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Mit Loos in Paris

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Im Frühsommer des Jahres 1920, wenige Wochen nach unserer Heimkehr, erhielt Loos die Einladung, im „Salon d'Automne“ desselben Jahres auszustellen. Es war dies eine der größten Genugtuungen und Freuden, die Loos in seinem ganzen Leben erfahren hatte. Seine Augen leuchteten. Ich wußte genau, was er dachte: Frankreich erteilte ihm eine Ehre, die ihm sein Vaterland immer und immer wieder verweigert hatte. Aber er sprach nicht aus, was er dachte.

Der Sommer verging rasch mit Vorbereitungen und einigen Ausflügen ins Sallzkamimergiuit. Ende September waren wir bereits in Paris, um alles in Ruhe vorbereiten zu können, Loos hatte einen sehr schönen Platz im Ausstellungsge-bäude zugewiesen bekommen. Im Erdgeschoß stellten die Architekten aus, im ersten Stock die Maler und Bildhauer. Unser Platz war, wie ein mittelgroßes Zimmer mit drei Wänden, sehr günstig gelegen. Ich hatte drei Tage Zeit, unter Loos' Anordnung und mit Assistenz von Henry Berque die Wände zu tapezieren, die Pläne aufzuhängen, die Maquette und alles, was wir an sonstigen Material mitgebracht hatten, Photographien, Zeichnungen usw. anzuordnen. Wir hatten nur eine einzige Maquette, das Projekt der Semme-ringschuie, aber diese Maquette bezauberte alle Leute, obwohl ihr die bergige Umgebung fehlte. Ich selbst konnte mich nie an ihr sattsehen. In ihr kommen alle „Regeln für den, der in den Bergen baut“, zur Geltung.

Loos war sehr beschäftigt. Seine Freunde, vor allem Georg Besson, der die Einladung für den Salon dAutomne in die Wege geleitet hatte, beschlagnahmten ihn völlig. Sie gingen mit ihm zu den Zeitungen und zu allen Leuten, die irgendwie von Bedeutung für ihn sein konnten. Trotzdem erschien Loos täglich im Salon, um die Vorbereitungen für die Ausstellung ziu überwachen. Abends ginigen wir manchmal aus, aber in den ersten Taigen waren wir zu erregt, um uns für etwas anderes als die Ausstellung zu interessieren. Endlich wurde sie eröffnet. Ich sage endlich, denn die drei Tage erschienen mir wie drei Ewigkeiten. Die Leute begannen in den Saal zu strömen. Es kamen unglaublich viele Menschen. Ich hätte nie geglaubt, daß sich so viele Menschen für Kunst und Architektur interessierten. Ich hatte mich verpflichtet, den ganzen Tag in unserem Stand zu bleiben und eventuelle Erklärungen abzugeben. Die Tage verflogen, so viel gab es zu erklären. Die Besucher wollten alle Einzelheiten wissen. Wer Loos war, wo er baute, wo die Sem-meringschule stünde, was Semme-ring bedeutete. Sie studierten die Pläne, die an den Wänden hingen, mit größter Gewissenhaftigkeit und bewunderten die Photographien. Natürlich kamen alle Leute, die Loos kannten, Le Corbusier, der Maler Fuyitsa, der im ersten Stock ausstellte, und viele andere. Die Ausstellung blieb zehn Tage geöffnet. Unter der Woche flauten die Besuche ein wendig ab, aber samstags und sonntags waren die Räume so überfüllt, daß man sich kaum umdrehen konnte. Und endlich wurde die Ausstellung geschlossen, wir packten alles ein und waren wieder normale Menschen. Wir ruhten einen Tag aus und entschlossen uns dann, den ganzen Monat in Paris zu bleiben. Jetzt, da unsere Erregung abgeklungen war und nur die angenehme Erinnerung blieb, begannen wir uns alles anzusehen, was wir bei unserem letzten Besuch versäumt hatten.

Damals feierte Raquel Meiler, die spanische Sängerin, Triumphe in Paris. Sie war wirklich bezaubernd und eine große Künstlerin. Die Franzosen vergötterten sie, auch wegen ihres Privatlebens. Sie verdiente sehr viel Geld, lebte jedoch äußerst..bescheiden in einem kleinen Hotel und kochte sich ihr Essen selbst. Das begeisterte die Presse und das Publikum. Raquel Melier, die eine fabelhafte Karriere machte und Jahrelang in den Pariser Revuetheatern dominierte (sie war eine große Konkurrentin für Miistinguette und Josephine Baker), starb im Jahre 1965 arm und verlassen in Madrid. Ihre einzige Begleiteirin war eine Katze.

Während unseres Aufenthaltes In Paris fand auch ein anderes großes künstlerisches Ereignis statt Isadora Duncan trat zum enstenmall nachdem Krieg wieder auf, und zwar tanzte sie im „Trooadero“. Das „Trocadero“, das später niedergerissen wurde, war einer der größten Säle, den ich je gesehen habe. Loos erzählte mir begeistert vom der Dunoan, von ihrem ersten Auftreten in Wien im Cari-theater. Als junge Tänzerin, barfuß ohne Trikot, nur mit einer leichten griechischen Tunika bekleidet, vernichtete sie an einem einzigen Tanzabend alles, was bisher „klassisches Ballett“ geheißen hatte. Das war eine echte Revolution. Ihr Auftreten gab Grete Wiesenthal den Mut, die Spitzerischube in eine Ecke zu werfen, das Opernballett zu verlassen, und such selbst zu realisieren. Loos kaufte sofort zwei Karten für den Abend der Duncan, dabei durften wir natürlich nicht fehlen. Nie sah ich wieder etwas Ähnliches in meinem Leben.

