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Ins Leere gesprochen...

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Kaum ein zweiter Gedanke der neueren Architekturtheorie war und blieb so unerhört wie Loos' Ablehnung des Ornaments. Er erregte die Gemüter so allgemein und heftig, daß die Begründung des Gedankens völlig unterging und bis heute nicht wieder zu Bewußtsein gekommen ist.

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Kaum ein zweiter Gedanke der neueren Architekturtheorie war und blieb so unerhört wie Loos' Ablehnung des Ornaments. Er erregte die Gemüter so allgemein und heftig, daß die Begründung des Gedankens völlig unterging und bis heute nicht wieder zu Bewußtsein gekommen ist.

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Dabei war eigentlich gar nicht der Gedanke so neu, denn ornamentlose Gebrauchsgegenstände wurden jederzeit und auch damals selbstverständlich verwendet, und auch schmucklose Wohnhäuser wurden bereits vor 1908 und nicht allein von Loos gebaut.

Aufreizend und neu wirkte die unbeirrbar prophetische Art, mit der die Idee vorgetragen wurde. Jedoch wirklich neu und revolutionär war allein die Begründung des Gedankens, doch gerade dieser war wenig Wirksamkeit beschieden, weil nur wenige Menschen begabt sind, genau hinzuhören und Gedachtes nach-zuvollziehen.

So wurde zwar die sensationelle Rede alsbald in nahezu alle Kultursprachen übersetzt und erschien 19291, als die Ornamentlosigkeit längst obligatorisch geworden war, sogar noch im Deutschen. Aber vermutlich war das ganze human gebundene Gedankengefüge Loos' schon damals ausgehöhlt und zum Slogan umgemünzt worden. Also sprach Adolf Loos, heißt es seither im Jargon der Rückversicherer: „Ornament ist ein Verbrechen!“ Zusammen mit der Unmöglichkeit, Loos' hochentwickelte Raumgestalten photographisch gerecht zu werden, ist gerade diese groteske Zitatfälschung wesentliche Ursache dafür, warum in den Werken über die Entwicklung der neueren Architektur Loos kaum noch gewürdigt, sondern höchstens als Kuriosität am Rande mit eben dem „Loos-Zitat“ erwähnt wird. Unverstand gleich wie Besessenheit | haben den Trieb des so menschenfreundlichen Loos'schen Gedankengebäudes durch Radikalisierung eingehen lassen, ehe es trächtig wurde und seinen Schöpfer zum Extremisten gestempelt, der in Fußnoten abgetan oder eingeklammert werden kann. Einige zufällig herausgegriffene Beispiele mögen das zeigen. Bereits die Schuljugend erfährt: „Der Wiener Architekt Adolf Loos (1870 bis 1933) verwarf alle Stile, erklärte sie und jedes Ornament als Lüge, stempelte die Architekten als Verbrecher ab und baute gleichsam als Beispiel für die einzig berechtigte Art von Baukunst um 1910 das erste Haus, das als vollständig schmuckloser Würfel mit einem flachen Dach eingedeckt wurde2.“ Daher scheint das folgende sogar logisch: „Der Kämpfer gegen das .Ornament als Verbrechen' hat das mit weitgehender Ablehnung bezahlen müssen, auch mit einem traurigen Schicksal seiner meisten Bauten in Wien. So mochte wirklich vieles, was Loos zu sagen hatte, ,ins Leere gesprochen' sein3.“ Nicht ganz so grotesk erscheint es, wenn es heißt: „Vielleicht stärker noch als durch sein Schaffen, dessen Entfaltung durch Mißgunst und Verständ-nislosigkeit beeinträchtigt wurde, hat Loos durch seine kritischen Betrachtungen in Wort und Schrift gewirkt. Er war ein leidenschaftlicher, ebenso geistreicher wie rücksichtsloser Polemiker, der nicht müde wurde, seine Lehre von den ,reinen Formen' und vom ,Ornament als Verbrechen' zu verkünden4.“ Das macht immerhin verständlich, wieso behauptet werden kann: „Aus dem Jahre 1908 stammt der Aufsatz ,Ornament ist ein Verbrechen', der in der ganzen Welt zum Schlagwort für die Abkehr vom Jugendstil wurde3.“ Kein Schlüssel zur Architektur von heute ist auch die Feststellung: „Noch fanatischer als Hoffmann verfocht Adolf Loos (1870 bis 1933) das Prinzip der Architektur des rechten Winkels und der schmucklosen Fläche als Ausdruckselement. Seine Schrift .Ornament ist Verbrechen', seine frühen Einfamilienhäuser, sollten programmatisch den Jugendstil überwinden, waren ihm aber dennoch eng verbunden5.“ „Adolf Loos hatte sein Verdikt: .Ornament ist Verbrechen!' noch nicht gesprochen (1910), und es war auch noch nicht zum Slogan geworden.. .6“. den di kulturbeflissene Fremdenverkehrsstelle der Stadt Wien leider ungeprüft sogar in vier Fremdsprachen kolportiert: „Adolf Loos mit seinem .Ornament ist Verbrechen' war der große Uberwinder des Jugendstiles. ... .ornamentation is a crime'... ,les ornaments sont un crime'... ,1'ornamento e un delitto'... .ornamento es crimen'.. .V „ ,Das Ornament', pflegte Perret zu sagen, .verbirgt einen Fehler in der Konstruktion'. (Adolf Loos, ein Wiener Zeitgenosse Perrets, bezog in diesem Punkt noch heftiger Stellung; nach seiner Meinung war das Ornament ,ein Verbrechen!')8.“ Seinen amerikanischen Lesern will Kidder Smith nicht weismachen, was er in der deutschen Fassung schreibt: „Seine Schriften .Ornaiment ist Verbrechen' (1908), ,1ns Leere gesprochen' (1897 bis 1900) und ,Trotzdem' (1900 bis 1930) gehören zu den ersten Programmen der neuen Sachlichkeit'.“ Den absoluten Tiefpunkt erreicht aber unzweifelhaft folgender blühender Unsinn: „Den besessenen Puritanismus dieser österreichischen Reaktion faßte Adolf Loos in seinen zeitgenössischen Polemiken zusammen, wo er .Ornament' mit .Verbrechen' gleichsetzte und jenen, die es verwendeten, kategorisch sexuelle Perversion zuschrieb10.“ Charakteristisch für die Unausrottbarkeit von Vorurteilen gleich wie für die Gedankenträgheit sogar federführender Männer ist dabei die Tatsache, daß sieben von den neun Beispielen erst nach dem Erscheinen der verdienstvollen Neuausgabe der Schriften von Adolf Loos (1962) veröffentlicht wurden. Ganz abgesehen davon, daß es eigentlich undenkbar sein sollte, daß es Architekturschriftsteller gibt, die den Aufsatz „Ornament und Verbrechen“ nicht irgendwann schon einmal früher in einer älteren Ausgabe nachgelesen haben. Wie ernst soll man das Bemühen solcher Autoren um die Darstellung der neuen Architektur eigentlich nehmen?

