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Adolf Loos und Funktionalismus

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Theodor W. Adornos eigentliches Gebiet der Kunsttheorie ist die Musik; seine kritischen Ansätze erweisen sich aber auch für andere Gattungen als überaus ergiebig. Schon 1963 nahm er in Wien an einem Architekturgespräch teil (siehe „Die Furche“, Heft 26 1963) und sprach die Erkenntnis aus, man könne über das Dilemma der neuen Sachlichkeit nur hinaus, indem man noch sachlicher sei. Sein Wiener Vortrag (als Gast der Gesellschaft für Literatur) war eben jenem Fundamentalbegriff moderner Architektur, dem „Funktionalismus“, gewidmet.

Adorno nahm seinen Ausgang von zwei Begriffspaaren, die sich bei Adolf Loos in polemischer Gegenüberstellung finden: zweckgebunden — zweckfrei (Loos: „Das kunstwerk wird in die weit gesetzt, ohne daß ein bedürfnis dafür vorhanden wäre. Das haus deckt ein bedürfnis Das kunstwerk will die menschen aus ihrer bequemlichkeit reißen. Das haus hat der bequemlichkeit zu dienen Nur ein ganz kleiner teil der architektur gehört der kunst an: das grabmal und das denkmal. Alles andere, alles, was einem zweck dient, ist aus dem reiche der kunst auszu- I schließen.“) und Handwerk — Phan- i tasie (bei Loos sagt der Sattlermei- ster zum Künstler: „Herr professor! Wenn ich so wenig vom reiten, vom pferde, vom leder und von der arbeit verstehen würde, wie sie, dann hätte ich auch ihre phantasie.“)

In der Begrifflswelt des Architek- I ten ist „Handwerk“ der Gegensatz zu „Maschine“, weshalb Adornos Wortwahl etwas Verwirrung auslöste. Er verstand unter Handwerk ; vielmehr beides, nämlich die sachliche Kenntnis, das verfügbare Wissen von den Verfahrensweisen der Produktion (geistiger wie materieller). Phantasie aber — so löst sich der Gegensatz auf — muß diese Verfahrensweisen jeweils weiterentwik- keln, sonst erstarren sie zu banalen . „Praktiken“.

Es liegt auf der Hand, daß jener Gegensatz philosophisch damals wie heute falsch war und bei Loos nur polemischen Sinn hatte. Wichtiger war die Vermittlung zwischen Zweckgebundenheit und Zweckfreiheit: daß nämlich jenes Mehr, das Architektur über das „Arm-Zweck- mäßige“ erhebt, nicht von Zwecken abtrennbar ist, daß auch das diffe- renzierteste „Raumgefühl“ Zwecke zur Grundlage hat, daß jene Qualität eben durch Versenken der Phantasie in die Zwecke entsteht, nicht aber zur Zweckerfüllung von außen hinzutritt.

Ein von Adorno häufig verwendeter Begriff: das „cultural lag“, ist die Basis eines dritten Problemkreises: der „Kluft“ zwischen Künstler und Konsumenten. Er meint das „kulturelle Zurückbleiben“ des breiten Publikums um einen gewissen Zeitraum und ist wie die meisten soziologisch-beschreibenden Begriffe höchst anfechtbar, weil er auf „Objektives“, auf eine Zeitdifferenz zurückführen will, was im Grunde eine Qualitätsdifferenz ist. Für die Architektur nun ist Adorno der Meinung, daß der Konsument ein Recht gegenüber dem Künstler habe, daß auch falsche Bedürfnisse Bedürfnisse seien. Gerade der Funktionalismus habe sich in blinder Konsequenz gegen den Menschen gekehrt; die Rationalität widerspreche der Humanität.

Nun ist gerade Loos für einen so aufgefaßten Funktionalismus ein schlechtes Beispiel; von ihm zum Bauhaus oder zum Konstruktivismus führt keine direkte Linie, wie er selbst ja auch zu diesen Strömungen höchst kritisch eingestellt war. Was an Loos’ Werk streng und unnahbar wirken mag, ist vielmehr seine Hinwendung zur klassischen Tradition. Mehr noch: es gehörte zu seinem Konzept, den Bürger sich selbst einrichten zu lassen und ihn dabei nur zu beraten. Jenen Widerspruch zwischen Architektur und den Wünschen des Publikums, den Adorno auf der Stufe des Kompromisses stehen ließ, hat Adolf Loos — und noch mehr Josef Frank — in seinem Werk aufgelöst.

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