6548845-1947_30_12.jpg
Digital In Arbeit

Musik des Schreibens

Werbung
Werbung
Werbung

Worin die Schönheit, die in einer dekorativen Schrift beschlossen liegt, eigentlich so recht besteht, ist nicht von jedermann leicht zu ergründen. Dennoch wird der künstlerisch empfindsame Mensch, wenn ihm verschiedene,Schriften vorgelegt werden oder er sonst ihrer .ansichtig wird, ohne Schwierigkeit feststellen können, daß diese schön und jene geradezu „schlecht“ sei, obwohl er über die Gesetze, die für die Schriftgestaltung Geltung haben, so gut wie gar nicht Bescheid weiß. Wiewohl er also vom inneren Wesen einer Zierschrift keine Kenntnis hat, vom Aufbau einer Letter, von der Tektonik, vom Rhythmus in der Schrift nichts weiß, schlägt sein Urteil nicht fehl, es gefällt ihm diese und mißfällt ihm jene. Das Wissen also, inwieweit eine Schrift den Forderungen der für sie bestehenden Gesetze entspricht, ist nicht unbedingt nötig, um einer reinen Freude teilhaftig zu werden. Wer die Schönheit sucht, wird sie gewiß auch in einer künstlerischen Schrift entdecken. Freilich, wenn uns ein Rutengänger liebevoll die Quellen der Schönheit erschließt, gelangen wir sicherer zu unserem Ziele.

Ist nun Schrift, und sei sie auch eine ornamental gestaltete, einer Kunstäußerung überhaupt gleichzusetzen? Ein Blick auf die Feierlichkeit der römischen Kapitale allein müßte jeder Unentschlossenheit in dieser Frage ein rasches Ende machen. Freilich, nicht immer erfuhr die Schriftgestaltung jene Sorgfalt, die ihr gerade als einer Sache, die im täglichen Leben nicht die geringste Rolle spielt, der wir unausweichlich auf Schritt und Tritt begegnen, in erhöhtem Maße zukommen würde. Und so kam es stets wieder zu Verfallserscheinungen. Auch in unseren Landen ist solc.h ein Niedergang zu verzeichnen: vor einem halben Jahrhundert konnte selbst die Schrift namhafter Künstler ästhetischen Ansprüchen nicht genügen. Die klassischen Schriften fanden keine Pflege mehr, und der österreichische Ableger des Jugendstils, die Sezession, brachte eine ornamentale Schrift heraus, die von Haus aus sehr zeitgebunden aussah und von der man übrigens immer nur die Majuskel zu Gesicht bekam.

Da trat der Österreicher Rudolf von Larisch auf den Plan und vermochte es — neben Eckvard Johnston und Rudolf Koch —, mit seinem Lebenswerk jeden Zweifel und Streit, ob Schrift mit Kunst etwas zu tun habe, endgültig zu beseitigen. Noch immer wissen es nicht genügend viele, wenngleich das Wirken Rudolf von Larisch' eine fortdauernde Ausstrahlungskraft ausübt. Und es ist kein Erlöschen dieser Kraft zu befürchten, denn der Künstler hatte die Begabung, das, was er erkannte, mit einer Anempfehlung weiterzugeben, daß man nicht daran vorübergehen konnte. Das Primäre war die Erforschung der Gesetze, nach denen geschrieben werden mußte, damit die Schrift als ornamental und schön gelten darf. Rudolf von Larisch war nicht nur Erkennender und R'ufer in der Wüste, er war, den Auftrag in sich fühlend, auch befähigt, zu lehren. Als wichtigste Assistentin in seinem Amte betrachtete e? die Intuition, die ein Schüler besaß. Denn au:h hier kann nicht erjagt werden, was nicht gefühlt wurde. Aber obwohl das „Gestalten von ornamentalen Schriften“ nach seinem eigenen Ausspruch „in Wesenheit Empfindungssache ist“, hat er dennoch alles, aber wahrhaftig alles, wa zu einem solchen künstlerischen Gestiken noch zu wissen nötig ist, in seinem klassischen Werk „Unterricht in ornamentaler Schrift“ niedergelegt.

Wie es aber dazu kommen sollte? Der am 1. April 1856 in Verona als Sohn eines österreichischen Offiziers geborene wurde nach einer freudlosen Jugend schon mit achtzehn Jahren Vollwaise. Dadurch ge-zwungan, für seines Lebens' Unterhalt selbst zu sorgen, tritt er in den Staatsdienst, ist zuerst ein kleiner Beamter im Innenmini-terium und findet später in der kaiserlichen Kabinettskanzlei und als Archivar des Ordens vom Goldenen Vließ Verwendung. Er war eine künstlerische Natur und kein Beamter im herkömmlichen Sinne, und so brachte gerade jene Stelle, die er bekleidet, das Gute: der Schriftbegabte wurde bekannt mit den schönsten Schriften aus früheren Jahrhunderten und empfing aus ihnen mächtige Impulse. Und nun keimte wohl in ihm jener Gedanke auf, den er später so formuliert hat: „Die Pflege des Schriftschreibens ist eine wichtige, eine die Allgemeinheit tief berührende Angelegenheit.“ Es genügt für ihn nicht, daß es einmal schöne Schriften gab. daß diese in Archiven eingesargt ruhen und nur die Freude einiger weniger sein dürfen, nein „Schriftschreiben soll jedermann, ob er es praktisch zu verwerten hat oder nicht. Kann doch die Schriftbetätigung auch Glücksgefühle schenken, sie kann erheben, sie kann seelische Ruhe bringen.“ Gibt es ein hehrere Aufgabe, als Glücksgefühle zu schenken?

