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Fast ein Anschlag
AN DIE SPITZE EINER Initiative des „Referats für Stadtbild- und Denkmalpflege“ der Magistratsabteilung 7 (Kulturförderung) stellte sich Kulturstadträtin Gertrude Sandner anläßlich des 1968 bevorstehenden 50. Todestages von Otto Wagner; es gelte „die Erhaltung eines seiner bedeutendsten Werke zu diskutieren“, nämlich der Wiener Stadtbahn. Können wir zufrieden sein?
Zunächst ist der Text, den das genannte Referat der Presse vorlegte, keineswegs auf der Höhe der zeitgenössischen Wagner-Interpretation. Das kann verheerende Folgen haben; denn wer Wagners Verdienst vor allem im schrittweisen Verzicht auf „Dekoration“ sieht, wird deren getreue Wiederherstellung als sentimentale Fleißaufgabe empfinden, die nur an wenigen Schauobjekten angebracht ist — für den Rest wird er sich berechtigt fühlen, Wagner „in seinem eigenen Sinne“ zu verbessern und sein Werk „vereinfachend“ zu behandeln. Wer schließlich nicht die Gesamtkonzeption der Stadtbahn, die gleichzeitig eine Gesamtkonzeption der Stadt Wien ist, erfaßt, wird an den einzelnen Stationsgebäuden hängen bleiben und an der „Erhaltung von Beispielen“ Genüge finden.
TATSÄCHLICH WIRD IN DIESEM VORSTOSS der Denkmalpfleger die Rettung nur eines einzigen strittigen Objektes versprochen (Karlsplatz), das zudem keine plane-rischen Schwierigkeiten bietet, im gleichen Atemzug werden aber mindestens acht Objekte ausdrücklich preisgegeben, bei deren Mehrzahl noch niemand an eine Gefahr dachte. Es handelt sich dabei um die Wientallinie, die kurzerhand „geopfert werden sollte“, also um die Stationen Hütteldorf-Hacking, Ober-St. Veit (beides Unikate), Meidling-Haup-straße (die ja schon länger bedroht ist), Pilgramgasse, Kettenbrückengasse; ferner um den Bereich des „Gaudenzdorfer Knotens“, dessen Planern die Stationen Margaretengürtel und Gumpendorferstraße, vor allem aber die großartige Brückenanlage über die „Wienzeile“ ungefragt „geschenkt“ werden. (Daß die Straßenverkehrsplaner unter Umständen großzügiger sein können, beweist die vorbildliche Einbindung der Straßenrampen in die Stadtbahnbogen bei der Gürtelbrücke.) Erhalten bleiben sollen der Hofpavillon bei Hietzing, Schönbrunn und Stadtpark — Gebäude, die keinen oder nur schwachen Verkehr aufzunehmen haben —, ferner die Anlagen
der Gürtellinie, wobei aber die Probleme der künftigen Gürtelautobahn nicht erwähnt werden.
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DIE STADTBAHN IST KEIN MUSENTEMPEL, kein Fossil, für das man erst eine Funktion suchen muß, um es erhalten zu können. Sie ist ein funktionierendes Verkehrsmittel; und sie wird Teil des künftigen Wiener U- und Schnellbahnnetzes werden. Es werden •— natürlich — Umbauten stattfinden müssen. Das Ziel liegt nicht in der exakten Erhaltung einiger Objekte, auch nicht der ganzen Anlage. Wir verlangen aber, daß diese Veränderungen nicht auf dem Wege des Kompromisses zustande kommen, sondern daß die Umbauten an der Stadtbahn und die Neubauten der U-Bahn unter der Verantwortung eines Architekten vor sich gehen. Wer nicht Personenvorschläge machen will, muß hier für einen Wettbewerb eintreten. Seine Ausschreibung muß die Aufgabe exemplarisch formulieren und doch den Charakter eines Ideenwettbewerbes haben.
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ES IST AUCH HEUTE MÖGLICH, EINER STADT durch die Allgegenwart einer zeitgemäßen Verkehrsanlage und durch ihre Gestaltung einen neuen Maßstab zu geben. Es ist nicht Aufgabe der Behörden, das zü leisten, aber ihre Verpflichtung ist es, sich der vorhandenen Kräfte zu bedienen.
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