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Die Diskussion um den Stephansplatz geht weiter

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Der Leiter der Wiener Stadtplanung, Professor B r u n n e r, gab dieser Tage anläßlich eines Vortrages im Ingenieur-und Architektenverein die offizielle Stellungnahme seines Amtes zu der bekanntlich heftig umstrittenen Frage der Stephansplatz-Neugestaltung bekannt und begründete ausführlich, was die Planungsämter zur Bevorzugung jenes vielfach angegriffenen Projekts des Architekten Appel Veranlaßt habe:

Das Studium der Umgebung alter Dome lehre, daß die großen Kathedralen nicht der Einschließung durch schnurgerade Häuserfluchten, sondern durch organisch gewachsene und gegliederte Baugruppen bedürften Wie sie ja auch heute noch rings um den Stephansdom bestünden, wenn man von der umstrittenen Westseite des Platzes absehe. Starre Baulinien, strenge und lange Dachgeraden Würden den Platz nicht nur einförmig machen, sondern infolge der betonten Perspektiven auch höchst störende Unruhe in ihn bringen) dies sei eine der Ursachen, warum man das Philipp-Haas-Haus zurück- und den anschließenden Baublock vortreten lassen wolle. Die Uberbrückung der Goldschmiedgasse würde hingegen zur Geschlossenheit des Platzes wesentlich beitragen! keinesfalls dürfe vergessen werden, daß das Philipp-Haas-Gebäude auch eine architektonische Zäsur Zwischen dem meist von Häusern des vergangenen Jahrhunderts bestandenen Gräben und dem historischen Bauensemble um den Dom, zwischen Kirdien-platz und Geschäftsstraßen, darstellen müsse. Das neue Haus im Stil unserer Zeit zu erbauen, sei selbstverständlich daraus und aus einer aufgelockerten Form des Neubaues werde sich im Gegensatz zum Dom ein Verhältnis fruchtbarer Kontraste ergeben. Als Letztes, nicht als Mindestes, sei die Frage des Verkehrs ins Auge zu fassen, deren jetzige, behelfsmäßige Lösung auf die Dauer unerträglich werden müsse. Die Zurückver-legung des Haas-Blockes gewähre die Gelegenheit, den Autobusverkehr, der sich gerade vor dem Riesentor des Domes unpassend verdichte, zu verlegen.

Soweit die Ausführungen des Leiters der Wiener Stadtplanung, die nach Wie vor in einem —• wenn auch bereits in manchen Punkten gemilderten — Gegensatz zu jener Auffassung steht, Wie sie vor nicht langer Zeit Dombaümeister Professor H o 1 e y, wohl der berufenste Mitsprecher in dieser Frage, formuliert hat Und die eine vorplatzartige Verbreiterung der am Dom vorbeiführenden Straße ebenso ablehnt wie eine Überbrückung der Goldschmiedgasse, im übrigen für ruhige Baulinien und gegen jede Beeinträchtigung der architektonisch dominierenden Stellung des Domes plädiert) sie weist darauf hin, daß die Verkehrskapazität des Platzes angesichts der engen Zufahrtsstraßen ohnehih keine Erhöhung mehr vertrüge. Eine Auffassung, die auch historisch zweifellos leichter zu rechtfertigen ist und zudem die Anerkennung sehr vieler Fachleute und die fast ungeteilte Sympathie der Öffentlichkeit auf ihrer Seite hat.

Während des Vortrages Professor Brunners wurde eine Variante des Appel-Projekts gezeigt, die in gewisser Hinsicht zurückhaltender ist als jene, die zu Beginn der Stephansplatz-Diskussion die bevorzugte schien. Vor allem wurde au ihr die Höhe des Gebäudes und die Unregelmäßigkeit seines oberen Abschlusses etwas reduziert, wohl auch die Fassade beruhigt. Was blieb, ist ein Baublock, der völlig indifferent Wirkt, mit unzähligen Fenstern, die in eintönigem Raster in die Fronten geschnitten sind — ein Schablonenbau, der wahrhaftig überall stehen könnte, wo man von einem neu zu errichtenden Gebäude nicht gerade besondere städtebauliche Vorzüge erwarten müßte. Schwer zu glauben, daß der Stephansplatz durch ihn gewinnen würde.

Wie immer dem sei: es ist sehr zu begrüßen, daß die zuständigen Stellen, wenn auch etwas verspätet, in die Diskussion über ein wichtiges und die Allgemeinheit interessierendes Thema einzutreten gedenken. Denn mah erfuhr, nicht ohne Überraschung, daß der Österreichische Ingenieur- und Architektenverein als die für Fragen des Bauens zuständige und anerkannte Fachorganisation angerufen wurde, in einem größeren Ausschuß das Thema „Stephansplatz“ zu untersuchen und wenn möglich die gegensätzlichen Standpunkte zu vereinen oder zwischen ihnen zu entscheiden.

Wie immer diese Entscheidung ausfallen wird — es darf erwartet werden, daß sie sich nicht mit einem wesenlosen Kompromiß zufrieden gibt, sondern den Weg zeigt, auf dem der Würde des Domplatzes und den Bedürfnissen unserer Zeit gleichermaßen Genüge geleistet werden kann, Die Tatsache, daß die anfängliche Kontroverse nunmehr von einer wirklichen Diskussion des Problems abgelöst wurde, läßt dies immerhin als möglich erscheinen.

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