6840323-1975_40_02.jpg
Digital In Arbeit

Woran glauben sie?

Werbung
Werbung
Werbung

die Herren Kreisky, Muhri, Peter und Taus?

Denn sie sagen uns nicht, woran sie glauben. Und so sei, rein theoretisch natürlich, die Überlegung erlaubt: entweder glauben sie an nichts oder sie wollen uns nicht sagen, woran sie glauben.

Im ersten Fall wählen wir Leute, die nur die Macht wollen und sonst nichts. Im zweiten Fall wählen wir Falschspieler.

Für solche Wahlen sind all die heldenhaften Demokraten nicht gestorben.

Der österreichische Wahlkampf 1975 scheint eine tiefe, nämlich die Ideen betreffende Krise der Demokratie zu signalisieren. Der Verzicht auf Ideen in der Öffentlichkeit spricht entweder für eine Überzeugung der Parteien, wonach das Wählervolk sein Interesse an Ideen verloren hat und nur noch an Geld denkt, wobei solche wirtschaftlichen Interessen mehr schlecht als recht durch irgendwelche läppischen Parolen verdeckt werden müssen — oder aber sind es nicht die Wähler, dife ihre Ideale verloren haben,, sondern die Parteien.

Viel aufrichtiger war jener aufgeregte junge Mann, der als Vertreter einer fünften, einer linksextremen Gruppe das schlecht gedruckte Heftchen für drei Schilling den Passanten verkaufte mit der (im Titel festgehaltenen) Überzeugung; „Nur die Revolution kann den Krieg verhin* dem.“

Ich glaube, es gibt noch aridere Mittel und Wege, den Krieg zu verhindern, als die Revolution, jedoch: hier stand auf einmal eine Behauptung. Eine Idee., Ein Ideal. Da ich,Bücher schreibe, weiß ich auch aus der Literaturgeschichte, daß die Vision notwendigerweise stärker ist als die Realität Wenn die Demokratie nicht zur Vision werden kann, muß sie verkümmern und erlöschen. Der Wahlkampf , zeugt .nicht nur davon,daß die Politiker, ihre Wähler ein wenig verachten. Sie mißachten noch mehr das Land, in das sie uns zu führen gelobt haben: die Zukunft. dem Etikett „Phallussymbol“' versehen, zur Zumutung.

Die Gebilde sollten nicht .verschwinden. Aber anderswo aufgestellt werden. Vielleicht, sollte -man die Anrainer fragen, ob die Meinung des Proponentenkomitees auch die ihre ist. Wenn ja, ist sie hier zu beachten, auch wenn man sie nicht teilt.

Ruinenlandschaft

Österreichs großartigste Ruinenlandschaft, die Wiener Ringstraße, ist Thema einer einstündigen, von Hans Magenschab und Karlheinz Roschitz geschaffenen filmischen Bestandsaufnahme, die demnächst, am 3. Oktober, um 20 Uhr in FS 1, zur Sendung gelangen wird. Bestandsaufnahme einer schleichenden Katastrophe. Alarmruf in letzter Stunde. Mehr noch. Nahezu schon ein befristetes Ultimattim an die Verantwortlichen, nach dessen ergebnislosem Ablauf Osterreich und Europa den Verlust eines unersetzlichen Gesamtkunstwerks, einer stilgeschichtlichen Dokumentation ersten Ranges zu verzeichnen hätten.

Erstaunlich übrigens — dies sei am Rande vermerkt — wie widerr spruchslos und allem Augenschein zum Trotz die historische Zwecklüge' hingenommen und geglaubt wird, auf die man sich 1945 geeinigt hat und die der heute in der Mitte des Lebens stehenden Generation durch Schule, Publizistik und Parteidoktrinen eingeprägt wurde. Zweck der Lüge: die nationalistischen Reichszerstörer und Kleinstaatengründer von 1918, aber auch die schwachsinnigen Friedensmacher von 1919 und 1920, die Zerstörer des einzigen lebendigen Modells für ein übernationales Europa und Schöpfer der 1945 getreulich restaurierten mitteleuropäischen Unordnung von ihrer Schuld am unvermeidlichen und unaufhaltsamen Aufstieg Adolf Hitlers, am Zweiten Weltkrieg somit, und am Wahnsinn von-Jalta mit allen seinen Konsequenzen freizusprechen. Dieser Freispruch ist allerdings nur dann möglich, wenn man Österreich-Ungarn, eben die potentielle Keimzelle übernationaler Lösungen, nachträglich unter Kuratel stellt und für ohnedies todgeweiht, weil sozial rückständig, schwach, dekadent und „längst schon unregierbar geworden“ erklärt. Nicht die Mörder, der Ermordete wäre demnach schuldig gewesen. Unregierbar? Seine Regierbarkeit hatte Österreich mit den mährischen und den buchenländischen Ausgleichen längst bewiesen, nach deren Muster der Umbau des Gesamtstaates bereits im Gange war, und deren Standard hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechtes seither in keinem gemischtnationalen Gebiet wieder erreicht wurde. Schwach? Wäre es Kaiser Karl gelungen (und es gelang um ein Haar), im Jahr 1917 über die Köpfe bornierter nationalistischer Politiker und Militärs hinweg Frieden zu schließen, so wäre

