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ORNAMENT, KLEINSCHREIBUNG UND VERBRECHEN

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„Jeder Wissende irrt sich, und jedes edle Pferd stolpert.“

(Arabisches Sprichwort)

„Ins Leere gesprochen“ und „Trotzdem“ lauten die Titel der bisher erschienenen Schriften von Adolf Loos, deren Herausgabe sehr dankenswert ist, wenngleich die Titel sich als unzutreffend erwiesen. Loos hatte ja gar nicht „ins Leere gesprochen“. Verkündet er doch selbst, er habe, aus dreißigjährigem Kampf als Sieger hervorgegangen, die Menschheit vom überflüssigen Ornament befreit. Diese Tat ist ihm hoch anzurechnen, aber sie gelang nicht „trotzdem“, sondern „weil“ er unermüdlich für seine Idee eintrat. Daß er dabei — wie so mancher Streiter für eine gute Sache — zu weit ging und das Kind mit dem Bade ausschüttete, sollte davor bewahren, ihm auf allen seinen Wegen, auch in die Sackgasse, blind zu folgen.

Was schlecht gehandhabt wird (sei es die Landwirtschaft, die ärztliche Kunst, die Erziehung und so weiter) wirft man nicht kurzerhand über Bord, sondern sucht man zu verbessern, zu erneuern, zu reformieren.

*

Kunst entspringt einem Urtrieb des Menschen, und damit verbunden ist — auch nach Adolf Loos selbst — das Schmuckbe-dürfnis. Nach Worringer etwa kommt in der Ornamentik das Kunstwollen seines Volkes am reinsten und ungetrübtesten zum Ausdruck, und der Genannte betont damit ihre Wichtigkeit für die Kunstentwicklung.

Nun hat ja Loos völlig recht, wenn er Pfefferkuchen nicht mit Herz oder Wickelkind oder Reiter verziert sehen will, gar wenn derlei Enbleme, geschmacklos-bunt auf Papier gemalt, dem Kuchen aufgeklebt weiden. Aber muß dann solch ein Pfefferkuchen wirklich unbedingt „ganz glatt“ sein? „Mir schmeckt es so besser“ meint Loos. Nun: Die Bäuerin gibt ihrem Butterplumpen durch aneinandergereihte Eindrücke der Messerspitze einen primitiven Schmuck, den sogar Loos „erträgt“, und die einfachen Zierformen goldgelber Semmeln, Kipferln oder Striezeln tragen dazu bei, daß dieses Gebäck besser mundet als eine ge-backene formlose Teigmasse, die nur der Magenfüllung dienen würde. Mit dieser begnügt sich das Tier, aber nicht der Mensch. Niemand wird bestreiten, daß eine appetitlich gebotene Speise, eine geschmackvolle Obstschale, ein Blumenschmuck auf dem Tisch oder eine geeignete Tafelmusik dem Menschen (und nur diesem) den Genuß beim Essen steigern kann. Es schmeckt so „besser“ und es schlägt auch so besser an. Solche Förderung der Bekömmlichkeit ist also zweckdienlich, nützlich, sohin schon rein sachlich durchaus vertretbar. Der Wunsch, mit Lust, mit Freude zu speisen, ist ebenso berechtigt wie jener, in einem Sessel bequem zu sitzen. Und die Erfüllung beider Wünsche ist wichtig. I rioiiulovsjl sJo >'ijb <i .

Ein völlig ornamentloser &#9632; ZüstanS wird auch nicht in Iaht-, . taufenden? wie fcö'Ss '< fteMt,: 'eirftfefeifcssAbs .angenommen,-: es käme dazu, „dann wäre unzähligen Menschen die Freude genommen“. So sagt Loos selbst. Man sollte vielmehr den Menschen von Kindheit an entsprechend bilden, seinen Sinn für das Echte, Wertvolle wecken und beleben. Damit bekämpft man schlechte Ornamentik positiv und fruchtbar. Bloße Negation entspringt dem Geist, der stets verneint.

Unstillbar wie der Nahrungstrieb des Tieres ist das Bedürfnis des Menschen nach geistiger Nahrung. Und wie es das Ornament (als typische Ausdrucksgebärde des Menschen) immer und überall gegeben hat, so wird es dieses Signum des „Menschen“ irgendwie, wenn auch noch so schlicht, immer und überall geben.

Adolf Loos selbst hat an seinem Haus auf dem Michaelerplatz auf ornamentale Wirkung nicht völlig verzichtet. Als das erste Ornament, das geboren wurde, bezeichnet er das „Kreuz“. Seine Deutung dieses Ornamentes als Vereinigung von Mann und Weib war wohl zeitbedingt. Von der damals modernen Psychoanalyse sind schon Freuds Schüler Jung und Adler abgerückt. Egon Friedell übte an ihrem „Pansexualismus“ harte Kritik; sie verliere sich in eine morose und abstruse Scholastik, die mehr schade als nütze. Karl Kraus hat sie sarkastisch abgetan, und Viktor Frankl bezeichnet die Psychoanalyse, welche die Seele, die Ganzheit der menschlichen Person irgendwie zerstöre, trotz Anerkennung der Verdienste ihres Begründers, rundweg als „überholt“, ja als „reaktionär“. Das Kreuzornament mußte also gar nicht partout psychoanalytisch gedeutet werden, zumal es weit näherliegcnde natürliche Erklärungen gibt. Senkrechte und Waagrechte sind elementare Grundrichtungen, die der Mensch nicht egoistisch auf sich allein beziehen soll. Senkrecht wirkt die Schwerkraft. Senkrecht wächst alles Leben zum Licht. Waagrecht dehnen sich Ebene, Meer, Horizont. Der Mensch (nur ein Teil der Welt) erlebt diese Grundrichtungen ununterbrochen an und in sich selbst. Wachend steht, geht oder sitzt er senkrecht. Schläfer und Tote liegen waagrecht. Senkrechte und Waagrechte des Kreuzes sind also wohl Sinnbilder für Tag und Nacht, Wachen und Schlafen, Leben und Tod.

Nun erscheint am „Loos-Haus“ der Abstand zwischen den Fenstern allseits gleich groß, so daß eben dadurch die Mauerflächen der Fassaden besonders auffallend eine vielfache Kreuzwirkung ergeben. Aber auch die Monolithsäulen im unteren Teil des Gebäudes, die ein Gebälk tragen und sich obenhin fortsetzen, bilden mit dem Gebälk eine Art Kreuzornamentik, die geradezu in die Augen springt. Der grüne Cipollinomarmor hat mit der Sachlichkeit eines Gebrauchsgegenstandes nichts zu tun, sondern ist ein allerdings materialbedingtes Ornament. Und das Haus ist keineswegs „ganz glatt“ (wie der ideale Pfefferkuchen), sondern es weist eine erhebliche Anzahl verpönter „Vorsprünge“ auf. Es ist also bei weitem nicht so radikal wie die Schriften seines Erbauers.

ganz anderes bedeuten, je nachdem sie groß oder klein geschrieben werden?

Freilich: Das Mittelalter kannte die Kleinschreibung. Doch es kannte auch Aberglauben, Hexenwahn, Femegericht, Tortur und Scheiterhaufen Wenn uns all das kein rühmliches Vorbild ist, warum sollte es gerade die Kleinschreibung sein?

„Man kann keine großen Anfangsbuchstaben sprechen“, meinte Loos. Das beruht auf einem Denkfehler. Man kann doch auch keine kleinen, ja überhaupt keine Buchstaben „sprechen“. Buchstaben kann man nur schreiben, zeichnen oder (wie die Buchenstäbe) legen. Sprechen kann man bloß Laute. Schrift wendet sich an das Auge, Sprache wendet sich an das Ohr. Und wenn ein monotones, ausdrucksloses Leiern vermieden wird, indem einzelne bedeutsamere Wörter beziehungsweise Silben oder Laute durch ein akustisches Mittel, durch stärkere Betonung, hervorgehoben werden, so darf wohl dementsprechend die Schrift durch ein ihr gemäßes optisches Mittel, eben die Großschreibung, bedeutsame Wörter hervorheben.

Und daß es bedeutsamere Wörter gibt, steht fest. Nicht umsonst spricht man von Haupt Wörtern. Diesen Hauptwörtern würde bei einer Kleinschreibung gleichsam der Kopf abgeschlagen, sie würden ent-hauptet, sie würden des Wahrzeichens ihrer Eigenart beraubt.

Nach Klabund besteht ein chinesisches Gedicht nur aus charakteristischen Wörtern (meist Hauptwörtern), die ohne Bindung aneinandergereiht werden, wie etwa: Mond steht Berg. Glanz über Wald. Ferne Flöte. Mädchen tanzt. Gelbe Seide. Das Gedicht „Der Lindenbaum“ läßt — wie unzählige andere — bloß aus seinen Hauptwörtern den Inhalt erahnen, während alle anderen Wörter für sich so gut wie nichts sagen. Der Ausdruck „Hauptwort“ ist also zutiefst berechtigt.

