"Die Architektur ist unausweichlich"

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Die Wiener Architektin Elsa Prochazka im Furche-Gespräch.

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Die Wiener Architektin Elsa Prochazka im Furche-Gespräch.

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dieFurche: Sie sind eine Architektin, deren Projekte sowohl beim Fachpublikum als auch beim Normalverbraucher gut ankommen. Ein Beispiel ist die Buchhandlung des Bibelwerks in der Wiener Singerstraße, die sehr beliebt ist. Wie kann man das erreichen?

Elsa Prochazka: An erster Stelle steht für mich der Benutzer. Die Anerkennung ist eine Draufgabe, die natürlich sehr bestätigend für mich ist. Aber es würde mir keine Befriedigung geben, einen Ort - zum Beispiel eine Buchhandlung - zu schaffen, der von den Benutzern abgelehnt wird. Ich respektiere und nehme die Bedürfnisse der unterschiedlichsten Zielgruppen immer ernst. Dieser Respekt kommt zum Ausdruck und wird positiv empfunden, ich bin nicht zynisch oder ironisch.

dieFurche: Qualitativ hochwertige oder bei der Fachpresse gelobte Bauten stoßen in der Bevölkerung immer wieder auf Ablehnung. Glauben Sie, daß gute Architektur Vermittlung und Erziehung braucht?

Prochazka: Gute Architektur beinhaltet eine gewisse Komplexität, die mehrere Schichten anspricht, das heißt, daß ein und dasselbe Produkt verschiedene Personengruppen erreicht. Bis zu einem gewissen Grad bin ich skeptisch, was die Ausbildung zum Architekturverständnis betrifft. Ich glaube, daß man zum Beispiel durch gute Schulbauten das Selbstverständnis, sich in qualitätsvoller Architektur zu bewegen, besser lernt, als durch Wohnerziehung oder Architekturunterricht im Kindergarten. Learning by doing, die Konfrontation mit guten Gebäuden ist besser. Man kann also mit Kindern Bauwerke ansehen, und sie fragen, was ihnen gefällt. Das Potential, das in einer qualitätvollen architektonischen Umgebung steckt, kann man gar nicht abmessen. Genau dort liegen die Grenzen der Mitbestimmungsmodelle. Etwas, das man nicht kennt, kann man sich nicht wünschen. Was ein Architekt leistet, sollte über das Gewünschte noch hinausgehen.

dieFurche: Was sind für Sie die Voraussetzungen, die gute Architektur entstehen lassen?

Prochazka: Das Verhältnis zum Bauherren halte ich für sehr wichtig. Ohne profilierten Partner, der Verständnis für die Komplexität der Aufgabe hat, geht's nicht. Eine selbstverständliche Basis für mich ist, daß das ökonomische Ziel erreicht ist, das funktionale, das emotionale, daß der Nutzer zufrieden ist. Ohne die Stütze des Bauherrn bei diesem langen Planungsprozeß ist das alles nicht vorstellbar. Gerade beim Bibelwerk gab es anfangs große Widerstände vom Denkmalamt. Wir haben dann ein Eins-zu-eins-Modell gebaut; erst damit konnten wir das Denkmalamt und die Stadtgestaltung überzeugen, daß das der richtige Weg ist. Für solche Aktionen braucht man die Rückendeckung des Bauherrn.

dieFurche: Sie sind eine der wenigen bauenden Frauen, die sich in der Architekturszene durchgesetzt hat. Wenn man jetzt die Musikergedenkstätten oder die Dombuchhandlung ansieht, sind das ja auch Bauaufgaben, in denen es sehr ums Detail geht. Glauben Sie, daß dieses Interesse auch für kleinere Aufgaben etwas spezifisch Weibliches ist?

Prochazka: Ich arbeite nach gewissen Methoden - ob die jetzt darauf basieren, daß ich eine andere Heran-gehensweise habe als männliche Kollegen, das weiß ich nicht. Es gibt sicher keinen evidenten Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Architektur. Aber es ist natürlich schon so, daß man erzogen und sozialisiert als Frau eine andere Art der Wahrnehmung entwickelt und entsprechend eine andere Umsetzung, aber ich glaube nicht, daß sich das vordergründig manifestiert.

dieFurche: Das Wohnbauprojekt "Frauen-Werk-Statt" hat sich allerdings schon alleine dem Namen nach spezifisch weiblich exponiert und war auch konsequenterweise von Frauen geplant.

