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Freie Bahn gegen Otto Wagner?

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Als Helmut Zilk, Kulturstadtrat von Wien, Mitte Septeinber erfuhr, daß der Denkmalschutz der Wiener Vorortelinie aufgehoben worden war, soll er bis zur Decke gesprungen sein vor Wut. Sinngemäß schnaubte er: „Es geht doch nicht, daß wir am Karlsplatz zwei Otto-Wagner-Bauten als Zuckerl renovieren, am anderen Stadtende Wagner-Monumente aber zerstören. Die Bauarbeiten müssen sofort eingestellt werden.”

Was war geschehen? Tatort der jüngsten Spitzhacke wider den Urbanen Geist, den diese Stadt um die Jahrhundertwende erhielt, ist die Vorortelinie zwischen Heiligenstadt und Penzing, die schon über 50 Jahre einen romantischen Dornröschenschlaf schläft. Nur ab und zu donnert noch der Nachtgüterzug vom Containerbahnhof Wien-Nordwest über sein einzig erhaltenes Gleis in Richtung Bregenz. Ansonsten ist es bis auf die wenigen Lieferanschlüsse für Industrie- und Handelsbetriebe (z. B. Julius Meinl in Hernals) auf dieser 10-km-Strecke still.

Das war nicht immer so. Eröffnet wurde dieses Teilstück der Vororteverbindungsbahn im Jahr 1898. Als Glanzlicht des österreichischen Eisenbahnbaus. Die dampfbetriebenen Züge dienten vorwiegend dem Personentransport. Sie fuhren gewaltige 40 Stundenkilometer.

Schon bei der Eröffnungsrede kam über dem technischen Wunder aber auch eindeutig zum Ausdruck, welche Großtat im Sinne von Ästhetik, Architektur, Urbanismus hier gesetzt worden war. Man war stolz, der Welt eiij Gesamtbauwerk vorstellen zu können, daß die einheitliche „geläuterte” Handschrift des einen hervorragenden Oberbauleiters aufwies, der sich mit Akribie um jedes Auf- baudetaü, um jeden Gitterentwurf selber bemühte: Otto Wagner.

Dieser Oberbauleiter Otto Wagner wurde der Welt mittlerweile ein Begriff. Nicht nur als Entwerfer von sämtlichen Stadtbahnstationen (von denen heute schon viele dahin sind) der Gürtel- und Wientallinie ist er in die Architekturgeschichte eingegangen. Er lieferte u. a. mit seinen (vor kurzem hervorragend restaurierten) Wohnhäusern in der Linken Wienzeile, mit dem Schützenhaus am Donaukanal, mit der Nußdorfer Schleuse und vielen anderen Bauwerken dieser Stadt jenes optische Flair, das Wien überhaupt erst in den Rang einer Weltstadt erhebt.

Seine urbane Hinterlassenschaft ist der eines Haussmann in Paris ebenbürtig, darüber besteht kein Zweifel - liest man die Literatur, die mittlerweile über Otto Wagner zuhauf erschienen ist. Auch das der Magistratsabteilung (MA) 19 im September vorgelegte Gutachten Architekt Wolfgang Windbrechtingers betont noch einmal den Rang der Wagner-Bauwerke, die durch ihre harmonisch aufeinander abgestimmten Details ein „unverlierbares Monument des Wiener Stadtbüdes” geworden sind.

Wie unverlierbar, ist nun zu ersehen. Die dem Verfall ausgesetzte Vorortelinie mit ihren Brücken, Überführungen, zu Stadttoren aus gebildeten Stützmauern, mit den unverwechselbaren Bahnhöfen und Ei- sengeländem, wird nun revitalisiert. Und zwar von den OBB.

Im Juni/Juli ging diese daran, das der Stadt Wien gegebene Versprechen, diese Linie in das S-Bahn-Netz des innerstädtischen Nahverkehrs einzubeziehen, auch einzulösen. Pendler aus dem Raum Klosterneuburg sollen mühelos (mit allerdings einmaligem Umsteigen in Heiligenstadt) zur Endstelle der künftigen U 3 in Penzing gebracht werden, Leute aus Rekawinkel hingegen mühelos (mit einmaligem Umsteigen in Penzing allerdings) nach Heiligenstadt. Als Zwischenstationen sind Ottak ring, Hernals und Gersthof vorgesehen. So viele Haltestellen wie früher wird es nicht mehr geben, dafür wird die S-Bahn um rund 20 km/h schneller als die früheren k. u. k. Dampf- zügli sein.

Das bedeutet technisch, daß die Krümmung der alten Strecke, die bei niedrigeren Geschwindigkeiten nichts ausmachte, nun eine Verzögerung der schnelleren Garnituren herbeiführen würde, daß Haltestellen verlegt werden müßten, ja ÖBB- Techniker erklären auch ad hoc (ohne daß sie bisher Detaüberech- nungen und -plane vorgelegt hätten), daß das gesamte alte Tragwerk die größere Belastung nicht mehr aus- halten würde.

Darauf holten sich die ÖBB beim Bundesdenkmalamt die Einwilligung, das an sich ex lege denkmalgeschützte Bauwerk vom Schutz zu befreien, was sie auch prompt erhielt.

Das Denkmalamt verdient seinen Namen, der auch vom Denken kommt, im allgemeinen zu Recht. Hier aber wollte es sich den Vorwurf, ein langsames Amt zu sein, nicht einwirtschaften und schaltete schnell. Zu schnell. „Wo kämen wir denn hin, wenn wir den Fachgutachten einer anderen Behörde mißtrauen .würden”, meint Präsident Thalhammer. Man mißtraute nicht. Dies war das Todesurteil für Wagners V orortebrücken.

