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Musik und staatliche Gewalt

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Zu den schweren Irrtümern der jüngsten Vergangenheit gehört der Glaube an die Möglichkeit, die Kunst, und in ihr die Musik, unter politische Gesetze zu stellen, eine Diktatur dort errichten zu können, wo Freiheit die Grundfeste des Daseins ist, die conditio sine qua n o n.

Wohl sind die Randgebiete der Tonkunst dem staatlichen Eingriff offen: das Kaufmännische, die sozialen Verhältnisse; doch das Eigentliche, der Kern, muß unangetastet bleiben. Die drei Aristokraten, die Beethoven die bürgerliche Existenz sicherten, haben an ihre schöne Tat keine andere Bedingung geknüpft, als daß er in Wien bleibe; auf das Wesentliche: die künstlerische Entwicklung nach dem eigenen Gesetz Einfluß zu nehmen, daran hat weder der Erzherzog Rudolf noch Lobkowitz oder Kinsky gedacht. Ähnlich war's angeborener Takt, der Ludwig II. leitete, als er Wagners verfahrenes Leben zu einiger Ordnung brachte.

Doch ein gekrönter Privatmann und ein ungekrönter Staat sind an sich 'schon verschiedene Dinge, und so kam es, daß der Staat das Unrichtige machte, was der Privatmann richtig gemacht hatte. Er griff unmittelbar und über die. Jugenderziehung mit stärkster Wirkung in die zentrale Substanz ein: er „organisierte“ dort, wo er natürlich hätte wachsen lassen sollen; er erkannte die Artverschiedenheit nicht, die zwischen der Kunst und einer Krankenkasse besteht und bestehen muß, wenn die eine wie die andere das ihr Auferlegte erfüllen will.

Als Mozart, sechsund zwanzigjährig, in Wien seine „Entführung aus dem Serail“ zum ersten Male aufführte, meinte ein hochgestellter Hörer: „Gewaltig viel Noten, lieber Mozart!“ Er bekam auf diesen immerhin bescheidenen Einwand die Antwort: „Nicht mehr, Majestät, als nötig sind.“

In dem gleichen Jahre, als sich diese Verteidigung der künstlerischen Rechte und Freiheit im Süden.- zutrug, sprach ein dem mozartischen Genius benachbarter Geist im mittleren Deutschland Worte verwandter Kunstgesinnung. Goethe lehnte durch den Mund seines „Sängers“ gar die Belohnung der künstlerischen Leistung ab, weil Belohnung Bindung in sich schließt. Sie komme, läßt er ihn sagen, den politischen Kräften, den Rittern und dem Kanzler zu: E r will singen, „wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet“; denn die künstlerische Tat trägt den Lohn in sich. Und der Becher Wein, den der Alte auf das Wohl des hochbeglückten Hauses leert, dieser Becher wird zum Symbol der äußeren und inneren Freiheit, in deren Licht der Künstler der Welt gegenübersteht.

Von außenher gibt es allenfalls Anregungen, keinesfalls aber Gesetze für den Schaffenden, dem die Verantwortung ja auch nicht abgenommen werden kann.Sollte hier eine Bindung beliebt werden, müßte es der staatlichen Macht auch möglich sein, auf die seelische Entwicklung des Künstlers, auf sein Wachstum Einfluß zu nehmen.

Ein solcher Griff in den künstlerischen Organismus ist nicht einmal der blutmäßigen Bindung möglich: der Einfluß eines Vaters auf seinen Sohn reicht eben noch hin, die Entwicklungsjahre zu steuern. Dann hört die Lehr- und Lernbeziehung, meist nicht ohne schwere Schmerzen hier und dort, auf zu bestehen.