Prochazka: Bei der Frauen-Werk- Statt wurden soziologisch-funktionale Aspekte thematisiert, die man sonst nicht erwägt, und weniger das architektonisch-formale Bild. Diese Wohnsiedlung sieht nicht anders aus, die Unterschiede liegen im feinen funktionalen Bereich.

die Furche: Dem Wohnbau lag lange das Ideal der Familie zu Grunde, doch die klassische Familie gibt es immer seltener., Wie kann man als Architekt darauf reagieren?

Prochazka: In der Frauen-Werk-Statt haben wir versucht, die Räume nicht mehr in Hierarchien zu ordnen, daß es also keine Zuordnungen im Grundriß gibt, daß also verschiedene Konfigurationen möglich sind. Vom Alleinerzieher mit kleinem Kind, erwachsenem Kind, pflegebedürftigen Eltern, Paar alleine oder mit Nachwuchs: in ein und demselben Grundriß sollten mit leichten Abwandlungen alle Varianten des Zusammenlebens möglich sein. Außerdem bin ich eine Verfechterin großer städtischer Dichte, weil das große soziale Vorteile birgt. Mehr Infrastruktur, mehr Zusatzangebote, große Freiräume und Parkanlagen sind erst bei mehr Dichte möglich, damit erst entsteht das Städtische im besten Sinn.

die Furche: Die Werte einer Gesellschaft spiegeln sich in der Architektur wider. Früher waren es die Kirchenbauten, in die sehr viel Geld und kreatives Potential geflossen ist. Welche Bauten haben denn heute den Platz der prächtigen Kathedralen eingenommen?

Prochazka: Im architektonischen Bereich sind die Herzeigeobjekte jetzt hauptsächlich im Verwaltungs- und Bürobau zu finden; auch im Kulturbau, wie zum Beispiel der Jahrhundertbau des Guggenheim-Museums in Bilbao. AuchVerkehrsbauten wie Bahnhöfe und Flughäfen werden zusehends wichtiger. Daß Mobilität und Globalisierung eine große Rolle spielen, drückt sich auch in Gebäuden aus.

dieFurche: Sie haben vorhin das von Frank Gehry geplante Guggenheim-Museum in Bilbao als Jahrhundertobjekt erwähnt. Woran liegt der Erfolg eines großen Baus? Was sind die Mechanismen, die ein Gebäude zum allgemein bekannten Kulturgut hochstilisieren?

Prochazka: Die Medien spielen natürlich dabei eine große Rolle, aber ein Produkt, das keine Substanz hat, kann man nicht nur über den Markt hochbringen. Gehry ist ein Architekt, der seit Jahrzehnten sehr ernsthaft und interessant arbeitet, also ist der Erfolg seines Guggenheim-Museums kein Zufall. Erst das, was über die Funktionalität hinausgeht, läßt auf ein Gebäude aufmerksam werden. Zum Beispiel das jüdische Museum in Berlin von Daniel Liebeskind ist eben nicht nur ein neutraler Raum, in dem man Bilder an die Wand hängen kann, wie das die Künstler oft fordern. Es transportiert eine starke Aussage über den Umgang mit dem Judentum. Es wird alles über das Gebäude spürbar, und dem kann sich niemand entziehen. Da brauche ich keine Gebrauchsanweisung dazu. Dann erst nehmen das die Medien auf und arbeiten damit.

dieFurche: Sie halten also die Rolle der Presse oder der Erziehung zur Architektur für überschätzt?

