Richter_Kinkplatz - © Mischa Erben

Leuchtturm am Prüfstand

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Ein Meisterwerk zeitgenössischer österreichischer Architektur steht derzeit leer: Die Doppelhauptschule von Helmut Richter am Kinkplatz in Penzing. Wie soll man mit Bausubstanz aus dieser Zeit umgehen?

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Ein Meisterwerk zeitgenössischer österreichischer Architektur steht derzeit leer: Die Doppelhauptschule von Helmut Richter am Kinkplatz in Penzing. Wie soll man mit Bausubstanz aus dieser Zeit umgehen?

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Sie war das ambitionierteste Leuchtturmprojekt des „Schulbauprogramms 2000“ der Ägide Hannes Swoboda: die Doppelhauptschule von Architekt Helmut Richter am Kinkplatz in Wien-Penzing, ein rares Stück Hightech-Architektur der 1990er. „Ich wollte eine Schule machen, bei der nicht gleich das Unangenehme, das bei Schulen immer so auffällt, sich bemerkbar macht“, so Helmut Richter. Diese Schule war von Anfang an und gleichermaßen programmatisch anders: Sie war hell, transparent, bunt, zartgliedrig und von ihrer Anlage her flexibel. Das heißt: Auch der Klassentrakt ist konstruktiv ein Leichtbau, die Zwischentrennwände hätten bei Bedarf entfernt und Räume zusammengelegt werden können. Diese pädagogisch interessante Option, mit Raum umzugehen, aber blieb – wie so viele andere Potenziale des Gebäudes – ungenutzt.

Richter war Professor für Hochbau an der TU Wien, seine Berufung brachte deutlich frischen Wind: Er richtete den Blick nach Frankreich und Großbritannien, weg vom traditionsreichen, eher behäbigen Wienerberger Ziegel hin zum wesentlich leichteren, flexibleren und moderneren Glas und Stahl. Er animierte Studierende, neue, zeitgemäße, wenn nicht sogar wegweisend avantgardistische Technologien auszuprobieren und zukunftsorientiert zu denken. Seine Schule am Kinkplatz war weit mehr als eine Schule, sie war ein Manifest für eine neue, offene und transparente Lebens-, Bau- und Denkweise. Dabei war das markante, komplexe, hoch elegante, filigran konstruierte Gebilde aus Glas und Stahl in puncto Architektur und Grundrissorganisation sogar angenehm übersichtlich und pragmatisch: Es bestand im Prinzip aus einer ost-west-orientierten Haupterschließungsachse, die über eine Zugbrücke im Westen zugänglich war. Hier waren dem mehrgeschossigen Laubengang im Süden einerseits eine luftige, helle, rundum verglaste Aula mit Pultdach und ein riesiger, in den Hang abgesenkter Mehrfach-Turnsaal vorgelagert. Beide waren aus Glas und Stahl konstruiert, der Kräfteverlauf an der elaborierten Konstruktion ablesbar. Wie Libellenflügel neigten sich die schrägen Glasflächen über die großen Räume von Aula und Turnsaal. Im Norden spreizten sich drei durchwegs von Osten und Westen belichtete Trakte mit Klassen-, Lehrer- und Sonderunterrichtsräumen von der Erschließungsachse ab: Ihnen sind allesamt große, breite, helle Gänge, die sich wunderbar als Bewegungszonen eignen, vorgelagert. Alle Klassen sind ausgewogen proportioniert und über ein Oberlicht am Gang indirekt auch von einer zweiten Seite belichtet.

Höchster Anspruch

Die Doppelhauptschule ist Richters einziger öffentlicher Bau: Sein ganzer Ehrgeiz floss in die Optimierung der Planung. So wurden die Profile der Träger noch bis zur Abnahme im Werk vom Querschnitt her reduziert. Die Geschichte dieser Schule ist auch eine von Leidenschaft, Perfektionismus und Kompromisslosigkeit. Ursprünglich wollte Richter die riesige, nach Süden orientierte, geneigte Glasfläche mit Photovoltaikpaneelen belegen und zur Energie­erzeugung nutzen. Diese Idee aber fiel wie viele andere geplante Maßnahmen – unter anderem die Nachtkühlung durch das Öffnen von Lüftungsklappen – entweder Einsparungen oder der Trägheit eines Systems zum Opfer, das auch in puncto Instandhaltung und Wartung von der Norm ausgeht. Diese Schule aber hatte sich nicht an der Norm orientiert.

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