Österreich-Ungarn die einzige Macht gewesen, die den Ersten Weltkrieg gewonnen hätte, wie Peter Feldl nachgewiesen hat, Europa wäre seit der Jahrhundertmitte Wirklichkeit. Dekadent? Die nationalsozialistischen Sieger staken tief im 19., Österreichs übernationale Idee wies bereits ins 21. Jahrhundert. Und sozial rückständig waren die Westmächte ebenso wie Rußland. Die Westmächte, denen eine Sozialgesetzgebung, wie sie in Österreich in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts eingesetzt hatte, bis in die dreißiger und vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts (oder auch noch länger) fremd plieb. Das Phänomen des zugleich rückständigen und dekadenten Eroberers wiederholt sich in der Geschichte des öftern und kennzeichnete nicht erst das Ende des Ersten Weltkriegs. Bis aber der Mythos, den uns die Eroberer von 1918 und 1945 hinterließen, in sich zusammenfällt, werden Jahrzehnte vergehen. Kann Europa noch so lange auf das übernationale österreichische Modell verzichten?

Europa wird als übernationale Gemeinschaft nach dem VoTbild altösterreichischer Ausgleiche leben, oder es wird am reaktionären Nationalismus des 19. Jahrhunderts, der 1918 triumphierte, sterben.

Für den Widerspruch zwischen Augenschein und Mythos bietet sich der Film „Countdown am Ring“ geradezu als lebendiges Studienobjekt dar. Während der Kommentar pflichtgetreu von Todesrausch und Morbidität spricht, zeigen die grandiosen Bilder Architekturen von einer explosiven Vitalität, wie sie seither nicht wieder erreicht wurde und läßt die untermalende Musik Motive von jener unbändigen schöpferischen Kraft anklingen, die imstande ist, Zeiten und Generationen zu überdauern.

Wiener Ringstraße. Straße des Lebens einst, scheintote Straße heute, nur noch tagsüber von der hektischen Mechanik des Straßen-und Wirtschaftsverkehrs mario-nettenhaft bewegt. Ruinenlandschaft von morgen? Adrierme Gessner, einsam, ungebrochen, aber nahezu resigniert, spricht ein wunderschönes Trauerlied auf sterbende Häuser und brök-kelnde Fassaden. Christiane Hör-biger, angetan mit wundervoll fallenden Kostümen und Traumhüten, die Klimt gerne gemalt hätte, schreitet plaudernd durch unbewohnbar gewordene, seit langem schon zweckentfremdete Makartsalons. Andre Heller redet, wie so oft, Konfuses, das längst niemanden mehr provoziert. Die Architekten Peichl und Hollein wissen, was geschehen müßte, damit nicht Unwiderrufliches geschieht, wenn weiter nichts geschieht. Wissen, was geschehen müßte, um die Ringstraße als Freizeitensemble zu neuem Leben zu eiwecken und der Nachwelt als Auftrag und Erbe zu erhalten.

Werden die Enfeel uns verfluchen? Trotz brutaler Geschäfte-macherei, trotz barbarischer Demolierung zahlloser unersetzlicher Details, trotz konzentrisch fortschreitender Verhäßlichung, ist die Rettung des Gesdmikunst-werks Ring noch möglich. Noch. Aber die Zeit hiefür ist knapp geworden, Sie zu nutzen, bedürfte es freilich eines allmählichen Abibaus lähmender Zwecklügen und eines Zutägetretens der illusionslosen, entmythologisierten Wahrheit, bedurfte es im Grunde genommen nur einiger Weniger an den entscheidenden Schaltstellen.

Diese wenigen allerdings müßten das Format unserer angeblich dekadenten Vorväter besitzen.

Das wäre mehr als genug.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung