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Ein gewaltiges Feuerwerk gestalterischer Vielfalt

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Zwischen einem Sammler und seiner Sammlung besteht eine besondere Beziehung; für mich jedenfalls gleicht die Sammlung einem Organismus. Wenn es sich um eine wirklich persönliche Sammlung handelt, so ist sie vom Geist ihres Begründers geprägt und mit einer Liebe aufgebaut, die zu einer starken Leidenschaft werden kann.” Eine der ungewöhnlichsten Sammlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, der 1912 in Moskau geborene griechischstämmige George Costakis, bekennt sich in seiner Erinnerung zu dieser Leidenschaft.

George Costakis, Sohn eines wohlhabenden, in der russischen Bevoluti-on verarmten Kaufmannes, ab 1929 Mitarbeiter der britischen, kurz danach fast vier Jahrzehnte lang der kanadischen Botschaft, entdeckt zu Beginn der dreißiger Jahre seine Liebe zu Alten Meistern, Ikonen, Teppichen, kostbaren Textilien und russischem Silber. Nach „ungefähr zehn Jahren dieser Dinge allmählich müde”, wird die Begegnung mit einem abstrakten Gemälde, ein Grüner Streifen auf Weißem Grund (1917), der ihm damals unbekannten Olga Bosanowa zum Schlüsselerlebnis. Dieses Werk scheint Bildintentionen der amerikanischen Kunst nach 1945 vorwegzunehmen. „Als ich begann, Avantgarde-Werke neben meine Alten Meister zu hängen, war es, als öffneten sich die dunklen Fenster und als schiene die Sonne herein.” Gegen alle Zweifel vor dem ihm unbekannten Neuland jener Kunst, die nach dem Krieg in absichtliche und unabsichtliche Vergessenheit geraten war und trotz aller Mühen des Suchens und Erwerbens ist Costakis der Russischen Avantgarde erlegen und treu geblieben. Mit Gespür für Qualität und zunehmender Kenntnis auch jener Künstler, die im Umfeld der großen Vorreiter tätig waren, gelang es Costakis, eine Sammlung der Russischen Avantgarde-Kunst aufzubauen, die er 1953 jungen Moskauer

Künstlern zugänglich machte. Seit einer Teilausstellung in der Tretjakow Galerie in Moskau 1974 anläßlich des Internationalen Kongresses für Museumsfachleute (ICÖM) wurde sie zum Mekka für Kenner der Russischen Avantgarde.

Als Costakis 1977 in der Breschnewära, obwohl griechischer Staatsbürger, zunehmend unter Druck gerät, beschließt er, über achtzigjährig und seiner russischen Geburtsheimat eng verbunden, die Sowjetunion zu verlassen; dafür muß er einen großen Teil seiner Sammlung der Tretjakow Galerie überlassen.

Costakis Sammlung teilt das Schicksal anderer russischer Sammlungen, die in großzügiger Weise zunächst einem breiteren Publikum geöffnet wurden, später freiwillig oder unfreiwillig den Grundstock zu den großen russischen Museen legten und deren Bestand maßgeblich erweiterten: um die Jahrhundertwende durch Schenkungen, 1918 durch Verstaatlichung, berühmte Beispiele sind die Sammlungen von Schtschukin und Morosow.

Die Sammlung Costakis ist seither zweigeteilt; ihr westlicher Bestand wird seit der Ausstellung 1977 in Düsseldorf vom Guggenheim Museum in

New York betreut. Es war Costakis nicht vergönnt, eine Zusammenführung seiner Sammlung zu erleben, wie sie jetzt in einer Auswahl von rund 500 Werken das Haus der Kunst in München aus Athen übernommen hat und nach Tampere/ Finnland, 1997 voraussichtlich nach Paris weitergehen wird.