Nach vorbereitenden, Aufsehen erregenden Aufsätzen über das Wesen ornamentaler Schrift gibt Larisch sein grundlegendes Werk über den Unterricht in dieser heraus. Und es ist einem beim Studium dieses seltsamen Buches als ob man zum ersten Male erführe, daß die Atmosphäre um den Buchstaben fast wichtiger als dessen Wohlgestalt selbst ist, daß es licht wirkende und dunkel wirkende gibt und daß Lücken ein Problem darstellen, dessen einwandfreie Lösung für die Schriftverteilung von der gleichen Bedeutung ist wie die Anwendung von verschiedenen Balkenstärken. Rudolf von Larisch nimmt keineswegs die Priorität in Anspruch, da's Geheimnis der einer guten Schrift innewohnenden Gesetzmäßigkeit zuerst erkannt zu haben. Aber vor ihm hat niemand in einem Lehrbuch dargetan, daß der Rhythmus eines der obersten Postulat? einer künstlerischen Schrift ist, daß dieser zwar nicht leicht erreichbar sei, aber zum Gipfel, „zur Musik des Schreibens“, führen könne. Es hat niemand vorher niedergelegt daß das Schriftfeld wohl homogen sein müsse wie ein Druckspiegel, daß man aber gerade jene Schrift, von der man sagen könne, sie sehe wie gedruckt aus, am wenig sten als schön bezeichnen dürfe. Ein von schöner Schrift erfülltes Feld ist sehr woh: geeignet, in uns den Eindruck eines vollendeten Ornaments, eines festgefügten Gitterwerks, zierlichen Geflechts oder einer anmutigen durchbrochenen Arbeit zu erwecken. Es wäre verfehlt, anzunehmen, daß eine solche Wirkung von vornherein be-absiehygt sein darf. Sie würde den ur sprünglichen Zweck der Schrift, des Gedankens Gefäß zu sein, verrücken. Der mit einem ungemein hohen Formensinn ausgestattete Künstler Larisch wußte “ h, daß im verwirrenden Reichtum der Gesichte eine Gefahr schlummere. Und deshalb scheute er sich nicht, unter seinen elementaren Forderungen eine zuoberst zu setzen, die nach Binsenwahrheit aussieht: daß um eines ornamentalen Effekts willen die Lesbarkeit der Schrift niemals geopfert werden dürfe.

Rudolf von Larisch spürte den feinsten Schwingungen nach, die aus dem Komplex Schriftgestaltung erwachsen. Und weil er die Fülle an Schönheit, die ihm aus der Beschäftigung mit seinem Gegenstande überall entgegenblühte, so beglückend empfand, versenkte er ins tiefste Grab eine Streitaxt, die allzu gerne erhoben wurde im Kampfe: Antiqua oder Fraktur. Er hegte nur den sehnsüchtigen Wunsch, wir mögen „fähig sein, den Formenreichtum beider Schriftfamilien zu erschauen und zu erfühlen“. Wir begegnen also wieder der Intuition.

Der Urgrund für Larischs grandiose Tat ist in seinem ethisch-künstlerischen Ernste zu suchen. Er propagiert das Studium und die Pflege ornamentaler Schriften und ihrer Gesetze nicht um ihrer selbst willen, sondern deshalb, „weil es auf die Bildung des Geschmacks vorteilhaft wirkt“, und „als allgemeines Mittel zur Entwicklung, Pflege und Vertiefung des Kunstempfindens“ gelten kann. Daher ist es sein heißestes Bemühen gewesen, dieser Pflege die breiteste Basis zu verschaffen. Seinem hervorragenden organisatorischen Talent ist dies auch in überraschender Weise gelungen. Sein Einfluß auf die Schriftgestaltung ist heute noch spürbar und wird es bleiben. Es ist nicht zuviel gesagt, daß, wenn wir auf der Kino-leinwand oder auf Plakaten, in Druck-werken • oder sonst schöne Schriften antreffen, dies ihm jetzt noch zu danken ist und # seinen Schülern, allen voran seiner Lieblingsschülerin und späteren Gattin, Hertha von Larisch-Ramsauer, und Otto Hurm.

Das Gute und Schlechte an einer Schrift kann in Hinkunft überprüft werden. Wenn sie Musik in sich trägt, hat sie Larisch zum Erklingen gebracht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung