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Sie rostet nicht

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Meine erste Liebe war die alte Lina, unsere erste Kinderfrau in TriesL Sie soll sehr häßlich gewesen sein, aber uns Kindern gefiel sie, und wir hatten sie sehr gern. Sie stammte aus Gottschee und sprach ein fürchterliches Deutsch, von dem auch wir Kinder etwas abkriegten. Sie sagte „Melizin“, „Franell“, Millich“, und wenn sie auf unsern Spaziergängen das blühende Gesichtchen eines uns begegnenden Kindes mit einem Apfel vergleichen wollte, sagte sie: „Hat Gsicht wie Afferl“, worüber die dazugehörige Mutter aufs tiefste beleidigt war und sich bei der Mama über sie beklagte. Sie konnte weder lesen noch schreiben. Sie war Kinderstubenmädchen und ging, wenn die Mama keine Zeit hatte, mit uns spazieren; entweder nach St. Andre oder in den verwilderten Garten der Villa Murat.

Am Abend aber begoß sie uns im Auftrag der Mama von oben bis unten mit eiskaltem Wasser, was wir uns nur widerwillig gefallen ließen. Dann aber legte sie uns in unsere Betten und wickelte uns warm und gut in unsere Decken.

Unser zweiter Liebling war die Tonza Bader. „Tonzka, Ballonzka, Kaputzka, Kaponzka“ war der Text des ihr zu Ehren komponierten Jubelgesanges, mit dem wir, aus der Schule kommend, in das Schlafzimmer der Eltern stürzten, wo sie einmal der Woche, am Nähtisch der Mama saß und unsere Wäsche flickte.

Sie brachte Freude und Spannung, Emotionen und Tragik in unser Leben. Sie erzählte uns Romane, Liebes-, Räuber-und Gespenstergeschichten, die nicht immer für die Jugend bearbeitet waren, und verstummte oft, sobald die Mama ins Zimmer trat. Wir hockten um sie herum und hörten ihr zu. Sie liebte die traurigen Geschichten mehr als die lustigen, und so kam es, daß wir ihretwegen viele Tränen vergossen. Sie versetzte uns in eine Zauberwelt, die sich unentwirrbar mit unserer Wirklichkeit verflocht und diese erst lebendig und leuchtend machte.

Auch sie war häßlich. An threr Nase hing fast immer ein Tröpfchen, das sie mit dem Wäschestück abwischte, das sie gerade in den Händen hielt. Ihre Zähne waren aus weißem und gelbem Wachs und vertrugen keine warmen Speisen. Deshalb wünschte sie immer allein zu essen.

Als wir von Triest nach Wien übersiedelten, mußten wir uns von ihr und der Lina trennen. Die wollte nicht mit uns kommen, sie hatte Angst vor Wien. Sie wollte in ihre Heimat zurückkehren, wo man Ihr barbarisches Deutsch verstehen und keine Beleidigungen zu befürchten sein würden. Wir Kinder hätten sie gern mitgenommen.

Die Tonza aber mußte mir zur Erinnerung etwas in mein Stammbuch schreiben. Es war aus rotem Plüsch und mit einer seidenen Rose geschmückt. Ich hatte es zu meinem zehnten Geburtstag bekommen, Das Stammbuch ist nicht mehr da, ein Teil des Gedichtes aber ist noch in meiner Erinnerung:

Mir bleibt, wenn du geschieden, mein traurig Herz allein.

Zieh hin, mein Lieb, in Frieden, mein Engel hüte dein.

Mein Bild soll mit dir schweben, in lichter Freuden Schein,

Leb wohl, auf Wiedersehen, mein Engel hüte dein!

Das Gedicht entzückte mich. Ich vergoß Tränen der Rührung und versprach, ihr oft zu schreiben. Zuerst florierte unser Briefwechsel, und ich besitze noch Briefe von ihr, sehr liebevoll in einer zittrigen, steilansteigenden Schrift geschrieben, die fast nur aus Schattenstrichen bestand. Mit der Zeit aber schlief der Briefwechsel ein. Ich erfuhr aber, daß sie zu Verwandten nach Laibach übersiedelt sei. Ich hoffe, es ist ihr gut ergangen.

