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Rettungsarbeiten an einem verunglückten Gesetz

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Beide Parlamentsklubs der Regierungsparteien haben einvernehmlich beschlossen, die unbedingt notwendigen Uebergangsbestimmungen . zum vielumstrittenen Zivilarchitektengesetz , im Herbst novellistisch zu ergänzen. Die Freien unter den Architekten, die kurze Zeit bereits so „vogelfrei” waren, daß sie von jedermann hätten abgeschossen werden können, kommen interimistisch bis zur Klärung der Dinge im Herbst zu ihren „wohlerworbenen” Rechten, welche sie dann, neu eingebaut ins neue Gesetz, auch völlig gesetzlich verankert wieder zurückerlangen sollen. Dies haben die Abgeordneten des Bundestages am Tage der letzten Bundesratssitzung gefordert und öffentlich erklärt.

Das heiß umkämpfte Architektengesetz wird also novelliert. Dies war der Sinn des Einsatzes der sich jetzt rasch aus dem „Nichts”, aus einer großen Zahl von individualistischen Architekten bildenden „Initiativvereinigung zur Abänderung des Ziviltechnikergesetzes 1957” (es melden sich immer noch Kollegen), die entstand, weil keine andere Institution da war (auch nicht die Zentralvereinigung der Architekten zur rechten Zeit!), die die Interessen der „freien”, „vogelfreien”, Nicht-Kammer-Architekten vertreten hat.

Der Einsatz der Initiativvereinigung kann aber erst dann als erfolgreich bezeichnet werden, wenn alle, denen es durch bisher seriöse hauptberufliche Tätigkeit als Architekten im Rahmen der „wohlerworbenen Rechte” zukommt, nun weiter im Rahmen der — auch neuen — Gesetze frei als Architekten arbeiten können; obwohl sich mit dieser Tatsache manche,nicht gerne anfreunden werden wollen. Freilich wäre es im Sinne aller, wenn gewisse Aktionen, die sich gerne recht genau voneinander geschieden wissen wollen, koordiniert würden — dies wird wohl letztlich Aufgabe der Formulierenden der endgültigen Novellierung sein. Denn, fragt man sich bestimmt schon in der Oeffentlichkeit, wieviel Architekten gibt es eigentlich: „Zivilarchitekten”, „Zentralvereinigungsarchitekten”, „Initiativvereinigungsarchitekten”? Und das sehr zum Schaden des ganzen Berufsstandes. Schade! Es geht die Mär, daß jeder Arzt dem Kollegen, der die Schere im Bauch des Operierten vergessen hat, bestätigt, dies wäre therapeutisch notwendig. Das ist sicher nicht wörtlich wahr, aber sjcher ist wahr, daß fast jeder Architekt von dem anderen nicht gerade schön spricht. Und das ist schon mit Individualismus nicht mehr zu entschuldigen.

Wie ist es nun eigentlich zu diesem Gesetz gekommen? Was ist oder war eigentlich ein Zivilarchitekt? Zu Zeiten der österreichischen Monarchie war das Land groß und der Beamtenapparat klein, zu klein für das große Land — und wenn irgendwo in der weiten Provinz, wo es an Beamten mangelte, ein Bahnhof oder dergleichen gebaut oder sachverständig begutachtet werden sollte, hat man einen ganz gewöhnlichen freien (nicht beamteten) Architekten, der gewisse Forderungen erfüllte, damit beauftragt und ihm für die Zeit seines Auftrages amtliche Befugnis verliehen (äußerliches Kennzeichen dessen das amtliche Siegel). Da er aber zum Unterschied von den beamteten Architekten nie, auch sonntags nicht, eine Uniform anhatte, also in seinem eigenen Zivilanzug einherging, nannte man ihn Zivilarchitekt. Wie wäre das nun, wenn man heute alle Aerzte, die in der Aerztekammer vereinigt — weil es bei uns schon Kammern geben muß —, aber nicht beamtet sind, Zivilärzte nennen würde, weil es ja auch Zivilingenieure, Zivilgeometer gibt oder gab, en somme Ziviltechniker? Es hätte eigentlich von Anfang an diskutiert werden müssen, ob wirklich jeder Architekt amtliche (oder auch nur fallweise amtliche) Befugnis haben muß, um dann erst auch planend arbeiten zu können — es gibt sogar westliche Länder, in denen die planende von der gutachtenden Praxis streng getrennt ist. Viele wollen diesen Amtscharakter gar nicht. Und, bitte, Beamte haben wir doch genug — in der Relation zur Größe des Landes, gegenüber der der Monarchie.

Aber alle diese Gedanken sind zu spät, da ja an dem Gesetz prinzipiell gar nicht mehr gerührt werden soll — für die Zukunft! Alle sich zurück auswirkenden Gesetze haben aber einen schlechten Ruf — zu Recht! Gibt es wirklich eine Gewähr dafür, daß die fünf Jahre Angestelltenpraxis, die gefordert werden, wirklich zum Guten schulen?

Die fünf Jahre Praxis hat er dann, aber den Idealismus und die Ambitionen hat er meistens eingebüßt in dem „Atelier”, das ein „Büro” und als „Kanzlei” bei der Kammer registriert ist.

Atelier klingt ganz gut, Büro hört sich schon steifer an, wem aber rieselt es bei dem Wort Kanzlei nicht kalt den Rücken hinunter — und Architektur von heute und für morgen in Kanzleien entworfen, scheint ein begriffliches Unikum. Diskutieren kann man all das kaum mehr, es ist existent! Es soll nur von gewissen giftigen Stacheln befreit werden — ganze Freiheit ist ohnehin problematisch. Daß aber gerade in einer Zuschrift an dieses Blatt geschrieben wurde, die Architekturkritik, an der es ja recht mangelt, solle Vorbehalten sein „berufenen Fachleuten”, und ausgerechnet geschrieben von einem Kammerarchitekten, könnte einen gerade in dem Zusammenhang stutzig machen. Ist das die Freiheit die wir meinen? Die Leute, die an den Häusern vorbeigehen und darin wohnen und arbeiten, sollen nicht mehr sagen dürfen, daß sie ihnen gefallen oder daß sie die Wohnung unpraktisch finden. Wohlgemerkt, ich darf wiederholen: Ein Kammerarchitekt wollte sich dergestalt der allgemeinen Kritik entziehen, die Arbeitsgruppe 4 zum Beispiel (Nicht-Kammerarchitekten) sprach sich in einer Entgegnung für eine freie Kritik aus und unterwirft sich ihr also! Ist dies vielleicht der Geist, der das Gesetz konzipiert hat, dieses Sichabschließen, der Kastengeist der mittelalterlichen Zünfte?

Aber es will ja jetzt überhaupt gar niemand mehr so richtig gewesen sein? Nur, Sätze wie: „Die Konjunktur wird bald aus sein und wir sind eh schon zuviel!” wurden sehr oft persönlich ausgesprochen! Abgesehen davon, daß man nicht auf kaltem Wege einfach mögliche Konkurrenten ausschalten kann, zeigt es von einer negativen Grundeinstellung dem Leben, der Zukunft gegenüber — wie können die, die an der Zukunft bauen sollen, diese verleugnen?

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