Denn schon wird die Brücke über die Hasnerstraße abgerissen, stehen die Brücken über die Paletzgasse, Arendtgasse und Heiligenstädter Straße im Abbruchgerüst, schon werden im Einschnitt Wertheimsteinpark die typischen Granitstütz- mauem abgetragen. Statt der geschwungenen Stahlbogenbrücken, die auf massiven Steinpilonen ruhen, sollen flache Betonbretter kommen - der ästhetische Unterschied ist in der Heiligenstädter Straße klar zu ersehen, wo dicht übereinander die zwei gestalteten Stahlbögen der Stadtbahn und eine „moderne” Betonzweckbrücke über die lichte Weite der Straße führen.

Wie scheußlich die Bundesbahnen heute bauen, ist am Bahnhof in Atz- gersdorf oder an dem neuen Barak- kenbahnhof auf der Semmeringer Scheitelstation ablesbar. Gewiß gehört die Bahn heute zu den „negativsten Partnern” des Bundesdenkmalamtes.

Um so unverständlicher, daß dieses die Neubauabsicht der Bundesbahn so rasch absegnete, ohne die Detailpläne noch zu kennen. Das war der Fehler. Das Düemma, in dem sich das Denkmalamt zweifellos befindet - „Eine Bahn ist kein barockes Schloß”, sagt Hofrat Pötschner mildert den Vorwurf nur wenig.

Gewiß sind Denkmalpfleger bei Verkehrsbauten, Schulen, Spitälern gezwungen, auf „den Lauf der Zeit” mehr Rücksicht zu nehmen, als bei einem historischen Pėdais. Eine Bahn, die vor 100 Jahren den technischen Erfordernissen genügte, entspricht ihnen heute nicht mehr. Von seiten des Denkmalschutzes ist nur schwer etwas einzuwenden, wenn Bahntechniker von Materialermüdung, zu engem Kurvenradius, von der Sicherheit des menschlichen Lebens zu reden beginnen.

Der Fall der Reichsbrücke sitzt allen Behörden im Nacken. Sie haben einmal mehr gelernt, daß nichts über die Sicherheit menschlichen Lebens geht. Daß dem Zweckgutachten eines einzigen Technikers zu mißtrauen sein könnte, das hat sich hingegen noch nicht herumgesprochen.

Denn mittlerweüe ist das im Sommer von der MA 19 (Stadtplanung) angeforderte Gutachten Architekt Pausers fertig, das besagt, daß die Tragfähigkeit der Wagnerschen Bogenbrücken über die Heiligenstädter Straße und die drei Bogenbrücken beim Hernalser Friedhof weit mehr

Belastungsreserven aufweisen, als von den ÖBB behauptet wird. Auch leuchte nicht ein, weshalb, wenn Auswechslungen des Stahlmaterials erforderlich sind, nicht solche erfolgen sollten, die sich nach der Wagner-Konzeption richten.

Das Argument, daß die Bahn andere Sorgen habe, als sich um Wag- ner-Pflege zu kümmern - „Wir bauen keine Museumsbahn”, sagt Dr. Fechtner von der Bundesbahnkoordination -, kann nicht gelten. Auch die Staatseisenbahn der Monarchie hatte „andere Sorgen” und es dennoch fertiggebracht, in ihren Ausschreibungen städtebaulich und gestalterisch so weite Vorgaben zu lie fern, daß es einem Otto Wagner überhaupt möglich war, dieses so mächtige, beispielhafte Großbauwerk zu vollbringen. Auch der Auftraggeber Otto Wagners bewies künstlerischen Geschmack.

Die Behauptung der Bahntechniker, die Wagner-Geländer eben anderswo integrieren zu wollen, läßt Böses erahnen. Denn am liebsten würden die Bahn-Technokraten die von den sieben Bahnhofsgebäuden verbliebenen drei in Gersthof, Hernals und Ottakring auch abreißen. Hofrat Pötschner, etwas vergrämt über die Vorwürfe, die auf das Bundesdenkmalamt niederprasseln, beschwert sich bitter: Niemand registriert, daß in den Verhandlungen mit den ÖBB wenigstens die Rettung der Wagner-Stationen gelungen sei. Man ist offenbar auch im Denkmalamt der Ansicht, daß die Vorortelinie schon jetzt ein Torso sei und es deshalb nicht darauf einkomme, wieviel diesem noch herausgerissen wird.

Wozu es nun kommen soll: Was noch fehlt, sind die präzisen Angaben der MA 18, wo die Fußgängerströme von den neuen Straßenbahnlinien, Autobushaltestellen und U-Bahn- Stationen zu der Vororte-S-Bahn einmal fließen werden. Ungeklärt ist, wo Haltestellen überhaupt gebraucht werden. Auch die Stadtpleinung ist arg im Verzug, gemessen an der Tatsache, daß seit zehn Jahren eine Einbeziehung in das Verbundsystem erwogen wird und jetzt schon Äb- brucharbeiten stattfinden.

Was die Rettung der Bahnhofsgebäude betrifft, so wurde schon an meinchen Wientalstationsgebäuden erprobt, wie eine Kombination zwischen unverlierbarer Architektur und neuer Technik möglich ist. Auf solch eine Kombination zwischen erhaltenswert Vorheindenem und unvermeidlich Neuem kommt es nun an. Auf einen Kompromiß, der auf ein Maximum von Otto Wagner und ein Optimum an technischer Sicherheit hinausläuft. Indessen werken die Bagger der ÖBB munter weiter.

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