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Zukunft und Architektur

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Anlaß zu folgendem Artikel war die Ausstellung des von Günther Feuerstein geleiteten Klubseminars der Architekturstudenten, in der eigene Arbeiten, Arbeiten von Hans Hollein, Walter Pichler, Carl Pru-scha und Grazer Studentenarbeiten gezeigt werden. Die vom Katholischen Akademikerverband der Erzdiözese Wien veranstaltete Ausstellung befaßte sich unter dem Titel „Urban fictiov,“ mit Problemen des Städtebaus und der Architektur der Zukunft.

Der Text beruht auf dem Diskussionsbeitrag des Autors anläßlich einer Forumsdiskussion, an der unter der Leitung von Herbert Prader, die Architekten Günther Feuerstein, Hugo Potyka und Ottokar Uhl teilnahmen. Die Redaktion

In jüngster Zeit wird „Zukunft“ gern als Argument für Architekturentwürfe verwendet. Dieses Argument ist äußerst praktikabel; denn es verdächtigt jeden Einwand als reaktionär und es entzieht jede Einzelheit und den Entwurf als Ganzes der Kritik, weil es „ja auch anders aussehen könnte“.

Jeder Architekturentwurf bezieht sich auf Zukunft, insofern ihm zur Realität die Ausführung fehlt. Aber die Entwürfe dieser Ausstellung sind gar nicht im Hinblick auf Ausführung gezeichnet; keiner der Verfasser würde einen davon ernstlich dem zuständigen Bauherrn anbieten. Was gegeben werden soll, ist eine Vision, eine Beschreibung der künftigen Stadt, des künftigen Lebens.

Ich will nicht untersuchen, wie neu die gezeigten Ideen tatsächlich sind. Neuheit ist kein Qualitätskriterium. Mir scheint aber doch die Wirkung, die von solchen Tendenzen ausgeht, auf einer gewissen Uninformiertheit darüber zu beruhen, was es heute schon gibt. Zum Beispiel zeigen sich manche dieser Entwürfe beeindruckt von Röhren und Knoten der Verkehrsanlagen, die herausgehoben und dramatisch betont sind; vergleicht man aber diese Vorstellungen mit den seit der Jahrhundertwende errichteten Untergrundbahnen in London oder Paris oder selbst mit der Wiener Stadtbahn, so erweisen sie sich als naiv und armselig.

Diesen Punkt erwähne ich deshalb, weil gerade von dieser Seite — trotz des vorgeblichen Engagements für Zukunftsaspekte und Stadtplanung — keine Stellungnahme zu dem höchst aktuellen und wichtigen Problem der Wiener U-Bahn erfolgt, keine verantwortliche Stellungnahme in dem Sinn, daß das zur Ausführung bestimmte Projekt der Gemeinde Wien, das nicht grundsätzlich falsch ist, analysiert, seine Fehler hervorgehoben und dadurch Einfluß auf deren Korrektur genommen würde.

Lassen wir also den Aspekt der Neuheit beiseite und legen wir uns die Frage vor, welche Mittel uns zur Erkenntnis der Zukunft zur Verfügung stehen. Derartige Fragen haben sich bereits als Zukunftswissenschaft (Futurologie) etabliert und bestimmte Methoden entwickelt. Beim Vergleich historischer Utopien zeigt sich, daß diese immer dort irrten, wo sie künftige Möglichkeiten, künftige Lebensumstände genau, also beschreibend darstellten, weniger aber dort, wo sie abstrakt blieben.

Eine solche abstrakte Frage, die sich die heutige Zukunftswissenschaft vorlegen könnte, ist die, ob in Zukunft der einzelne Mensch mittels eines kleinen Düsen- oder Raketenaggregats imstande sein wird, sich individuell in der Luft zu bewegen, wie dies in einem der gezeigten Entwürfe dargestellt ist. Und da kann man aus ebenso abstrakten Überlegungen antworten, daß das sehr wahrscheinlich nicht der Fall sein wird. Es ist nämlich ein Trugschluß, zu meinen, durch eine derartige Erschließung des Luftraums würde auch nur eine weitere Verkehrsebene gewonnen. Da ja der Sinn eines solchen Gerätes in der individuellen Verkehrsmöglichkeit läge, müßte jedem Verkehrsteilnehmer jederzeit die Rückkehr zum Boden oder der Anflug eines Zielpunktes offengehalten werden. „Mit größter Wahrscheinlichkeit würde man die strenge Einhaltung bestimmter Flugwege verlangen. Wenn das zur Verlegung unserer Straßen in die Luft führen würde, wären die Vorteile dieser Lv förderungsart nicht mehr so überwältigend, wie es auf den ersten Blick erscheint“, schreibt der bestimmt nicht zimperliche Buchanan-Report.

Dies nur als Beispiel; aber wie immer man eine solche Frage entscheiden mag: für die Architektur ist ihre Bedeutung nicht größer als Fragen der Medizin, der Soziologie oder irgendeiner anderen Wissenschaft, und schon gar nicht ist die Beantwortung einer solchen Frage selbst Architektur. Ich möchte so weit gehen, zu sagen:

In der Architektur hat „Zukunft“ überhaupt nichts verloren. Architektur ist entweder zeitgenössischer Entwurf oder überhaupt nichts. Es ist zum Beispiel läppisch, einen Möbelwettbewerb für das Jahr 2000 auszuschreiben, und man kann sich an den Fingern abzählen, daß nach den dort eingesandten und preisgekrönten Entwürfen schon im Jahre 1970 kein Hahn mehr krähen wird. Diese Zukunftsträumerei der letzten Jahre könnte man gut mit der Vergangenheitsträumerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts vergleichen — wenn diese nicht ungleich mehr verwertbare Substanz gebracht hätte.

Es ist nicht uninteressant, zu hören, was der Historiker Reyner Banham, den wir im folgenden als eifrigen Verfechter architektonischer Zukunftsvisionen kennenlernen werden, über die wegweisenden Entwürfe Le Corbusiers für Paris sagt: „Es fällt auf, daß er seine Stadt .zeitgenössisch' nannte (Une Ville Contemporaine) und gekränkt war, wenn man sie als eine Stadt der Zukunft bezeichnete; er beteuerte, daß sie sofort gebaut werden könnte und auch gebaut werden sollte.“

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