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Gibt es eine österreichische Architektur?

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Die Frage scheint vermessen. Eine große Ausstellung in der Wiener Secession, veranstaltet von der Zentralvereinigung der Architekten, möchte eine eindeutige Antwort geben. Sie heißt „Architektur in Oesterreich 1945 bis 195 4" und zeigt hauptsächlich in Photos — die Arbeiten freischaffender Architekten, die in den letzten 9 Jahren entstanden sind. Das ist gewiß ein ebenso festliches wie seltenes Ereignis, daß man eine große österreichische Architekturausstellung sieht, und Anlaß genug, eine übrigens ausgezeichnet gestaltete — Festschrift herauszugeben. Aber gibt es deswegen wirklich eine österreichische Architektur?

Die Frage ist nicht so ohne weiteres zu beantworten. Ja, es hat einmal eine österreichische Architektur gegeben. Das Wien des Barock und die Renaissancestadt Salzburg beweisen das. Natürlich sind Barock und Renaissance keine österreichischen Erfindungen; aber sie haben in Oesterreich ihre eigene Ausprägung erfahren. Damals waren in Oesterreich Architekten am Werk, die in erster Linie Künstler, begnadete Künstler, und erst in zweiter Linie Baumeister waren. (Heute hat bereits jeder x-beliebige Baumeister den Titel Architekt, und es liegt ein Gesetzentwurf vor, daß vier Klassen Volksschule und eine anschließende Fachausbildung genügen sollen, den Architektentitel zu erwerben.) Trotz aller Individualität gab es damals einen ausgeprägten Zeitstil. Damals hatte man auch den Mut, neu zu sein, eine neue Formensprache zu entwickeln.

Und heute? Hat man diesen Mut heute, da er nötiger wäre als je? Die Fortschritte der Wissenschaften und Technik verlangen nach neuer, materialgerechter Formgebung. Die Häuser wurden höher und heller, die Mauern dünner, das Funktionelle stand im Vordergrund, das Ornament fiel, das ebenerdige Wohnhaus paßte sich dem Landschaftsbild an. Und auch die österreichischen Architekten verschlossen sich diesen Forderungen nicht. Aber oft, viel zu oft, geschah alles nur zögernd, halb wollte man, halb traute man sich noch nicht. Die große Chance, den Einschnitt des Jahres 1945 zum Ansatzpunkt einer neuen Bauentwicklung zu machen, wurde verpaßt. Darüber können einzelne noch so vorzügliche Lösungen nicht hinwegtäuschen.

Was zeigt uns die Ausstellung? Sie zeigt, daß für eine Reihe von Form- und Gestaltungsproblemen bereits glückliche Lösungen gefunden wurden, aber sie zeigt auch, daß sich im Oesterreich der Nachkriegszeit nichts entwickelt hat, das irgendwie wie ein einheitlicher Baustil aussieht. Es sei denn, man spricht eben das Wirken des einen oder anderen Architekten als den österreichischen Baustil an und sieht im Schaffen der anderen eigenwillige Abweichungen von dieser neuen Linie. Gewiß, wir sagten es schon: vieles ist gelungen; aber immer aus einem anderen Grunde.

Die Ausstellung beschäftigt sich auch ausführlich mit den Wiener Gemeindebauten. Wir kennen sie aus eigener Anschauung und auch aus zahlreichen Ausstellungen; zuletzt sahen wir sie in der Schau „Unser Wien". Die Gemeinde Wien liebt es nicht, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Vergleichen wir aber diese Wiener Gemeindebauten mit denen, die 20 Jahre früher entstanden, so läßt sich (wenigstens von außen, von der Inneneinrichtung soll hier nicht die Rede sein), kein fühlbarer Unterschied erkennen. Gewiß, wir wissen, daß den Architekten hier enge wirtschaftliche Grenzen gesetzt sind, die eine schöpferische Baugestaltung beinahe ganz ausschließen. Bleibt also anzuerkennen, daß sich alle diese Bauten immerhin sehen lassen können, daß keiner unwohnlich aussieht. Auch die weitgehend verwirklichte Auflockerung der Wohnbaukomplexe sei dankbar registriert. Schlimmer wird es, wenn Aufträge nicht an Architekten, sondern an Generalbauunternehmer oder Beamte vergeben werden, was leider (nach dem Motto: Wir machen uns den Architekten selber), immer noch vorkommt. Davon erzählt die Ausste llung nichts; die Wirklichkeit aber spricht eine harte Sprache.

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