Während der Arbeit an der „Entführung“ legt Mozart dem väterlichen Lehrer genau Rechenschaft ab über die Grundsätze, nach denen er verfährt: über die Wahl der Tonarten, der Rhythmen, Melodietypen, der Instrumentierung und vieler anderer Einzelheiten. Warum nur entwickelt der vielbeschäftigte, auch außermusikalisch beanspruchte Mann vor dem älteren eine förmliche Ästhetik des Singspiels? Nicht, um sich Rat zu holen, denn die Aussagen sprechen von bereits ausgeführten Entschlüssen. Nein: er fühlt die äußerlich schon vollzogene Lösung vom treu-sorgfältigen Begleiter und Leiter seiner Jugend, selbst einem trefflichen Musiker, nun auch im wesentlichen herannahen; nun möchte er vorbeugen und die auch aus anderen Gründen reifende Entfremdung hintanhalten. Das auch in Goethes Leben sichtbar werdende Vater-Sohn-Problem, der Kampf der Generationen, ist deutlichstes Zeichen für das Dasein der künstlerischen Freiheit, die nur einem Gesetze verpflichtet ist: dem Gesetze der eigenen, im Labyrinth der Brust geborgenen Entscheidung. Es gehört zu den tragischen Zügen in Mozarts meteorischer Erscheinung, daß er den von der streng wägenden Schicksalsgöttin vorgesehenen Weg durch zehn kurze Jahre in völliger Vereinsamung zu gehen hatte: er mußte sich von allen verlassen sehn. Im gesellschaftlichen Verkehr war er um so banaler, je tiefer ihn das künstlerische Problem ergriff, mit dem er, als dem Markstein einer unerhört schnellen und verzweigten Entwicklung, beschäftigt war. Wortlos ging er, ging das Eigentliche an ihm den verordneten Weg, weil der Ruf seines Genius es befahl und entlegene Ziele wies. So tritt er in die revolutionäre Welt Beaumarchais, die auch Goethe gelockt hat, und ans ihr hinaus in die Überwelt der von Goethe einer Fortsetzung für wert gehaltenen „Zauberflöte“. Wer hätte ihm bei diesem wunderbaren Akt der Selbstvollendung helfen, wer ihn auch nur hinleiten können? Unter den Menschen keiner. Und ihre Zusammenfassung zum Staat — ist das Ganze wirklich mehr als die Summe seiner Teile?

Goethes Hermann „hörte viel von Pamina, viel von Tamino“ und er fragt nach dem Texte, als er die Musik vernahm. Auf Papagenos zaghafte Frage: „Mein Kind, was werden wir nun spredien?“ kommt von Pamina in rührend schlichter Melodik die Antwort: „Die “Wahrheit.“ Unbeirrt sagt sie das zweimal. Die Wahrheit zor höchsten Instanz zu erheben, war als menschliches Anliegen auch Goethes Sache: wenige Jahre vor der Verschmelzung von Triebhaftigkeit und verklärter Lebensschau in Mozarts opus metaphysicum kam das Wort von seinen Lippen. „Zwischen ans sei Wahrheit.“ Beide Male, in der „Zauberflöte“ und in der „Iphigenie“ führt es die dramatische Entscheidung, die Lösung der aufgesammelten Spannungen herbei; und das ist mehr als Zufall. In diesem Wort halten wir den Schlüssel zur Pforte des vor uns im Dämmer der Zukunft liegenden Lebens — des eigenen wie auch in einem hohen Sinne des allgemeinen Lebens —, für dessen Formung der in die Zukunft wirkende Künstler mitverantwortlich ist.

Ob die Wahrheit nun, wie das reine Glück, ungerufen und unerfleht am willigsten kommt — so geschah es Mozart und Goethe — oder ob sie sich, wie von Schiller und Beethoven, umkämpfen und schwer erringen läßt, das macht für die Fnge, um die es ging, nichts aus. Ohne das Licht der reinen Schau kann kein Künstler, der diesen nun endlich vor der Entwertung zu schützenden Namen tragen will, sein und schaffen. Es wird nicht von einer staatlichen Stelle angezündet; es leuchtet in der Seele des nach eigenem Gesetze Wachsenden.

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