127 Gläser, die man gerne berühren möchte

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Ein Buch über eine Sammlung und über die Beziehung des Sammlers zu seinen Objekten.

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Ein Buch über eine Sammlung und über die Beziehung des Sammlers zu seinen Objekten.

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Das Buch über Gerda Koepffs Sammlung von Gläsern des Art Nouveau ist eine besondere Augenweide. Gläserne Vasen sind eine Herausforderung für Objektfotografen und begegnen uns hier vollendet fotografiert (die meisten Aufnahmen stammen von Walter Klein). Eine plastische Schnecke, welche die Wandung einer mit Weintrauben geschmückten Vase emporkriecht, Überfänge in mehreren Farben, aufgeschmolzen auf Körper aus farblosem Glas, geben in Großaufnahme taktile Reize preis.

Doch ist der Band weit mehr als eine Augenweide. Damit wird er einer Forderung von Gerda Koepff gerecht, die jene 127 Objekte mit höchstem Qualitätsanspruch zusammengetragen hat, die noch bis 18. August im Düsseldorfer Kunstmuseum zu sehen sind. Sie beschloß, dieses Lebenswerk einem Musuem zu vermachen und regte aus diesem Anlaß die wissenschaftliche Bearbeitung der Sammlung an. Das Ergebnis ist nun dieser Band.

Er enthält auch ein Gespräch des Herausgebers Ricke mit der Sammlerin, das vieles bestätigt, was man über die Psychologie des Sammelns, seine Faszination und über die Motivation der SammlerInnen weiß. Auch Gerda Koepff lag, als sie sechs kleine böhmische Vasen mit zarten Farben kaufte, nichts so fern wie der Gedanke an den Startschuß zum Aufbau einer besonders anspruchsvollen und wertvollen, beziehungsweise überhaupt einer Sammlung. Sie wollte sie vielmehr ihrer Mutter zum Geburtstag schenken, die sie ihr aber sofort wieder zurückgab: Jugendstil war für die Beschenkte, wie damals überhaupt in den Augen so vieler Menschen, fast ein Synonym für Kitsch. Auch weitere Ankäufe, darunter bereits Vasen von Galle, Daum, Loetz und "ein sehr schönes Glas von Christopher Dresser", waren noch eher als Aufputz für das große Wohnzimmer der Industriellen gedacht.

Etwas, das uns in den Biographien leidenschaftlicher Kunstsammler ebenfalls häufig begegnet, ist der frühe Kontakt mit dem Schönen, meist schon in der Kindheit. Gerda Koepff besaß, als Voraussetzung für ihr Interesse an Jugendstil und Art Nouveau, "vielleicht ein etwas vorgeschultes Auge für ostasiatische Formen und Motive - durch einige schöne Porzellane und Bronzen in meinem Elternhaus".

Der Kontakt mit einem Münchener Jugendstilhändler, der ihr anhand seiner Stücke die Stilmerkmale der einzelnen Künstler und deren Techniken erklärte, ließ dann das Kaufen aus Freude am Schönen, am ästhetischen Genuß, in eine konsequente Sammeltätigkeit übergehen. Mit dem Erwerb einer großen Jardiniere von Daum in einer besonders prachtvollen Montierung des Silberschmieds Nicolaus Trübner - dessen Nachlaß sie 1968 ankaufen konnte - wurde der Rubikon überschritten.

Und mit dem Umzug in eine kleinere Wohnung auch der Rubikon zum Mäzenatentum: Das Landesmuseum in Karlsruhe schien Gerda Koepff der richtige Ort für Objekte und Ensembles zu sein, für die in ihrem Heim kein adäquater Aufstellungsort mehr zur Verfügung stand.

Da aber für einen echten Sammler, was immer er auch sammeln mag, der direkte Kontakt, die taktile Beziehung zu seinen Objekten unabdingbar ist, wendete sie sich nun den Vasen des Art Nouveau zu.

In einer Hinsicht freilich ist diese Sammlerin ein eher untypischer Fall: Sie wußte nicht nur genau, was ihr nicht lag (historische Themen, Landschaften, Personendarstellungen), sondern sie weiß auch genau, "was mir fehlt und was noch dazugehören würde" - und konnte trotzdem aufhören. Hatte "irgendwann ... das Gefühl, zu Ende gekommen zu sein, daß die Sammlung ein Gesicht hat."

Wer sich für die ungeheuer komplizierte Psychologie des Sammelns interessiert, wird dieses Gespräch mit Genuß lesen. Gerda Koepff ist nicht nur eine gebildete, sondern - handfest im Beruf - auch eine hochsensible Frau, die uns erklärt, warum man die Werke einer Epoche lieben kann, in der man nicht gelebt haben möchte.

Im übrigen ist das Konzept aufgegangen: Das Auge wird nicht nur geweidet, sondern auch für die feinen Unterschiede zwischen hoher und höchster Qualität geschult (mehrere Objekte waren für Welt- und andere Ausstellungen bestimmt), und der Katalog der Sammlung durch wichtige Aufschlüsse und Ergänzungen zur Glaskunst des Jugendstils und Art Nouveau bereichert.

Das Buch enthält interessante Hinweise auf Querverbindungen zwischen Glaskunst, Literatur und Zeitgeist und ist sowohl ein Werk für den Spezialisten wie auch eines für eher allgemein interessierte Ästheten. Es ist nicht nur sehens-, sondern auch lesenswert. Es ist, mit erstmals ins Deutsche übersetzten Texten von Emile Galle, auch ein Buch über das Verhältnis des Menschen zum Schönen, über eine uns heute sehr ansprechende Facette - immerhin haben, man muß die Nostalgiker beider Fraktionen immer wieder daran erinnern, Jugendstil, Adolf Loos und der frühe Le Corbusier, Art-Nouveau-Ausläufer und Bauhaus teils gleichzeitig, teils einander überlappend existiert. Manche der Klüfte bestehen noch, die meisten hat die Zeit eingeebnet. Oder waren etwa schon zu Loos' Zeiten in von ihm gebauten Häusern Vasen von Daum und Galle zu finden? Wie hätte er darüber gedacht? Josef Hoffmann jedenfalls untersagte einer Wiener Dame, deren Wohnung er eingerichtet hatte, eine Vase auch nur auf einen anderen Platz zu stellen - sie blieb ihm im Wort und hielt sich an seine Weisung, weit über seinen Tod hinaus.

GLAS DES ART NOUVEAU Die Sammlung Gerda Koepff Herausgegeben und bearbeitet von Helmut Ricke und Eva Schmitt Verlag Prestel, München 1998 336 Seiten, 400 Abb., Ln., öS 715,- 264 Seiten, ca. 50 Farb- und 150 SW Abbildungen, öS 690,-.

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