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Zurück zum Maß des Menschen

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Architekt Roland Rainer war bis vor kurzem Professor für Architektur an der Akademie der Bildenden

Künste in Wien, errichtete die Wiener Stadthalle und das ORF-Zentrum und schrieb zahlreiche Bücher über die Wege zu einem menschlichen Bauen - als er seine Konzepte als Wiener Stadtplaner verwirklichen wollte, scheiterte er an den andersgearteten Vorstellungen der Wiener Rathaus-Hierarchie. Die Ausfüh-

rungen Roland Rainers sind einem Vortrag entnommen, den er kürzlich im TV-Theater des Wiener

ORF-Zentrums hielt.

Wie müßte Architektur aussehen, damit sie zeitlebens, viele Jahrzehnte lang aktuell bleiben kann, Beschauern immer etwas zu sagen und, vielleicht noch wichtiger, Benutzern, Bewohnern immer etwas zu geben hat? Das ist merkwürdigerweise bisher ja dort am besten gelungen, wo anonyme Bewohner mit anonymen Handwerkern für sich selbst Wohnhäuser gebaut haben: „Architektur ohne

Architekten“ heißt das schon viele Jahre lang erfolgreichste aller Architekturbücher.

Sprechen wir der Ehrlichkeit halber also vom Bauen dort, wo nicht Architekten, sondern Bauleute am Werk waren, dann müssen wir Architekten zugeben, daß Laien und Handwerker mit ihrem Bauen überall auf der Welt mit sehr einfachen, natürlichen Mitteln und mit Rücksicht auf Landschaft uqd Klima eine menschliche Umwelt geschaffen haben, die noch nach Jahrhunderten befriedigt, so sehr, daß sie heute noch den Insassen der so stolzen modernen Wohnhausarchitektur als Zuflucht an den Wochenenden und Ferien dient.

Man muß immer wieder daran erinnern - und tut es immer wieder vergebens -, daß Architekten bis vor hundert Jahren nicht die vielen Wohnhäuser, sondern fast nur die wenigen öffentlichen Bauten entworfen haben, die Paläste, Schlösser, Tempel, Kirchen,

Rathäuser, Triumphbögen, Museen und Mausoleen, kurz die Denkmäler aller Art, und selbstverständlich ist es dabei auf etwas ganz anderes, ja um das Gegenteil gegangen wie beim Wohnhaus: nämlich nicht um eine anheimelnde Welt menschlichen Maßes, sondern um das Setzen weithin sichtbarer Zeichen.

Dabei hat die Masse kleiner, bescheidener, anonymer Wohnhäuser den großen öffentlichen Bauten Maßstab gegeben.

Das alles ist verlorengegangen, seit das Wohnhaus in den Arbeitsbereich des Architekten einbezogen und dabei monumentalisiert worden ist - von den Villen Palladios bis zu Corbusiers Plan Voisin und zur massenhaften Vermarktung dieser Vorsteilungen in der verhängnisvollen Verknüpfung von Bau- und Bodenspekulation mit Geltungs- und Reklamebedürfnis in der Hochhausmode dieses-Jahrhunderts. Damit ist Regel geworden, was früher Ausnahme war. Architekten trennen sich offenbar von Repräsentation und

Monumentalität auch dann nicht leicht, wenn sie für gewöhnliche Leute gewöhnliche Wohnungen bauen, deren privater Charakter das

Gegenteil, nämlich Kleinmaßstäblichkeit und Introvertiertheit verlangen würde.

Inzwischen stellen Ärzte bei den Bewohnern dieser neuen Denkmäler 57 Prozent mehr Krankheitsfälle und 800 Prozent mehr

Neurosen fest als bei Bewohnern von Reihenhäusern, von Isolierung, Kriminalität und höchster Lebensgefahr im Brandfall ganz zu schweigen.

Was hat Architektur solcherart zur Lösung der Probleme der Gesellschaft beigetragen - oder sollte sie diese Probleme vielleicht verschärft und verewigt haben, ja sogar zu ihrer Entstehung beigetragen haben, wenn zum Beispiel 40 Prozent aller Energien, die in der Welt verbraucht werden, nur zur Heizung und Kühlung von Gebäuden, 15 Prozent für Verkehr, der Rest für alles andere dient -

während man bis yor hundert Jahren vergleichsweise fast ohne Energieaufwand gewohnt hat und manchmal vielleicht angenehmer als heute?

Zwar deuten die nostalgischen Neigungen der postmodernen Architektur eine wichtige Wende an. Aber nach den

Architekturmoden der letzten Jahre kreisen auch diese Erörterungen immer wieder nur um Formprobleme.

Könnten die wesentlichen Elemente des Stadtbildes nicht schon in elementaren Größenordnungen zum Ausdruck kommen -

indem zum Beispiel auch moderne Wohnhäuser als Gefäß und Sinnbild der kleinsten sozialen Zelle, des einzelnen und der Familie,

kleingliedrig und bescheiden bleiben, öffentliche Bauten dagegen je nach ihrer Aufgabe und Bedeutung eine dominierende Rolle im

Stadtbild spielen müssen, so daß z. B. ein Gebäude für eine so wichtige gesellschaftliche Aufgabe wie das Fernsehen auch weithin sichtbar auf einem Hügel stehen dürfte?

Bauordnung und Bebauungsplan sollten wohl auch in der Großstadt mit den Naturgesetzen übereinstimmen - Südorientierung von Häusern und Räumen würde nicht nur dem Wohlbefinden der Bewohner, son-- dem auch der Energiebilanz dienen; und ebenso braucht man sich nicht zu schämen, zur Kühlung auch heute wieder Wasser und Bäume einzusetzen - welche Klimaanlage gibt ohne

Bau- und Erhaltungskosten, ohne jeden Energiebedarf Schatten, Kühlung, Sauerstoff, Luftfeuchtigkeit, Windschutz und Blüten und

Früchte dazu?

Erst wenn auch unser Bauen die verlorene Einheit wiederfindet und ernsthaft zur Lösung der Probleme dieser unserer Zeit beiträgt, werden auch wir von Architekturmoden wieder zu einem Baustil gefunden haben.

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