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Drei große Meister

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NACHDEM DER MODERNEN ARCHITEKTUR DIE PIONIERE DES 19. JAHRHUNDERTS die Wege geebnet hatten, gelingt ihr nach dem ersten Weltkrieg der entscheidende, endgültige Durchbruch. Die Vertreter ihrer verschiedenen Richtungen, wie Funktionalismus, Rationalismus und Konstruktivismus werden Vorbilder für das moderne Bauen in ganz Europa und später auch in Amerika.

Als Mitarbeiter im Büro Behrens wird Walter Gropius, geboren 1883 in Berlin, mit den Elementen der modernen Architektur vertraut, distanziert sich aber bald von der Monumentalität. 1911 errichtet er die Fagus-Werke in Alfeld und begründet damit seinen Ruf. Neuartig ist die Formidee, die nichttragende Funktion der Außenwand zwischen den Pfeilern dadurch ästhetisch zu verdeutlichen, daß sie als dünne, vorgesetzte Haut aus einem Stahlwandfachwerk ausgebildet wird. Eine Entdeckung, die als „Curtain-wall“ (Vorhangwand) heute zu einem wichtigen Gestaltungselement im Hochhausbau geworden ist. Sein 1922 entworfenes Bürogebäude für die „Chikago Tribüne“ zeigt die Konstruktion als sichtbares Formelement wie bei Perret, die Tragkonstruktion liegt in der Wandebene, Stützen und Balken bilden ein rechtwinkeliges Gitter — ein reiner Stahlbetonskelettbau, der bis heute beispielgebend ist. Die sichtbar gelassene Konstruktion wird zum Ausgangspunkt einer neuen Gestaltung. 1919 wird Gropius Nachfolger van de Veldes an der Kunstschule in Weimar, dem späteren Bauhaus. Das Ziel dieser Vereinigung liegt in der Verwirklichung einer modernen Architektur, die gleich der menschlichen Natur das ganze Leben umfaßt. Die Trennung zwischen der bildenden Kunst und der Architektur und Technik soll aufgehoben werden. Gropius ruft bedeutende Maler, wie Feininger, Kandinsky, Klee, Schlemmer und Moholy-Nagy ans Bauhaus. 1925 übersiedelt das Bauhaus nach Dessau. Hier hat Gropius die Möglichkeit, beim Bau des Schulgeb^udcs,,^ der Lehrerwohnüngen sein architektonisches' Konzept zu verwirklichen. Die Mittel, die er dabei verwendet, sind: Einheitlichkeit der Formensprache und Differenzierung der Baumassen nach ihrer Funktion. Gerade diese Differenzierung wieder führt zu einer Formbelebung, die bis heute in den verschiedensten Werken zum Ausdruck kommt. Die Bedeutung des Bauhauses lag nicht in einem klaren Programm, sondern in seiner „Idee“, der Idee der Vereinigung von Kunst und Technik als Grundlage einer modernen Gestaltung. Die schwere Aufgabe bestand nun darin, die verschiedenen Richtungen zu koordinieren. Gropius fühlte, „daß das Wohl der Baukunst auf wohlabgestimmter Arbeit einer Gruppe von Mitarbeitern beruht“. Damit ist der Gedanke der Teamarbeit geboren, die er 1945 in seinem „The Architects Colloborative“ verwirklicht. 1928 tritt Gropius als Direktor zurück und bleibt bis zu seiner Emigration nach England in Berlin selbständig tätig. 1937 erhält er seine Berufung an die Harvard-Universität. Die amerikanische Architektur stand noch immer unter dem Einfluß des Eklektizismus, der die Schule von Chikago abgelöst hatte Zu gleicher Zeit kommt Mies van der Rohe an das Illinois Institute of Technology in Chikago. Dies wirkt so befruchtend, daß erst von diesem Zeitpunkt an von einer Breitenwirkung des modernen Bauens gesprochen werden kann. Gropius' pädagogisches Werk ist in seiner Wirkung noch nicht abzuschätzen, er will nicht Ergebnisse überliefern, die übernommen werden können, er will eine Methode des Denkens lehren.

SEIN GROSSER GEGENPOL, LE CORBUSIER, geboren 1867 in La Chaux-de-Fonds, Schweiz, ist zugleich Maler und Bildhauer und strebt deshalb ebenfalls eine Vereinigung der Künste an. Anfangs vollkommen isoliert, wird er durch seine Schriften und scharfen Formulierungen bekannt. 1908 bis 1909 lemt er bei Perret alle Möglichkeiten des Stahlbetonbaus kennen. Stahlbeton wird auch das Material, mit dem er seine eigenen Formvorstellungen verwirklicht. Seine Ästhetik ist durch fünf von ihm formulierte Prinzipien gekennzeichnet:

1. Tragkonstruktion und faumbegrenzende Wände werden getrennt, freistehende Stützen heben das erste Geschoß vom Boden ab, die Grünzone wird unter dem Baukörper weitergeführt,der Baukörper selbst ist ein geschlossener Kubus zum Unterschied von Wright und Mies van der Rohe.

