat. Zu denen er immer seine ganze große Familie, die nächsten Angehörigen, seine Freunde und seine Schüler geladen hat.

Diese Feste enthüllten so recht die ganze Breite des Wesens von Clemens Holzmeister. Seine Lebensfreude, seine Vitalität, seine mitreißende Ausstrahlung, aber auch seine Demut und besonders sein unbegrenztes Gottvertrauen.

Diese Gaben waren es auch, aus denen alle seine Werke entstanden sind, aus denen er seine unerschöpfliche Schaffenskraft bezogen hat.

1922 durch seinen Wettbewerbsentwurf des Krematoriums für den Wiener Zentralfriedhof wie ein Komet aufgetaucht, strahlte er bis zu seinem Tode. Er hat sich sein ganzes Leben nie darum gekümmert, ob seine Bauten „modern“ sind, hat einfach gebaut, wie er es für richtig befunden hat, wie er es für sich und vor sich verantworten konnte. Der internationalen Moderne hat er nicht einmal einen Blick gewidmet.

Was heute als die große Masche gilt, der Regionalismus, das Aufnehmen von regionalen und örtlichen Bautraditionen und Bauformen, das hat er immer schon praktiziert. „Nach dem Lande bauen“, hat er immer gesagt und gemeint, daß ein Bauwerk in Afrika anders aussehen müsse als ein Bau in Tirol. Somit war er moderner als alle jene, die jeder Strömung, jedem Ismus in der Architekturszene hinterherrennen. Holzmeisters Architektur steht wieder im Brennpunkt, ist wieder gefragt.

Vier Dinge haben sein Leben geprägt: Bauen, Lehren, Malen und das Theater, das letztlich wieder zum Bauen führt.

Der Baumeister:

Sein Werkverzeichnis allein ist schon unfaßlich. Es umfaßt weit über 650 Bauten und Projekte, und jeder Bau, jedes Projekt hat seine Handschrift in des Wortes wahrster Bedeutung: er hat jeden Entwurf selber gezeichnet.

„Wenn Holzmeister auch flicht zu den Pionieren des »modernen Bauens* in Österreich gezählt werden kann, wie Wagner, Loos, Hoffmann, Frank, Strnad und andere, so zählt er doch bereits in den zwanziger Jahren zu den bedeutendsten .Realisierern*, der es meisterhaft verstand, seine Ideen in einer ganz persönlichen Interpretation in Bauten umzusetzen. Seine damaligen Arbeiten lassen manchmal expressionistische Aspekte, manchmal solche der Neuen Sachlichkeit oder des dekorativen Stils der Wiener Werkstätten, manchmal auch Züge einer traditionsverpflichteten, ja heimatstilnahen Architektur stärker hervortreten, immer aber in einer qualitativ hochstehenden und höchst persönlichen Aufarbeitung“, schreibt Herbert Prader zum 90. Geburtstag Holzmeisters.

Bei Holzmeisters Bauten denkt man vor allem an drei Bereiche, die mit seinem Namen untrennbar verbunden sind. Das sind einmal die Kirchenbauten, die ihn weltberühmt gemacht haben, nämlich die

Pfarrkirche Maria Grün in Hamburg-Blankenese, 1929/1930, Pfarrkirche Mönchen-Glad- bach, 1928/30, Erweiterung der Pfarrkirche St. Anton am Arlberg, 1931/33, Dollfußkirche in Wien, 1932/34, St. Georg, Allerheiligenhöfe in Innsbruck, 1960/65,

Pfarrzentrum zur Hl. Familie, Wien Puchsbaumplatz, 1964/66, um nur einige wenige ausgeführte Kirchen zu nennen. Oder: die Kathedrale von Belo Horizonte 1939, mit ihrem theatralisch übersteigerten Erscheinungsbild. Oder das Projekt der Kathedrale in Rio de Janeiro, von dem er selber sagt: es sei der kühnste Plan, den ihm der Herr im Schlaf verliehen hat.

