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Städteplanung und Baukultur in Warschau, Bratislava, Bukarest, Zagreb und Prag.

Goldgräberstimmung herrschte nach Fall des eisernen Vorhangs im ehemaligen Ostblock: um wenig Geld bauten West-Konzerne Büros und Shopping-Malls. "Coca City" nannte Ewa Przestaszewska-Porebska, Chefredakteurin der polnischen "Architektura" ihren Vortrag beim zehnten Wiener Architekturkongress zum Thema "next europe. das nächste Europa". Warschau entwickelte sich rasant, in den letzten fünf Jahren flossen über fünf Milliarden Dollar in Investorenarchitektur aller eklektizistischen Stile. Parallel dazu feierte sich die junge Demokratie mit repräsentativen öffentlichen Bauten. In Warschau gibt es fast eine Million Quadratmeter neuer Verkaufsfläche, zweieinhalb mal so viel wie im etwa gleich großen Wien. Stadtentwicklungspläne wurden nie umgesetzt. "Die schnelle Ökonomie wuchs, verrückte bunte Einkaufswelten und das Geschäft mit Einfamilienhäusern, die wie Burgen oder Schlösser aussehen, boomte," so Przestaszewska-Porebska. "In den 90ern war Architektur kein Thema." Warschaus Hauptplatz ist ein riesiger Markt. Vor allem werden Häuser im alten Stil stark nachgefragt und gebaut. Vereinzelte polnische Ateliers haben schon eine zeitgenössische Architektursprache gefunden: das Verwaltungsgebäude der Fluggesellschaft LOT von Stefan Kurylowicz ist hochelegant. In Krakau steht das einzige neue Museum in Polen seit 1990. Arata Isozaki plante es mit einem polnischen Partner, es ist der einzige Bau eines internationalen Architekten. Frank Gherys Entwurf für ein Museum moderner Kunst in Warschau wurde abgelehnt: es gäbe genug gute polnische Architekten. Seit vier Jahren stagniert der Wohnungsmarkt, dem virulenten Problem renovierbedürftiger sozialistischer Wohnblocks sieht niemand ins Auge.

Das thematisiert auch Architekt Stefan Slachta aus Bratislava. Die Siedlung Petrzalka, eine enorme Anhäufung kommunistischer Plattenbauten, ist mit über 150.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt der Slowakei. Hier gibt es über 50 Prozent Scheidungsrate, Drogenkonsum, Jugendkriminalität und andere soziale Probleme. "Gutgemeinter Rat aus dem Westen, diese Bauten in die Luft zu sprengen, hilft uns nicht", so Slachta. Er wohnt selbst am Rande von Petrzalka, ist aber dort durchaus zufrieden. Differenzierte Betrachtung tut Not: Je nach Bauzeit weisen die Platten verschiedene Qualität auf. "Die Übermacht der Supermärkte verschlimmert die Situation der Schlafstädte. Bisher befassten sich nur Architekten damit. Das ist falsch. Wir müssen mit Ökonomen, Philosophen und anderen Disziplinen Lösungen suchen", so Slachta. Er wünscht sich bilaterale Zusammenarbeit mit betroffenen Staaten.

Vom Diktator zum Investor

"In den 90ern gab es zwei Tendenzen: den Blick auf das Erbe der Moderne und die Suche nach neuer Regionalität und Nationalismus. Dann wurde die Postmoderne entdeckt," so Architekturtheoretikerin Henrieta Moravcikova. Mit Öffnung und Entdeckung der Demokratie kam es zum Sakralbauboom: über 300 Kirchen wurden realisiert. Nun beginnen junge slowakische Architekten, auf die Komplexität der Gesellschaft zu reagieren: mit sozialem Wohnbau. Die Slowakei hat viel erreicht: die Erneuerung historischer Stadtkerne wird vorangetrieben, die Architektenkammer ist zehn Jahre alt, es gibt drei Architekturzeitschriften, die Weichen zum EU-Beitritt werden gestellt. Die Macht der Investoren ist aber auch in Bratislawa nicht zu unterschätzen: jahrelang diskutierte man über die Zukunft des prominenten Bauplatzes am Donauufer unter der Burg. Den Wettbewerb schrieben private Investoren aus: Wohnbauten mit Mischnutzung und Uferpromenade.