Loos behauptet, jedermann spreche, ohne an große Anfangsbuchstaben zu denken. Aber das ist eine Binsenwahrheit. Man „denkt“ beim Sprechen an den Sinn des Gesprochenen, allenfalls an Worte, nie und nimmer aber an „Buchstaben“, wären es große oder kleine.

Die Großbuchstaben sind Hervorhebungen, Vorsprünge, wie sie auch bei den Kleinbuchstaben vorkommen, denn ein kleines b, d, f und so weiter springt höhenmäßig über einem a, c, e und so weiter hervor. Auch ist ein sogenanntes kleines b, d, f und so weiter gar nicht kleiner als der entsprechende Großbuchstabe, und das große I ist sogar schmäler als die zuvor erwähnten Kleinbuchstaben. Daß, abgesehen von diesem Fall, der Majuskel wesentlich breiter ist als der Minuskel, trifft nur teilweise zu (siehe „Unterricht in ornamentaler Schrift“ von Rudolf Larisch). Aber was wollte man auch mit erspartem Platz anfangen? Nicht nur der kämpferische Schopenhauer ist schon gegen das Ersparen von Buchstaben und die damaligen Schreibgewohnheiten eaex-

gisch aufgetreten, sondern auch der maßvolle Goethe, den Loos als „modernen“ Menschen bezeichnet, schrieb ironisch: „So soll die orthographische Nacht doch endlich ihren Tag erfahren; der Freund, der so viel Worte macht, er will es an den Buchstaben sparen“. Loos zeigte Ehrfurcht vor der Sprache Goethes. Wäre da nicht auch dessen Schrift mit Majuskeln achtenswert?

Karl Kraus, der sprach- und schriftgewaltige Zeitgenosse von Leos, hat die Ersparungswut der „Ortografen“, die „für Gottes Wort kein Ohr“ haben, gebrandmarkt und in seiner „Elegie auf den Tod eines Lautes“ die Einbuße des th in Worten wie Blüthe, Thau, Werth und so weiter bitter beklagt. „Kein Wort darf Seele haben“ und „Der Geist dankt ab“ war sein Menetekel. Dieser große Polemiker und Satiriker, den Loos selbst als Rufer in der Wüste preist, ließ die Großbuchstaben unangetastet. Und Georg Trakl, der in einem Brief den „herrlichen Loos-Lucifer“ grüßen ließ und ihm ein Gedicht widmete, hat nichtsdestoweniger weiterhin „groß“ geschrieben. Kraus oder Traki sind wohl ganz besonders kompetent, zumal auch Loos selbst bekennt, Kraus

stehe an der Schwelle einer neuen Zeit und weise der Menschheit den Weg. In seinem Nachruf auf Peter Altenberg schrieb Loos den Wienern, daß seit dem Begräbnistag Grillparzers kein Größerer ihrer Söhne zu Grabe getragen wurde. Peter Altenberg aber schrieb „groß“, und Grillparzer gleichfalls. Dieser wendet sich überdies gegen steinerne Denkmale für die Großen und mahnt: „Wollt ihr sie aber wirklich ehren, so folgt ihrem Beispiel und horcht ihren Lehren.“

Schließlich aber hatte sich sogar ein Vertreter der Schreibreform, Dr. Franz Thierfelder, ursprünglich für die Großschreibung der Hauptwörter eingesetzt, weil er in der Kleinschreibung einen unnötigen Verlust an Ausdruckskraft unseres Schriftbildes erblicke, und weil das Auge beim Lesen rascher ermüde. Er stehe nicht an zu behaupten, daß die Großschreibung der Substantive ein Vorzug sei, um den uns andere Völker eigentlich beneiden müßten. Eben das haben unsere großen Dichter bis auf den heutigen Tag empfunden und diesen Vorzug nicht preisgegeben.

Schon aus rein sachlichen Gründen also haben Großbuchstaben ihre Berechtigung. Sie fördern die Erkennbarkeit und damit die Lesbarkeit des Schriftbildes und sie verzögern die

Ermüdung der Augen. Sie verhüten eine ermüdende Einförmigkeit, eine Uniformierung, und geben der Schrift ausgeprägteren Charakter. Zweckentsprechend sei nicht nur der Sessel, sondern auch die Schrift. Der Wunsch, leichter zu lesen, ist ebenso berechtigt wie der Wunsch bequem zu sitzen oder mit Lust und Freude zu speisen.

Loos selbst würde sich wohl heute solchen Argumenten nicht verschließen. Der auch von ihm so geschätzte Goethe hat im Alter von 80 Jahren auf den Vorhalt, er denke nun über ein Problem anders als vor Jahrzehnten, gefragt, ob er darum achtzig Jahre alt geworden sei, um jeden Tag dasselbe zu sagen: man müsse sich doch immerfort entwickeln und verbessern. „Irrend lernt man“, rief er seinem Sohne zu. „Dem Irrtum sind die Menschen samt und sonders ausgesetzt. Doch der ist weder unklug noch beschränkt, der nach dem Irrtum sich vom Fall erhebt, anstatt im Unrecht trotzig zu verharren“ (Sophokles).

