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Das Banken-Mäzenatentum

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Fast wäre man versucht zu sagen: Zürich ist eine Stadt der Bildenden Künste nicht etwa deshalb, weil es hier so viele Künstler, sondern vielmehr darum, weil es hier šp viėle Banken gibt.

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Fast wäre man versucht zu sagen: Zürich ist eine Stadt der Bildenden Künste nicht etwa deshalb, weil es hier so viele Künstler, sondern vielmehr darum, weil es hier šp viėle Banken gibt.

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Immerhin hat die Schweiz Künstler von internationalem Ansehen wie etwa Max Bill, Richard Lohse, Camille Greaser und Bernhard Lugin- bühl hervorgebracht, die mit „zweiten“ und „dritten“ Generationen die konkrete Kunst zu einer Art Aushängeschild für die Situation der Bildenden Kunst in Zürich machten.

Trotzdem ist die finanzielle Seite dieses momentanen Aufblühens von Kunst (und Kunsthandel) keinesfalls gering einzuschätzen. Für einheimische Künstler bedeutet sie: eine aufgeschlossene und rührige Stadtverwaltung, die mit jährlich 40 bis 50 Millionen Franken Züricher Künst- institute subventioniert, und auch etwas für ihren Nachwuchs tut: die Kunstkammer im Strauhof zum Beispiel zeigt ausschließlich Werke junger Züricher Künstler, und auch im städtisch verwalteten Helmhaus sind in erster Linie Schweizer zu sehen. Als „großer Schlager“ im Züricher Kunstleben wird außerdem die alle drei Jahre stattfindende, juryfreie Weihnachtsausstellung gefeiert, die Arbeiten von über 700 Künstlern aus Zürich und Umgebung umfaßt.

Dem von Galerien und Händlern betriebenen schwungvollen Kunst- handiel hingegen kommt die zentrale Lage, günstige Ein- und Ausfuhrbe- dingungen, günstige Transportsätze, relativ niedrige Versteuerungen und nicht zuletzt der Flughafen zugute. Der „Galerien-Boom entstand in den frühen sechziger Jahren: Vorerst mit „Gimpel & Hanover“, einer Tochterfirma der zwei Londoner Galerien „Gimpel-Fils“ und „Hanover“, die in Zürich als erste Galerie auf internationaler Basis gearbeitet hat. Später mit Maeght, Emmerich aus New York, Facchetti aus Paris, Marlbou- rough und einer Unmenge mittlerer bis kleinerer Galerien, die in den pittoresken Straßen der Altstadt Antiquitätengeschäften und Buchläden das nötige Image verleihen. Sie kommen und gehen — je nach Finanzlage und Konjunktur. Vor wenigen Jahren sprach man von hundert, heute sollen es achtzig sein, Die genaue Zahl ist nicht zu eruieren.

Daß Zürich eine Finanz- und Handelsstadt ist, spielt sicher eine wesentliche Rolle. Denn wer im Business tätig ist, kommt mindestens einmal pro Jahr nach Zürich, und sei es nur, um seine Konten zu kontrollieren. Natürlich gab und gibt es auch in Zürich Sammler. Und zwar nicht nur Industrielle und Bankiers, so wie die Bührles, die Zürich ihre berühmte Sammlung überließen, oder die Bärs, die dem Züricher Kunsthaus eine Stiftung vermachten. Auch Mediziner, Juristen, Leute aus dem Mittelstand zählen dazu. Davon profitieren nun vor allem die mittleren bis kleineren Galerien. Die großen internationalen Galerien hingegen beziehen ihre Einkünfte zum großen Teil aus dem Ausland.