2. Der Vorstellung des Hauses als Würfel entspricht das Flachdach, die konstruktiven Vorbedingungen sind gegeben, das Flachdach wird in eine Dachterrasse verwandelt.

3. Die Skelettkonstruktion erlaubt eine freie Grundrißgestaltung; die Anordnung der Wände wird ausschließlich von der Raumfunktion bestimmt.

4. Die freie Gestaltung der Außenseite — die tragenden Stützen sind innen — erlaubt ein durchgehendes Fensterband.

5. Das horizontale Fensterband dient der Einheit des äußeren Erscheinungsbildes und ist ein logischer Ausdruck der Konstruktion.

Immer wieder setzt sich Le Corbusier mit den Grundlagen einer neuen Wohnuhgsform auseinander. Die Befriedigung von Bedürfnissen, also die Erfüllung der Zwecke, ist im Wohnhaus von 1927 in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung erreicht. Seine städtebauliche Idee ist die, die Flächenbebauung aufzulösen und durch große Wohneinheiten, die sich in die Höhe erstrecken und in großen Grünflächen stehen, zu ersetzen.

Die volle Realisierung wird erreicht in der Unite d'Habitation, Marseille 1947 bis 1952. Die Abmessungen des Gebäudes hat Le Corbtisier auf Grund des von ihm entwickelten Modulor festgelegt, der eine Proportionsreihe darstellt, die in Beziehung zu den Maßen des menschlichen Körpers steht. In seinen letzten Entwürfen verr läßt Le Corbusier die rechtwinkelig-geometrische Grundauffassung und findet zu einer betont plastischen Gestaltung. Diese Tendenz läßt sich schon früher in seinen Dachaufbauten und in der Gestaltung der Innenwände erkennen. Die Plastik der späteren Bauten steht nicht mehr in direkter Beziehung zur Konstruktion, sondern entspricht einem reinen Formempfinden und findet ihren Höhepunkt in der Wallfahrtskirche Ronchamp 1950 bis 1953.

Im Funktionalismus wird dem Grundriß besonderes Augenmerk zugewandt, auf seine Auf-. lockerung und Variabilität wird größter Wert gelegt, das Haus löst sich vom Boden, durch das Glas dringen Sonne, Licht und Luft und das Bild der Landschaft in die Räume, der Garten setzt sich unter dem Haus und auf dem flachen Dach fort. Durch das Verlegen der Stützen nach außen tritt eine völlige Freizügigkeit in der Unterteilung ein. Curtain-wall, Fensterband, sichtbares und spürbares Konstruktionsgerüst sind die neuen Merkmale.

MIES VAN DER ROHE, geboren 1886 in Aachen, ist anfangs beeinflußt von Behrens' Neoklassizismus. 1919 macht er interessante Studien über gewellte, scharfkantige und gebrochene Glasflächen an hohen Gebäuden, 1922 über ein Bürohaus in Stahlbeton mit nach innen genommenen Stützen: Bei einem Wechsel von Brüstung und Fensterbändern dominiert die Horizontale, eine neue Form, die später immer wieder verwendet wird. Bei der dritten Studie, dem Wohnhaus 1923, ging es Mies van der Rohe um die Formulierung einer neuen Raumkonzeption: Die Wand wird selbständig, greift über die Grenzen des Innenraums hinaus, verbindet den Innenraum mit dem Freiraum. Mies van der Rohes deutscher Pavillon auf der Internationalen Ausstellung in Barcelona 1929 demonstriert am reinsten dieses Prinzip, das er 1930 in seinem Haus Tugendhat in Brünn auch für das Wohnhaus anwendet. 1938 wird er an das Illinois Institute of Technology in Chikago berufen, wo er als Krönung seines Lebenswerkes die Gebäude dieses Instituts schafft. Mies van der Rohe versucht bei dieser Anlage mit äußerster Disziplin, die Einheit von Fläche, Raum und Körper durch ein einheitliches Maßsystem auszudrücken. Die Kapelle des Instituts, 1952 erbaut, ein stützenfreier „Einraum“, ist ein edles Beispiel moderner Baukunst. Weitere Einräume der letzten Jahre sind das Mannheimer Theater und der Bau der Architekturabteilung des Instituts of Technology. Das Haus Farnworth 1950 ist in seiner allseitigen Offenheit eine Demonstration einer architektonischen Idee und ein Beispiel des fließenden Raumes.

Die Strahlungskraft der Ideen von Mies van der Rohe, das Unbedingte seiner Fojmensprache haben großen Einfluß auf die heutige Architektur ausgeübt. Er verkörpert mit seiner Strenge (Stahl) den größten Gegensatz zu den Bauten von Nervi und Candela (Stahlbeton).