Fünf lebhafte Kinder, die nicht gerade üppig mit Kleidern und Wäsche ausgestattet sind, zerreißen mehr, als eine geplagte Mutter zu flicken imstande ist. So wurde auch in Wien eine Flickerin ins Haus genommen. Es war wieder eine ältliche Frau. Sie hieß Klothilde Berthai. Sie war mit einem Theaterdirektor verheiratet gewesen, der ihr, so vermuteten wir, übel mitgespielt hatte. Sie sprach nie darüber. Trotzdem hatte sie ihren Humor nicht verloren und sang und deklamierte aus ihrem Repertoire alles, war wir verlangten. Sie war Lokalsoubrette gewesen. „Ich war jung, hübsch, geistreich!“ sagte sie, wenn sie von sich und ihren Erfolgen berichtete. Sie sprach ein reines Hochdeutsch.

Sie hatte die Eigentümlichkeit, beim Nähen weder einen Knopf zu machen, noch den Faden zu vernähen. Merkwürdigerweise hielten ihre Sachen doch wie durch ein Wunder zusammen.

Besonders herzlich war ihr Verhältnis zu unserer kleinen Schwester. Die Kleine saß mit ihren Puppen bei ihr am Nähtisch, der zur Bühne geworden war, und beide spielten Theater. Die Hauptrolle hatte eine der Puppen, die „Frau Srhlin-kafunza“ genannt wurde. Wir durften leider nie zuhören.

Frau Klothilde wurde dann an Bekannte weitergegeben und kam auch in den Haushalt zweier Brüder, die beide Junggesellen waren. Als einer von ihnen beim Durchsehen eines geflickten Wäschestückes noch einige Löcher entdeckte und Frau Klothilde darüber Vorwürfe machte, soll sie geantwortet haben: „Das verstehen Euer Gnaden nicht! Die Wäsche muß Luft haben!“ Dieser Ausspruch machte sie berühmt. Sie hatte einen Sohn, der Violinist war und in der Welt herumzigeunerte. Sie klagte nie. Aber ihre Augen blickten oft unstet und trübe.

Sie lebte gern auf dem Lande. In der öd bei Gutenstein hielt sie sich oft auf und errang die Liebe der Kinder durch das Nähen von Puppenkleidern. Ihr größter Wunsch wäre gewesen, ihren Lebensabend dort zu verbringen. Ich hoffe, er ist in Erfüllung gegangen.

Gleichzeitig mit ihr kam das Fräulein Auguste Breyl in unser Haus. Sie gab uns Klavierunterricht. Auch sie war nicht mehr jung. Klein und rundlich, trug sie ihr angegrautes Haar gescheitelt, und über dem Zopfnest eine große schwarze Samtmasche. Ihre Kleider, die sie sich selbst nähte“, hatten immer denselben Schnitt. Auf den Kopf setzte sie ein kleines Capotehütchen mit Bindebändern und Schleierchen. Und wenn wir Mädchen sie nach der Stunde ins Vorzimmer begleiteten, war es uns ein Genuß, zuzusehen, wie sie vor dem Spiegel langsam und genau die Bindebänder zu einer symmetrischen Masche verflocht und beim Umbinden des Schleiers rhythmische Bewegungen mit dem Mund dazu machte.

Sie stammte aus Prag und trug eine unausrottbare Anbetung für Hofräte und andere studierte Männer in ihrem Herzen.

Sie war ein seelengutes Ding, spielte, wenn wir tanzen wollten, unermüdlich dieselben Polkas und Walzer, lachte Tränen über unsere Scherze, buk uns zu Weihnachten einen köstlichen Stollen und beschenkte uns mit altem Porzellan und schönen, alten, seidenen Tüchern.

Auch dann, als mit dem Klavierunterricht gestoppt wurde, kam sie noch lang ins Haus. Sie kam über den Tag, leistete am Vormittag der Mama Gesellschaft und nähte für uns, nachmittags aber wurde frenetisch vierhändig gespielt.

Nach dem ersten Weltkrieg verloren wir sie leider ganz aus den Augen.

Das ist die Geschichte meiner vier alten Lieben. Immer wäre es mein Wunsch gewesen, ihnen eine Heimstätte bereiten zu können. Er mußte zu den andern „unerfüllten“ gelegt werden.

Sie sind schon lange tot. Aber so lang ich lebe, wird, die Erinnerung an sie in mir lebendig bleiben.

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