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Kunstauswanderung nach USA

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Amerika war seit jeher das klassische Land der Emigration. Durch die Proklamierung der Freiheit des Menschen als obersten Grundsatz der Politik der Vereinigten Staaten hat der neue Kontinent immer, wenn irgendwo in der Welt die menschliche Freiheit bedroht ist, auf die Verfolgten und jene, die sich einer geistigen Diktatur nicht beugen wollen, eine mächtige Anziehung ausgeübt. Schon oft ergossen sich Ströme von Menschen, die sich nach Freiheit sehnten, in die USA. Was sich aber in dieser Beziehung in den Jahren vor und während des Krieges ereignete, ist beispiellos in der Geschichte. Man kann von einem wahren Hinüberfluten ganzer Menschengruppen hochstehender Persönlichkeiten aus allen Berufszweigen sprechen. Nicht nur aus Deutschland sind viele aus politischen, ideologischen oder rassischen Gründen in die Emigration gegangen. Je weiter der NS-Imperialismus in Europa vordrang und ein

Land nach dem anderen überfiel, desto mehr strömte Europas Geistigkeit nach Amerika. Aber das Hauptkontingent stellte doch Deutschland. Es ist bekannt, wie viele bedeutende Wissenschaftler Deutschland verließen; Chirurgen, Naturwissenschaftler, Philologen. Sie wurden mit großer Gastlichkeit aufgenommen und ihnen Laboratorien und Versuchswerkstätten zur Verfügung gestellt. Amerika wußte, daß diese Menschen für seine Wirtschaft und Rüstung nur von Vorteil sein können, Die Emigranten aus dem Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin haben maßgebend an der Entwicklung den Atombombe mitgearbeitet. Auch die hohe Zahl von bedeutenden Persönlichkeiten aus Literatur, Musik, Theater und Film, die nach Amerika gingen (in welchem Sektor Österreich ein besonders hohes Kontingent stellte), ist bekannt. Den meisten haben die dortigen Bühnen und Institute reiche Möglichkeiten geboten, ihre Talente zu entfal-

Trotz des glänzenden Lehens, verglichen mit den Lehensmöglichkeiten zor gleichen Zeit in Europa, sind die zartesten und feinnervigsten Geister unter ihnen an der Heimatlosigkeit und dem Jammer der Welt, der ihre Seele zerfurchte, zugrunde gegangen.

Den umfassendsten Anteil an der Emigration stellen aber doch wohl die bildenden Künste und die Kunstwissenschaft. Denn hier kann man nicht mehr von der Emigration einzelner bedeutendet Persönlichkeiten sprechen; es wanderte gleichsam die ganze Kunst der Zeit hinüber, in einem Ausmaß, der bisher von der Publizistik noch gar nicht gewürdigt wurde. Mit den Menschen verließen auch deren Werke den Kontinent. Man kann sagen„ daß die ganze nachimpressionistische Kunst, die in Deutschland und schließlich in allen besetzten Ländern der Ächtung verfiel und als „entartet“ verbannt, aus den öffentlichen Sammlungen entfernt und diffamiert wurde, in Amerika eintraf. Die große Züricher Kunstauktion im Jahre 1939 bildet den traurigen Abschluß dieser Entwicklung. Damals wurden ganze Bestände öffentlicher Kunstsammlungen nach Amerika verkauft und — Höchstpreise erzielt. Für ein paar Devisen, die die deutsche Rüstungsindustrie so dringend benötigte, wurde das geistige Deutschland verkauft. In Amerika staunte man, als diese Werke eintrafen. Jenseits des Ozeans war die moderne deutsche Kunst wenig bekannt; seit den

verflossenen Tagen der Münchener und Düsseldorfer Historien- und Genremalerei wurde der deutschen bildenden Kunst kein besonderes Augenmerk gewidmet. Ungewollt hat auf diese Weise die NS-Kunst-politik der deutschen Kunst wieder internationale Beachtung geschenkt. In der offiziellen deutschen Kunstausstellung in München aber wurde wieder eine Kunst propagiert, die eben diese längst abgetane Schule des Naturalismus, nur in ungemein verflachter und verwässerter Form wieder aufnahm.

Einige Beispiele aus der großen Zahl der transferierten Werke seien autgezählt: das „Museum of modern Art“ in New-York erwarb aus der trefflichen Sammlung moderner Kunstwerke des Berliner Kronprinzenpalais die große Figur der „Knieenden“ von Wilhelm Lehmbruck, ein Standardbildwerk des Expressionismus; aus aus dem Museum von Halle an der Saale das Selbstporträt von Kokoschka; aus der 1933 brüsk abgebrochenen Stuttgarter Kunstausstellung die Komposition „Auf der Treppe“ und ein Triptychon von Max Beckmann. Eine besonders eindrucksvolle Elblandschaft von Kokoschka aus der Dresdner Galerie kam ins Art Institut of Chigago. Eine prachtvolle Gardaseelandschaft von Schmidt-Rottluff ins Detroit Institut of Art. Der „Sieg der Schaluppe Maria“ von Feininger, ein Meisterwerk der kristallinischen Umdichtung, aus dem Magdeburger Museum ins City Art Museum of St. Louis; die „Frühe Stunde“ von Karl Hofer ins Portland Museum of Art. Die berühmten „Blauen Pferde“ von Franz Mark ins Walker Art Center of Minnea-polis, das Gegenstück hiezu, die „Roten Pferde“ landeten in einer Privatsammlung in Cincinnati; der „Singende Mann“, eine Bronzeplastik von Barlach wurde vom Cleveland Museum ot Art erworben; der „Goldene Fisch“ von Paul Klee kam ins Museum of Art nach San Francisko: eine

Herne Liste der Bekanntesten Werlte, eüe

sich ins unendliche erweitern ließe.

Mit den Kunstwerken verließen ganze Kunstsalons aus Berlin, München, Prag, den europäischen Kontinent. Der bekannte Berliner Kunsthändler und Förderer der modernen Bestrebungen in der Malerei, Karl Nierendorf, übersiedelte nach New

TorS, cm an derer Kunsthäncfler-Ermgrant,

der Österreicher Dr. Kalir, der Förderer von Käthe Kollwitz, siedelte sich ebenfalls in. New York an. Im Umkreis der 57. Straße ist dort ein neues Kunstzentrum entstanden, das amerikanische Seitenstück der Rue1 La Boethie in Paris oder der New. Bond Street in London,

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