STRUKTURELLE ARCHITEKTUR. Den größten Veränderungen in Gestalt und Konstruktion sind heute die Hallenbauten ausgesetzt. Das Verhältnis von Pfeiler und Balken wird abgelöst von stützenfreien Hallen unserer Zeit, die ein vollkommen neues Raumgefühl andeuten. Von der Pariser Maschinenhalle 1889 (in Stahl) über die Jahrhunderthalle in Breslau (in Stahlbeton) 1913 bis zu den räumlichen Tragwerken in Stahl und der Schale und dem Faltwerk aus Stahlbeton ist ein weiter Weg. Die erste wirklich sachliche Formgebung findet sich bei der 1916 in Orly bei Paris errichteten Luftschiffhalle von Eugene Freyssinet. Hier wurde das erste Faltwerk verwirklicht. 1922 konstruiert Walter Bauers-f e 1 d. eine Kuppel aus einem Netzwerk aus kurzen Stäben, diese Gitter überspritzt er mit einer Schicht von drei Zentimeter Beton, der noch keinerlei statische Funktion besaß: die gekrümmte Schale war geschaffen, eine Theorie wurde entwickelt, wobei die Tragwirkung sowohl dem Beton als auch der Armierung zugewiesen wurde. Mit acht Zentimeter Schalenstärke überbrückt man 60 Meter. Felix Candela, geboren 1910 in Spanien, jetzt in Mexiko lebend, entwickelt aus dieser Konstruktionsmöglichkeit eine eigenwillige Formensprache. Bei Candela ist die Schale eine homogene Membrane. Beispiele sind sein Strahjenlaboratorium der Universität Mexico City und die Kirche Santa Maria Miracu-losa in Mexico City, eine dreischiffige Kirche über rechteckigem Grundriß, mit angeschlossenen Andachtskapellen. Die Stahlbetondächer sind nicht stärker als vier Zentimeter. Ein ähnlicher Versuch in dieser Konsrruktionsform ist

Entwurf für eine Wallfahrtskirche in Syrakus von Enrico Castiglioni: Eine steile Kuppel setzt

;JÜ#'#irf drei “Punkten ab, die als frei im Raum stehende Stützen ausgebildet sind. Wie Candela entwickelt Luigi Nervi, geboren 1891 in Italien, aus Stahlbeton eine eigenwillige Formensprache. Wie bei Candela die Schale, so ist bei Nervi das vorfabrizierte Element von Bedeutung. Der Wandel der Konstruktionsmethoden läßt sich von seinem Stadion in Florenz, 1930, bis zu seiner Ausstellungshalle in Turin, 1948, verfolgen: Von den klassisch gewordenen Elementen des Stahlbetons, der Platte und dem Balken, bis zur tonnengewölbten Halle aus Fertigteilen aus Stahlbeton mit einer Maximalstärke von fünf Zentimeter und einer Spannweite von 75 Meter. Auf Walter Bauerfelds Idee deT kurzen Metallstäbe aufbauend, ursprünglich nur eine Etappe auf dem Weg zur Schalenkonstruktion, werden sie in den Bauten von Polyedern von Buck-minster Füller (an Stelle von Beton kommt eine Haut aus Plastik) oder dem Raumtragwerk als flache Scheibe, von wenigen Stützen getragen, von Konrad Wachsmann, geboren 1901 in Frankfurt an der Oder, verwirklicht. Wachsmann ist ein Schüler von Poelzig und Mitarbeiter von Gropius. Bei ihm ergibt das räumliche Tragwerk aus kurzen Stäben, die bündeiförmig in sinnvoll konstruierten Knoten zusammengefaßt werden, ein architektonisches Gebilde von ganz neuem ästhetischem Reiz. Das Bauwerk entwickelt sich indirekt, durch die Multiplikation von Zelle und Element. Wachsmann vertritt einen konstruktiven Strukturalismus.

Alle diese vielfältigen Gestaltungsformen verfolgen das gemeinsame Ziel der Architektur, nämlich die Gemeinschaft zu gestalten. In ihnen wird ein im weitesten Sinn sozialer Impuls, eine Entscheidung für Offenheit und Freiheit spürbar, die sich ebenso in der Öffnung des Hauses zur Umwelt hin auswirkt wie im Auflösen der schweren, stabilen Wand und im allseitig um-schreitbaren Baukörper. Hinter der modernen Architektur steht ein Menschenbild, wenn nicht als Wirklichkeit,,so doch als Hoffnung.

Literatur: S. Giedion: Space Time and Archi-tecture. 1956. — Jürgen ]oedicke: Geschichte der modernen Architektur. 1958. — Karl Raimund Lorenz: Querschnitt durch die internationale Architektur der Gegenwart. 1952. — Eduard F. Sekler: Prinzipielles zur Architektur der Gegenwart. Hochland, Februar 1958.

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