Nach den zahlreichen Ausstellungen zur Russischen Avantgarde in den vergangenen Jahren, seit der legendären „Paris Moscou” 1979 in Paris bis zu „Europa Europa” 1994 in Bonn, bietet diese Sammlung faszinierende Einblicke in die künstlerischen Innovationen und eine eindrucksvolle Ubersicht über die Entwicklung der Bussischen Avantgarde. In großer Dichte präsentiert sich ein gewaltiges Feuerwerk gestalterischer Vielfalt. Der Besucher ist gefordert, stilistische Zusammenhänge und Entwicklungen selbst zu entdecken in einer Präsentation, die auf Chronologie und Werkzusammenhänge zugunsten der spannungsreichen Dynamik des Nebeneinander verzichtet. Von kleinen, lichten spätimpressionistischen Landschaften kurz nach Beginn des Jahrhunderts (Kandinsky, Malewitsch) spannt sich der Bogen von Marc Chagall bis zur Rückkehr zu traditionell gegenständlicher Malerei der dreißiger und vierziger Jahre, in der glühende Farbigkeit und kompositorische Sprengkraft erloschen sind, das künstlerische Sich-Zurückziehen offenbar wird, wie etwa bei Wladimir Tatlin. Die Sammlung Costakis zeigt die Anfänge der Avantgarde, der Futuristen um Wladimir Burl-juk und dokumen-tiert hervorragend die unterschiedlichen Strömungen, des Rayonnimus um Pres i ei Michail Larionow, den eigenen Stil der figurativanalyti-schen Bilder eines Pawel Filonow, die mythischen Bilder Wasilij Che-krygins.

Umfassend eingebunden in die Sammlung sind Werke der beiden großen Magnetfelder, der Supremati-sten um Malewitsch, der Konstruktivi-sten um Tatlin, die sich zwischen 1915 und 1925 in der Frage der Zielsetzung ihrer Inhalte in gegensätzliche Pole getrennt und bekämpft haben.

Schwerpunkte sind die umfangrei^ chen Werkbestände von Gustav Klu-zis und Iwan Kljun, aber auch von Lju-ba Popowa und Olga Bosanowa. AVie kaum sonst, stellt sich hier fast monographisch das Oeuvre eines Künstlers in allen Entwick lungsstufen dar, hervorragend bei Iwan Kljun: mit dem traditionellen

Selbstportrait (1909), den märchenhaftsymbolistischen Aquarellen (1910), der expressionistischen Landschaft (1911), dem Relief von 1914/15 „Vorbeieilende Landschaft” aus bemaltem Holz, Draht, Metall und Porzellan entstanden in Auseinandersetzung mit dem Thema der Dynamik, mit suprematischen und sphärischen Kompositionen, mit detailierten Zeichnungen und Skizzen zu puristischen Stilleben aus den zwanziger Jahren. Kostbarster Bestand ist ein Kon-volut von mehreren hundert kleinen Skizzen aus allen Schaffensperioden, die gleichsam den Blick über die Schulter des Künstlers gewähren auf schnell hingeworfene Ideen, präzise Detailzeichnungen, auf Farbstudien und Entwürfe, etwa für das geplante Denkmal für seine 1918 verstorbene Künstlerkollegin Olga Rosanowa. Werke Kljuns aus den dreißiger Jahren zeigen die Rückkehr zu traditioneller Aquarell-Landschaftsmalerei, in denen Farbkontraste und Details allmählich verschwinden.

Costakis sammelte auch hunderte von Arbeiten auf Papier der Avantgarde-Künstler aus den zwanziger Jahren, in der sie ihren Ideenreichtum einer neuen Ordnung zur Verfügung stellten und in neu gegründeten Handwerksinstituten und Werkstätten in Moskau und Petrograd stärker praxisorientiert arbeiteten. Förderung, Aufträge und Ankäufe durch die bolschewistische Regierung band die künstlerischen Kräfte geschickt ein und ließ Entwürfe entstehen: für ein modernes Agitproptheater (1926) von Babit-schew, von Ku-drjaschew für die Innendekoration des Ersten Sowjetischen Theaters (1920), Bühnenentwürfe von Popowa, von Kluzis Projekte für Bednertribü-nen, Propagandastände und Lautsprecheranlagen. Zeugnisse der Gestaltung von Porzellan, Kostümen und Textilien, von Bucheinbänden und Schriften, von künstlerischen und politischen Plakaten hat Costakis aufgespürt, erworben und somit oftmals vor der Vernichtung gerettet, ebenso persönliche Zeugnisse, Briefe, Postkarten, und Manuskripte, die er bei Freunden und Familienangehörigen der Künstler gefunden hat.

George Costakis Verdienst ist die Neuentdeckung der über die AVirren des Krieges und der Nachkriegszeit in A'ergessenheit geratenen Kunst.

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