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Zweifelhafter Denkmalschutz

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den Gleisen liegen, sondern nahe daran, und so die zirkulierenden Fahrgäste von den Waggons ab-, statt zu ihnen hindrängen.

Die Streckenführung hängt mit dem Gelände und den notwendigen Kurvenradien zusammen. Ihre Eleganz und eigentümliche Spannung gewinnt besonders die Gürtellinie jedoch aus ihrer baulichen Gestaltung.

Die Viadukte setzen sich auf die einfachste Weise aus Bogengewölben von Ziegelmauerwerk zusammen. Daß dieses, hier ohne historischen Stilanklang — noch vor Berlages Börsengebäude in Amsterdam — verwendet wird, ist bemerkenswert, weil Wagners Projekt sich gegen ein zinnenbewehrtes gotisches Ungetüm durchsetzten mußte. Die Gewölbe wurden vermietet und die Außenwände konnten ganz verglast werden.

Die oben erscheinenden Pfeiler, die zugleich die Kamine führen, und das

Schutzgeländer erhalten dem Fahrgast das Bewußtsein, auf einem Gebäude zu fahren. Anderseits geben ihm die weithin sichtbaren Stationen ein Gefühl für die Länge der Strecken. Schließlich entspricht die Linienführung — zumindest nach den ursprünglichen Plänen Wagners — der geometrischen Struktur der Stadt.

So vermittelt das Bauwerk aufs anschaulichste einen Begriff von der Ausdehnung der Stadt, indem es vom Detail des sorgfältig gemauerten Zie-

gels über das Gewölbe zu den Raum-kurven der Strecke und schließlich zur Geometrie des Stadtplans führt, die Maßstäbe des Hochbaues, Eisenbahnbaues und Städtebaues miteinander verbindend. Eine besondere Rolle in dieser Maßordnung spielt das Schutzgeländer mit dem Sonnenmotiv, das durch Wegnehmen und Hinzufügen von Stäben jedem Zwischenraum angepaßt werden kann und das eine optische Maßeinheit von etwa einem Meter bestimmt.

tinjge Stationsgebäude stehen unter Denkmalschutz. Das bedeutet, daß ihr Baubestand nicht angetastet weiden darf. Nun kann eine Einrichtung, die zur Erhaltung eines Schlosses, einer Kirche durchaus sinnvoll ist, bei einem technischen Bauwerk unseres Jahrhunderts geradezu das Gegenteil er-

reichen. Die strikte Handhabung der Paragraphen kann einerseits bewirken, daß ein geschütztes Stationsgebäude funktionsuntüchtig wird, weil wichtige Verbesserungen nicht vorgenommen werden; anderseits kann bei einem nicht geschützen die Verbreiterung eines Stiegenaufgangs zum Anlaß genommen werden, das ganze Gebäude abzureißen, wie es in Hietzing geschehen ist. In entscheidenden Fällen ist der Denkmalschutz ohnehin nicht zu halten, wie der Fall Karlsplatz beweist.

Es ist im Vorhergehenden eben versucht worden, zu zeigen, daß die Stadtbahn ein Bauwerk ist, das mit den Begriffen einer historisierenden Kunstwissenschaft, die sich an wertvollen Einzelgebäuden oder allenfalls an „Ortsbildern“ orientiert, überhaupt nicht zu fassen ist. Hier zeigt sich mehr noch als anderswo, daß das Denkmalamt eigentlich nur von den besten Architekten ausgeübt werden kann.

Solange sich die Behörden untereinander jede einzelne Lösung ausmachen, ist das Werk Otto Wagners in Gefahr. Nur ein Architekt, der die Konzeption Wagners verstanden hat und zu würdigen weiß, wird die notwendigen Änderungen vornehmen können, ohne das Bauwerk schlechter zu machen.

Zum mindesten kann gefordert werden, daß man sich auf das rein verstandesmäßige Niveau dieses Bauwerks begibt, das heißt, sich einer Ordnung und Zurückhaltung in den Materialien befleißigt, eine verständliche Ordnung der Verkehrswege beibehält oder neu schafft, gleichartige Probleme auch gleich löst und sorgfältig restauriert, wo Altbestand erhalten bleibt. Nichts von alldem ist bei den bisherigen Umbauten geleistet worden.

Die Stadtbahn ist ein Bauwerk des „Jugendstils“. Wir haben nicht allzu-viele Zeugnisse von Gewicht aus dieser Periode: die übrigen Bauten Wagners, vor allem die Kirche am Steinhof und die Postsparkasse, Joseph Olbrichs Secession, zwei Häuser von Max Fabiani (in der Ungargasse und am Kohlmarkt) und die Bauten Friedrich Ohmanns im Burggarten und im Stadtpark. Die Stadtbahn überragt jedoch alle diese Bauten an Bedeutung, weil hier der neue „Stil“ auch eine neue technische Aufgabe bewältigt, \md

weil nicht nur ein Einzelgebäude, sondern die ganze Stadt gestaltet wird.

Gerade die Stadtbahn ist aber in Gefahr, die Wertschätzung der Allgemeinheit nicht mehr zu erleben. Noch ein Jahrzehnt — dann wird die gesamte öffentliche Meinung hinter diesen Bauten stehen, wie sie nach 1945 hinter denen der Ringstraße stand. Dann wird die Stadtbahn geschätzt werden als das. was sie. ist.-neben der Ringstraße die bedeutendste städtebauliebe Leistung Wiens.

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