In diese Kategorie gehört auch der Cosmogral, ein Projekt, das alle Weltreligionen unter einem Dach beherbergt, das er 1975 entworfen hat, und dem sein ganzes Herz gehörte.

Seine Größe in der Architektur liegt unter anderem auch darin, daß die Menschen, und seien sie noch so ungebildet, keinerlei Probleme mit seinen Bauten haben. Er besaß die Gabe, direkt die Herzen der Menschen anzusprechen. In seinen Kirchen fühlt man sich geborgen, obwohl Gott hier nicht der „Haberer“, sondern bei aller Güte der Herr ist. Aber fast in jeder seiner Kirchen hat man den Eindruck, hier schaut Gott selber vom Himmel herunter.

Als zweites denkt man an seine Bauwerke in der Türkei, wo er ab 1931 viele Regierungsbauten für Kernai Atatürk errichtete und wo er auch die Jahre des Zweiten Weltkrieges verbrachte.

Das dritte, das untrennbar mit Holzmeisters Namen verbunden ist, ist Salzburg, und hier im ganz besonderen Maße der Festspielbezirk. Jedesmal, wenn ich nach Salzburg komme, ist mir der Tos- caninihof mit der Mönchsbergstiege immer wieder ein besonderes Erlebnis. Der Festspielbezirk ist durch den Umbau des Neuen Festspielhauses und durch den Umbau der Felsenreitschule, die endgültig wettersicher ist, fast fertig. Mit einer Ausnahme. Diese Ausnahme ist das Kleine Haus, das vollkommen fertig geplant ist. Es soll in einen Marktplatz verwandelt werden, der sich von der Bühne her aufbaut.

Hoffentlich wird dieser Entwurf als Krönung des Werkes von Clemens Holzmeister noch verwirklicht, als faszinierende Summe aus der Beschäftigung Holzmeisters mit dem Theater: •'„die Verschmelzung von Wirklichkeit und Spiel — Architektur als Inszenierung der Welt“, wie Friedrich Achleitner es formuliert.

Der Lehrer:

Seine Schüler sind Legion. Nahezu alle großen österreichischen Architekten der Gegenwart sind

Holzmeister-Schüler, viele davon sind selber Hochschullehrer, einige von ihnen sind weltberühmt geworden. Seine Bedeutung als Lehrer bestand darin, daß er es verstand, die verschiedenartigsten Talente zu wecken und eine Vergewaltigung der Eigenständigkeit seiner Schüler zu vermeiden.

Der Maler:

Holzmeister war ein begnadeter Zeichner und Maler. Unzählige Bleistift-, Feder- und Kohlezeichnungen geben davon Zeugnis. Seine innige Liebe aber gehörte dem Aquarell, das er mit besonderer Virtuosität beherrschte. Und gerade hier zeigte sich das Naturell Holzmeisters und seine Demut dem Werk gegenüber: Eines Tages bat Holzmeister den berühmten Kärntner Maler Anton Mahringer — meiner Ansicht nach einer der begnadetsten Aquarellisten —, ob er zu ihm kommen dürfe; er möge ihm Unterricht geben im Aquarellieren. Holzmeister, der selber schon unzählige hinreißende Aquarelle gemalt hatte, stand nicht an, in Mahringer den Meister zu sehen, von dem er, der auch ein Meister war, noch lernen konnte.

Der Theatermensch:

Begonnen mit der Fauststadt, hat Holzmeister viele Bühnenbilder entworfen. Schon von Kind auf, wahrscheinlich durch den künstlerischen Vater, war ihm das Lebensgefühl des Theaters in Fleisch und Blut übergegangen. Für ihn war das ganze Leben ein ständiges Spiel, Theater: Trauer und Freude, Lust und Leid, Arbeit und Feste.

Der Autor ist Architekt und Präsident des österreichischen Kulturgesprächs.

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