Prochazka: Nein, das glaube ich nicht. Ich nehme es positiv wahr, daß sich die Presse zunehmend mit Architektur auseinandersetzt. Es ist ja auch ein Medium, das uns alle betrifft. Nicht umsonst wird Architektur immer wieder zur Erregung öffentlichen Ärgernisses, weil sich eben jeder von Gebäuden so betroffen fühlt. Die Architektur ist unausweichlich, und es ist eigentlich verwunderlich, wie wenig sachlich und auch leidenschaftlicher bei uns in den Medien darüber debattiert wird. In Frankreich oder Italien ist das besser. Je besser und seriöser diese Dinge diskutiert werden, desto differenzierter wird natürlich auch die Reaktion sein. Insofern haben die Medien eine große Aufgabe, ein Thema, das immer wieder aufgegriffen wird und Widerstände auslöst, gut aufzubereiten.

dieFurche: Glauben Sie, daß ein guter Architekt sich auch ohne Pressearbeit durchsetzen kann?

Prochazka: Das kommt darauf an, in welchem Feld er arbeitet. Wenn jemand gute Einfamilienhäuser baut, kann ich mir auch vorstellen, daß man mit Mundpropaganda zu Folgeaufträgen kommt. Wenn man größere, öffentliche Bauvorhaben macht, dann gehört das auch öffentlich in den Medien diskutiert. Ich glaube aber, die Medien haben eine große Verantwortung, daß sie nicht in unqualifizierter Art Projekte vernichten. Und im Vernichten sind wir ja großartig ...

dieFurche: Manche meinen, der öffentliche Raum werde sich bald in den Cyberspace verlegen. Welche Gefahren - oder auch welche Chancen - erwachsen der klassischen Architektur, die ja auf die reale Welt beschränkt ist, durch die Entstehumg virtueller Welten?

Prochazka: Eine große Chance ergibt sich dadurch, daß mit den neusten Technologien rein technisch Gebäudetypen umsetzbar sind, die vor einigen Jahrzehnten noch unbaubar waren. Sicherlich wäre das Guggenheim-Museum in Bilbao ohne Computer nicht möglich gewesen. Viele der Entwürfe Frederick Kieslers waren zu seiner Zeit nicht umsetzbar. Auch als Schulung im räumlichen Sehen sind Computer gut. Computerspiele zeigen teilweise interessante Raumkonfigurationen, auch das kann der Architektur zugute kommen. Die virtuelle Welt könnte ein Katalysator für die reale sein. Im modernen Kino sind die Übergänge von realer zu virtueller Welt schon sehr fließend.

dieFurche: Wo sehen Sie die Herausforderungen und die Verantwortung der Architektur in der Zukunft?

Prochazka: Die Verantwortung besteht darin, zum Gebrauchswert den zusätzlichen Mehrwert zu bieten, also Ausdruck der jeweiligen Gesellschaft zu sein, und darüber hinaus über die Funktionalität Identität zu schaffen. Ein schlechtes Haus hat eben nur noch die Aussage, daß man sich um nichts mehr kümmert. Das große Mißverständnis in der Gesellschaft und auch der Politik ist, daß der Mehrwert sich nur in mehr Geld ausdrückt, ich glaube, der ist sehr wesentlich durch mehr Planung zu erreichen. Als Herausforderung sehe ich, diesen Mehrwert zu erkämpfen, zu verteidigen und sich auch der Öffentlichkeit verantwortlich zu fühlen. Das Furchtbare an der Architektur ist dieses Verharrende. Eine falsche Entscheidung ist so lange falsch und irreversibel wie in kaum einem anderen Medium. Ein schlechtes Buch kann man weglegen, eine schlechte Schallplatte nicht mehr hören, aber Architektur ist sehr nachhaltig, und das macht die Verantwortung aus.

Das Gespräch führte Isabella Marboe.

ZUR PERSON Elsa Prochazka Elsa Prochazka lebt und arbeitet als Architektin in Wien, sie beschäftigt sich vor allem mit Museumsbau und Ausstellungen, ist durch die Gestaltung der Musikergedenkstätten bekannt und plante im Rahmen der "Frauen-Werk-Statt", einer Wohnanlage im 21. Wiener Gemeindebezirk, 85 Wohnungen und ein Kindertagesheim. Anlaß dieses Interviews war die Ausstellung "Architektur Szene Österreich - Bauten, Kritik, Vermittlung, bei der Elsa Prochazka mit einem Kindergarten in der Frauen-Werk-Statt vertreten war.

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