Hochinteressant ist der Einblick nach Rumänien, den Architektin Anamaria Zahariade aus Bukarest vom IAIM (Institutul de Arhitectura "Ion Muncu") gibt. Etwa 5.000 Architekten arbeiten dort in 500 Ateliers, jedes Jahr werden 300 fertig, Zeitschriften erscheinen, das Thema Architektur kommt in der Tagespresse vor, Städtebau gewinnt an Bedeutung. "Diese Fakten werden von Geld, Personen, Institutionen gemacht. Sie wirken gut, aber beschreiben sie die Alltagsrealität in Rumänien?" Zahariade zeichnet ein differenzierteres, lebendigeres Bild. "Früher stand der Architekt dort, wo der Diktator ihn hinstellte. Heute ist er, wo der allmächtige Investor ihn haben will." Sie weist auf das völlige Fehlen öffentlicher Subventionen hin. Nur wenigen Büros gelingt es, dem Druck der Geldgeber oder der Kirche standzuhalten, die viele Sakralbauten errichtet. Mitten auf dem Ceaucescu Boulevard in Bukarest boxten die Orthodoxen einen prominenten Bauplatz durch. Den Wettbewerb gewann eine moderne, elegante Kirche mit flach geneigtem Pultdach. Gebaut wird die Rekonstruktion eines alten Typs mit Zwiebeltürmen. "Die orthodoxe Kirche will grandiose Bauten im Stil des 19. Jahrhunderts. Viele Pfarren sind finanziell völlig überfordert", so Zahariade. Als Bauherren treten sonst vor allem Neureiche auf, die Kitschvillen wollen. "Architekten, die sich da durchsetzen, brauchen einen heroischen Willen und müssen eigene Strategien entwickeln." Der Markt diktiert, was gebaut wird. Ausnahmen gibt es: so baute das westford.studio die alte Kantine der Eisenbahngesellschaft um. Andere stellen sich auf Seite der Armen und schaffen mit Minibudget Bauten mit Hippie-Ästhetik. In Bukarest und Temesvár agieren Kreative im Untergrund: Möbelunikate werden designt, weil das Geld fehlt, sie industriell zu produzieren. Kleine Eingriffe schaffen Spielplätze, Bars und ähnliches. Das Subversive hat hier Tradition: die Hälfte aller Bauten ist illegal von Zigeunern errichtet. Jenseits offizieller Stadtplanung findet hier Leben statt.

Neuer Blick auf den Balkan

Mit der Wirklichkeit Kroatiens zwischen nationaler Weltflucht, Krieg und Balkan-Mysterium beschäftigt sich Vedran Mimica vom Berlage Institut in Rotterdam. "Wir müssen uns dem globalen Chaos stellen. Der einzige Weg sind starke transnationale Strategien." Mimica fordert einen differenzierteren Blick Europas auf den Balkan ein und ortet in ihm als prototypischen Schauplatz des Chaos zukünftiges Hoffnungspotential. "Wie können wir mit minimalen Mitteln den maximalen Effekt erzielen?" lautet seine Fragestellung angesichts der kroatischen Realität. Mimica arbeitet nicht mit offiziellen Institutionen zusammen, sondern mit Architekturstudenten aus verschiedenen Ländern. "Masterpläne helfen nichts. Wir realisieren Dinge, die unmittelbare Auswirkungen haben und nicht völlig utopisch sind." Gemeinsam werden kleine Interventionen gesetzt, die etwas verändern. So wurde beispielsweise das desolate Dach eines verfallenen Hauses repariert, in dem ein Ex-Flieger mit zwei Eseln lebte, ein ehemaliges kulturelles Zentrum von Soldaten renoviert oder als längst vergessener Platz eine verlassene Militärbasis zur kulturellen Nutzung reaktiviert.

"Amerikanismus"

"Wir haben an westliche Standards aufgeschlossen. Das Durchschnittsniveau tschechischer Architektur ist stark gestiegen," meint Irena Fialova, Architektin und Herausgeberin der "Zlaty rez" aus Prag. "Alle Ziele, die wir uns steckten, sind erreicht. Nachdenklich stimmt mich das Fehlen von Experimenten." Wie ein Komet schlug Frank Gherys tanzender Büroneubau "Fred&Ginger" in die Baulücke in der Prager Altstadt am Moldauufer ein. Die Debatten darum verliefen kontroversiell und heftig, tschechische Architekten sahen sich vom Amerikanismus überrollt. Erst als der Bau einen internationalen Preis erhielt, verstummte die Kritik. " Hier brach ein kultureller Konflikt zwischen tschechischer und westlicher Sichtweise auf," so Fialova, die Gherys Bau für "innovative Architektur der Spitzenklasse" hält.

Anknüpfend an die Tradition der tschechischen Moderne entstanden vermehrt Bauten, die auch international auf Anerkennung stießen. "Ich habe großes Vertrauen in unsere Mentalität. Wir finden einen Weg, Architektur auch gegen Investoreninteressen durchzusetzen - selbst, wenn es nicht immer leicht ist," so Fialova. Sie sieht das massive Auftreten riesiger Einkaufszentren und Multplex-Kinos in der Altstadt nicht so negativ wie Kollegen aus anderen süd-osteuropäischen Ländern. "Im Prager Zentrum liegen zwei Riesenkinos gegenüber, die jungen Leute verbringen dort ihre Zeit - das ist besser, als wenn sie in Suburbia herumlungerten." Eines davon plante das D3A spol.s.r.o. Studio um Architekt Stanislav Fiala: wie ein großes, heubedecktes Tier liegt es da, eine Fußgängerbrücke führt auf den Dachgarten. In diesen luftigen Höhen ist das allgemeine Architektur-Niveau in den Mittelosteuropa mittlerweile angelangt. Von dort blickt man mit Zuversicht in Richtung EU. Der technologische Rückschritt und die Minderwertigkeitskomplexe sind langsam überwunden, den Rest muss eine Städtebau- und Raumordnungspolitik besorgen.

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