Darum sind wohl auch nicht in erster Linie freundschaftliche Beziehungen zu Züricher Sammlern ausschlaggebend gewesen, wenn die berühmte Pariser Galerie Maeght im Jahre 1970 eine Dependance in Zürich eröffmete (wie der Eröffnungs- katalog so vornehm verkündet), sondern oben erwähnte Gründe. Daß der Kunsthandel vielfach zu einem verrückten Vabanque-Spiel geworden ist, kann hier, in den Galerien mit den internationalen Verflechtungen, am besten beobachtet werden. Eine Entwicklung, die häufig von den Galeriebesitzern und Leitern selbst beklagt wird. Kunst, Ausdruck der inneren Freiheit des Menschen, wurde zum Markenartikel und Verkaufsobjekt. Die Preise entgleiten häufig dem Künstler, werden von Zwischenhändlern bestimmt, wirken dann allerdings zurück auf neue Bilder, die um ein Vielfaches angeboten werden. Und so müssen sich die großen Galerien oft den Preis von Künstlern diktieren lassen — von dem sie allerdings bis zu 60 Prozent ‘ selbst kassieren, um damit eine umfangreiche Werbung zu bestreiten. Allein die meist farbig bebilderten, 40 bis 50 Seiten umfassenden Kataloge der Marlbourough-Galerie kosten ein Vermögen. Marlbourough, mit dem Stammhaus in London und Zweigniederlassungen in New York, Rom, Toronto, Montreal und Tokio ist wahrscheinlich Zürichs größte und bedeutendste Galerie. Sie wurde im September 1971 eröffnet und konnte zusammen damit auch gleich ihr 25jähriges Bestandsjubiläum feiern. Im Gegensatz zu Maeght, die vor allem französische und spanische Künstler vertritt (Miro, Bonnard, Braque, Chagall, Tapiės, Chillida. Palazuelo u. a.) hat sich Marlbou- rough mehr auf englische und amerikanische Künstler spezialisiert. Moore, Chadwick, Marca-Relli, Richard Diebikorn, Seymor Lipton, Francis Bacon, Lyonei Feiniger erscheinen hier im Programm, und werden unter den einzelnen Dependancen ausgetauscht. Brigitte de Al- meida Lopez leitet das elegante Haus in der Glämischstraße, wo zu glänzenden Vemissagen ein internationales Publikum erscheint, und prominente Käufer die unglaublichsten Preise bezahlen.

Die großen Galerien machen mit großen Künstlern die großen Geschäfte. Entdeckungen, Experimente hingegen sind nicht ihre Sache. Der unbekannte Künstler, der mit seiner Mappe unter dem Arm die Galerie abwandert (Frau Rotzier, Leiterin von Gimpel & Hanover spricht von „50 bis 70 pro Jahr“) hat hier keine Chance. Er, dessen sozialer Status und finanzielle Lage so schlecht sind wie eh und je, wird von den kleinen Galerien aufgefangen.

Und da gibt es nun eine sehr originelle Galerie, die sich auf diesem Gebiet einen Namen gemacht hat: die „Palette“ in der Seefeldstraße. Ihre Besitzer, A. E. VUesmer und Kahlbrenner, sind von Beruf Rahmenmacher. Ihr Geschäft liegt hinter der Galerie in einem alten Haus, das demnächst abgerissen werden soll, um einem modernen Bürohaus Platz zu machen. Die Zukunft der „Palette“, die seit dem Jahr 1949 zahlreichen unbekannten Künstlern ans Licht der Öffentlichkeit verhalf (zuletzt wurde hier eine Ausstellung der jungen Linzerin Brigitte Matche als großer Erfolg gefeiert) ist also ungewiß. Doch die „zwei letzten Idealisten“, wie eine Züricher Tageszeitung schrieb, lassen sich den Mut nicht nehmen. Nach 25jährigem Bestehen sei man, so meinen sie, diesem Metier verpflichtet. Das Rahmengeschäft liefert dazu den nötigen finanziellen Hintergrund, denn mit den Elinnahmen der Galerie lassen sich eben die Spesen decken. Leben könnten ihre Besitzer nicht davon.