Das Programm war imponierend. Isadora tanzte eine ganze Beethoven-Symphonie von A bis Z, dann noch Chopin, Tschaikowsky und andere Klassiker. Ein Symphonieorchester mit mindestens 80 Musikern begleitete sie, und ein bedeutender Dirigent, ich glaube, es war Rainaldo Hahn, leitete das Orchester. Der Saal war überfüllt, das Publikum kam aus allen Schichten der Bevölkerung, alte Leute, junge, reiche, arme. Alle waren unbeschreiblich erregt und schon vor dem Erscheinen der Dunoan begeistert. Als das Konzert begann, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Eine ziemlich dicke, ältere Dame in griechischer Tunika und wirklich zu nackt sprang auf der Bühne herum, trampelte, wenn Beethoven grollte, hüpfte, wenn die Musik lieblicher wurde. Es war ein unbeschreiblich lächerüicber Anblick. Die Musiker Adelten und bliesen aus Leibeskräften, und Isadora sprang herum, sie schüttelte den Bubikopf, man konnte sehen, daß sie sich großartig unterhielt. Sie ließ Schleier wehen, sie ballte die Fauste, stampfte mit den Füßen und gab nicht auf. Die Beethoven-Symphonie dauerte sehr lange, aber die Duncan stand es durch. Der Applaus nach dem Gehopse war unbeschreiblich. Die Leute brüllten vor Begeisterung. Ich sah Loos an, ich war entsetzt Loos lachte und'sagte: „Applaudier, applaudier“, und ich gehorchte ihm. Dann meinte er: „Ja, das ist wirklich unglaublich. Wenn du sie vor 15 Jahren gesehen hättest, damals war sie reizend. Sie war die erste Frau, die nackt tanzte und die Regeln des alten Balletts verwarf. Sie ist einePionäerin, das darf man nicht vergessen, und deswegen applaudieren die Leute so. Man darf nicht vergessen, was sie für den modernen Tanz getan bat.“ Loos hatte sicher recht, aber ich war zu jung, um sie bewundern zu können. Ich dachte an unsere Grete Wiesen-thal, die göttliche, wienerische, an ihre Zartheit und Suggestivkraft, die mit ihren feinen Händen Donau-landscbaften hervorzaubert, ich dachte an ihren Respekt vor der Musik, an ihren Humor und ihre zarten, schlanken Glieder. Natürlich applaudierte ich heftig, während ich an all das dachte, und Isadora kam und verbeugte sich immer wieder. Loos ging ins Künstlerzimimier, um sie zu begrüßen. Ich streikte, und er bestand nicht auf meiner Begleitung. Er ging ein Grab seiner Erinnerungen besuchen.

Am nächsten Tag suchten wir die Tanzschule auf, die Isadoras Schwester Elizabeth und ihr Bruder Reginald in Momtparnasse führten. Leider war gerade keine Ubungsstunde, und so unterhielten wir uns mit den beiden. Elizabeth war ebenso zu mager wie ihre berühmte Schwester zu dick. Der Bruder war als Maler verkleidet, mit einer Samtkappe auf dem Kopf und einer großen Masche als Krawatte. Die Schule war ein recht großes Lokal, alles war sicherlich von Mr. Singer, dam Nähmaschi-nenkönjg. finanziert, denn dieser war Isadoras, baunjjsächllicher Mjäzen. Die Familie Duncan war nicht sympathisch. Trotzdem bedauerte ich das tragische Schicksal Isadoras genauso wie alle anderen.

Während unseres Aufenthaltes in Paris begannen auch die Verhandlungen mit dem Verlag Cres wegen der Herausgalbe des ersten Loos-Buches: „Ins Leere gesprochen.“ Diese Verhandlungen führten uns später zu einem Erfolg, M. Cres kam nach Wien, und das Buch erschien bald darauf. Es war dies das erste Buch in deutscher Sprache, das in Frankreich erschien. Auch das war für Loos ein großer Triumph. Ich hatte wieder im Theätre du Louvre getanzt. Ich bekam einen Antrag, mit dem Casino de Paris nach Südamerika zu reisen, aber Loos wollte nichts davon wissen. Der Augenblick für Südamerika war eben noch nicht gekommen. Im November mußte ich in Prag auftreten, und so fuhren wir in den letzten Oktobertagen nach Wien zurück.

Loos war damals sehr glücklich. Der Erfolg seines Werkes in Paris, der Kontakt mit seinen Pariser Freunden, der Vertrag mit M. Cres, all das machte ihn sehr froh. Ich denke gern an diese Zeit zurück. Ich sehe einen glücklichen Loos, der das Leben genießt und voll Hoffnung in die Zukunft blickt. Weihnachten war dieses Jahr besonders schön. Loos schenkte mir so viele Sachen, daß sie kaum unter dem Weihnachtsbaum Platz hatten. Jedes Geschenk von Loos war etwas Besonderes. Ich glaube, er mußte monatelang gesucht haben, bis er all diese herrlichen Dinge zusammentragen konnte. Leider sind alle diese Geschenke verlorengegangen. Das einzige Geschenk von Loos, das ich noch besitze, ist eine kleine Aktentasche chinesischer Herkunft, die einem Mandarin gehört hat. In ihr bewahre ich meine Dokumente auf.

Aus „Adolf Loos, der Mensch“ von Elsie Altmann-Loos, Herold-Verlag, Wien-München.

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