Kleinschreibung wird heute von manchen auch vertreten, weil sie neu, fortschrittlich, modern wirkt. Aber Mode ändert sich. Und selbst in dieser Hinsicht zeuge Adolf Loos selbst für die Großbuchstaben mit seinen Worten: „Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Veränderungen der alten Bauweise sind

nur' dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim Alten.“

*

Es gibt aber ein Mittel, der Hauptschwierigkeit beim Schreiben Herr zu werden. Dr. Thierfelder hat mit Recht betont: „Nicht die Großschreibung einer einzelnen Wortkategorie bereitet dem Schüler Schwierigkeiten, sondern der willkürliche oder ausgeklügelte Wechsel zwischen Groß- und Kleinschreibung bei adverbialen Ausdrücken und Adjektiven.“ Kniffelige Ausdrücke wie „alles mögliche, heute mittag, im großen und ganzen“ und so weiter, deren Schreibung auch intelligenten Menschen mitunter nicht geläufig erscheint (eben weil sie unwesentlich, belanglos ist) könnte man hinsichtlich der Schreibung (groß oder klein) einfach freistellen, zumal in solchen Fällen die Wörterbücher zu verschiedenen Zeiten sich ja auch sehr oft verschieden verhielten. Damit ließe man eine weise Freizügigkeit walten, die nicht alles und jedes (Alles und Jedes bis ins kleinste Kleinste) starr festgelegt. Hermann Hesse, gleich Thomas Mann,

Nun sieht aber Adolf Loos auch in den Großbuchstaben unserer Schrift ein überflüssiges Ornament, das zu beseitigen wäre. Und auch da begibt er sich auf bedenkliches Glatteis. Er beruft sich auf Jacob Grimm. Doch der vertrat die Kleinschreibung durchwegs, auch am Satzanfang, was Loos wohlweislich vermeidet. Aber warum soll das „große Gestirn“, die Sonne, klein geschrieben werden, während sich Poldi Huber groß schreiben darf? Wären die Eigennamen als solche nicht ohne weiteres zu erkennen, während wir unzählige Wörter haben, die etwas

sin erklärter Gegner der Kleinschreibung, sieht im Duden kein „Gesetzbuch“, keinen „Popanz und Gott der eisernen Regeln, der möglichst vollkommenen Normierung“, sondern einen „Ratgeber“, der gewisse Schreibmöglichkeiten offen läßt. Auch er wollte in der Schrift gewisse Freiheiten, „für die es keinen Duden und keine staatliche oder berufliche Autorität gibt“. Derartiges hat aber sogar der Duden und das Österreichische Wörterbuch bereits vorgesehen. Es wurde freigestellt, „das erstemal“ oder „das erste Mal“, „zuguterletzt“ oder „zu guter Letzt“, „danksagen“ oder „Dank sagen“, „anhand“ oder „an Hand“ und so weiter zu schreiben. Was liegt näher, als eine bereits^ in beschränktem Maß gehandhabte kluge Praxis auf einen etwas weiteren Kreis (der gar nicht so groß wäre) auszudehnen. Es verschlägt nichts wenn der eine „aufs beste“, der andere „aufs Beste“ schreibt. Das tut dem Geist der Sprache keinen Abbruch und kann getrost jedem einzelnen überlassen bleiben.

Eine solche Freistellung wäre das Ei des Kolumbus. Zweifel und Schwierigkeiten wären mit einem Schlage behoben. Die Lehrer brauchten derlei freigestellte Schreibungen nicht zu ahnden, es gäbe keine Minderwertigkeitsgefühle, und die unschwer erlernbare, aber zum rechten Verständnis wertvolle Großschreibung der echten Hauptwörter bliebe gewahrt.

Großbuchstaben sind nun einmal kein „Unrat“, wie Jacob Grimm annahm. Und nicht jedes Ornament ist Verbrechen. Aber Karl Kraus, der „weise Hohepriester der Wahrheit“, der „zürnende Magier“, würde es als Verbrechen anprangern, sich an einer Schrift zu vergehen, der unsere größten Schöpfer und Meister der Sprache nicht nur seit Jahrhunderten sich bedienten, sondern der sie — den Eigenbrödler Stefan George allein lassend — standhaft die Treue hielten. Ihr Votum sei einem Kulturvolk maßgebend.

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