Ebenso bedauerlich wie allerdings logisch ist, daß die mindestens von den Wiener Architekturstudenten sehnsüchtig erhoffte Neuausgabe der Schriften von Adolf Loos, deren erster Band seit 1962 vorliegt12, infolge der Verketzerung tatsächlich nahezu unverkäuflich ist, so daß sich der Wiener Verleger außerstande sieht, den so notwendigen zweiten Band folgen zu lassen. Kommentar überflüssig? Sollte am Ende gar, wenn (in unseren superdemokratischen Zeitläuften) alle dagegen sind, doch Loos geirrt haben?

Oder gilt nicht vielmehr doch die Definition Klingers, wonach Wien „viel weniger die Brücke von Ost nach West ist, als vielmehr der Kreuzungspunkt, an dem die wei-testblickenden und klügsten Menschen mit den verantwortungslosesten Dummköpfen zusammen-' stoßen“11.

Ich meine, daß gerade wir und gerade heute das Wort Adolf Loos' so notwendig brauchen wie eh als das eines Rufers in der Wüste der Irrungen zwischen der unbedingten Verdammung des Ornaments als Verbrechen und der Verniedlichung des Verbrechens als Ornament, wie sie uns heute allenthalben eingebläut werden soll. Loos' Gedankenerbe ist einer der ganz wenigen unverrückten Fixpunkte, die wir heute noch haben.

P. S.: Was aber Loos über Ornament und Verbrechen eigentlich wirklich gesagt hat?

Ich zitiere — Kant: „Reich ist man nicht durch das, was man besitzt, sondern mehr noch durch das, was man mit Würde zu entbehren weiß. Und es könnte sein, daß die Menschheit reicher wird, indem sie ärmer wird, und gewinnt, indem sie verliert.“

Bei Loos schlagen Sie besser selber nach.

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