Auch Annemarie Verna, deren kleine Galerie im Züricher Niederdorf in- und ausländische Super- Avantgarde vertritt, hätte ohne die Einnahmen ihres Mannes, eines Graphikers, wahrscheinlich schon schließen müssen. Das hat auch darin seinen Grund, daß Zürich, obwohl aufgeschlossen und international, dem „letzten Schrei“ trotzdem wenig abgewinnt. Künstler (und Galerien) die sich darin versuchen, haben es hier schwerer als zum Beispiel in der Bundesrepublik. Weshalb die Avantgarde-Galerie ,,art in progress“ vor wenigen Jahren nach München ab- gewandert ist.

Während also die großen Galerien Riesenumsätze machen und die kleinen ums Überleben kämpfen, sind die mittleren gut bis sehr gut situiert. Die Galerie Bischofsberger zum Beispiel, dos „Wunderkind“ unter den Züricher Galerien, hat sich innerhalb von zehn Jahren schön hinaufgemausert. Herr Bischofberger, ein Kunsthistoriker, begann nach seinem Studium mit Jugendstil und naiver Kunst, schrieb ein Buch über Appenzeller Volkskunst, stieß schließlich auf Pop und machte Ende 1964 die Züricher mit Lichtenstein bekannt. In Zürich selbst vorerst wenig beachtet, wurde diese neue Kunstrichtung aus den USA bald als Handelsobjekt interessant. Heute vertritt er neben Lichtenstein u. a. auch Andy Warhol, Oldenburg und Rauschenberg.

Einen guten Namen in Zürich besitzt noch die Galerie Renėe Ziegler, von Frau Ziegler „im Alleingang“ 1959 gegründet. Frau Ziegler, die ihre Lehrzeit in der Galerie Leirig in Paris absolviert hat, vertritt viele Schweizer Künstler: Luginbühl zum Beispiel, Tinguėly und Lohse. Eine kleine, bewegliche Frau mit Charme und Witz, Mutter von drei Kindern und trotzdem ihrem Beruf verfallen: „Galeriebesitz ist für eine Frau der ideale Beruf“.

Natürlich hat sich auch in Zürich — so wie anderswo — eine Art Subkultur gebildet, die dem offiziellen Kunstbetrieb den Kampf ansagt. Sie wird von einer Gruppe linker Künstler und Kunstkritiker getragen, die sich in einer ausgebauten Spenglerwerkstätte eine „Pro-du-ga“ (Produzentengalerie) eingerichtet haben. Zweck des Unternehmens: Programm und Budget selbst zu bestimmen, um sich von Galerien unabhängig zu machen. Wie sich dieser Versuch einer „sozialistischen Lösung“, in der „Kunst als politisches Instrument“ die Gesellschaft zu verändern habe, bewährt, bleibt vorläufig abzuwarten.

Zum Teil linke Initiatoren hat auch die „Aktion Thearena“, an der sämtliche Kunstsparten mit Experimenten, work shops, Straßentheatem und ähnlichem beteiligt sind, und die künftig jedes Jahr von Mitte August bis Anfang September unter Beteiligung des Straßenpublikums in einem Zelt auf dem Schiffslondeplatz stattfinden soll. Und damit wird nun tatsächlich eine Lücke im Züricher Kunstleben zumindest teilweise gefüllt: denn es gibt hier keinen Raum für derartige Versuche, was Zürichs Avantgarde bitter stimmte und zur Selbsthilfe greifen ließ: mit dem „Mobilen Museum Zürich“ beispielsweise, das einmal hier und einmal dort progressive Kunst präsentiert. Zuletzt in der Reithalle in der Geß- ner Allee, wo vor versammelter Presse und (wie es sich gehört) erlesenem kaltem Büfett eine politisch engagierte Avantgarde mit Kunst- stoffmaterialien, Farbe und Pinsel hantierte.

Ein Kuriosum, nämlich, daß die Stadtverwaltung auch solche Experimente kräftig subventioniert — wohl, um den (linken) Stachel im eigenen Fleisch nicht doch noch etwa gefährlich werden zu lassen, scheint hier allerdings niemand ernsthaft zu stören.

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