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Der Kunstmarkt Europas triumphiert

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Venedigs Biennale steckt in der Krise. Die Kunstbiennale wie das Musikfest, das nur noch mit Renommiernamen arbeitet, das Theaterfestival wie die Filmbiennale. Es sind die gleichen Krankheitssymptome, die auch bei allen anderen großen europäischen Festivals zu konstatieren sind: eine Jährzehnte hindurch strapazierte Idee trägt nicht mehr. Konzessionen an den Publikumsgeschmack und vor allem an politische Parteien und Geldgeber verhindern die Verwirklichung eines konsequent durchdachten Programms. Man verläßt sich auf ein paar Stars, die die Phantasielosigkeit des Programms kaschieren müssen. Die bis Ende Oktober in Venedigs renommiertem Museum moderner Kunst, dem Ca’ Pesaro, gezeigte, von der Biennale veranstaltete Ausstellung „Aspekte europäischer Graphik 1971“ ist das treffendste Beispiel: ein aufwendig arrangiertes Sammelsurium gängiger Graphik.

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Venedigs Biennale steckt in der Krise. Die Kunstbiennale wie das Musikfest, das nur noch mit Renommiernamen arbeitet, das Theaterfestival wie die Filmbiennale. Es sind die gleichen Krankheitssymptome, die auch bei allen anderen großen europäischen Festivals zu konstatieren sind: eine Jährzehnte hindurch strapazierte Idee trägt nicht mehr. Konzessionen an den Publikumsgeschmack und vor allem an politische Parteien und Geldgeber verhindern die Verwirklichung eines konsequent durchdachten Programms. Man verläßt sich auf ein paar Stars, die die Phantasielosigkeit des Programms kaschieren müssen. Die bis Ende Oktober in Venedigs renommiertem Museum moderner Kunst, dem Ca’ Pesaro, gezeigte, von der Biennale veranstaltete Ausstellung „Aspekte europäischer Graphik 1971“ ist das treffendste Beispiel: ein aufwendig arrangiertes Sammelsurium gängiger Graphik.

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Deutlich sieht man, was einflußreiche Galerieunternehmer auf dem Gebiet moderner Graphik lancieren wollen, wessen Arbeiten im Kurs steigen sollen. Das Geschäft hat Vorrang. Der Markt triumphiert. Stilistische Kriterien spielen kaum eine Rolle, Konstruktivismus steht neben Post-Surrealismus, Realisten wetteifern mit dem toten Pop, Land Art, Picasso, Cobra-Gruppen-Kunst…, ein buntes Blätterdurcheinander, das nach der Devise „Immer an der Wand entlang“ gehängt wurde.

Allein schon die Einfallslosigkeit der Gruppierungen zeigt, wie diese Schau geistig orientiert ist: Länderweise, nach Künstlern alphabetisch gehängt, geraten durchweg Arbeiten nebeneinander, die nich’t nur nichts miteinander zu tun haben, sondern die obendrein einander auch noch „erschlagen“. Picasso unmittelbar neben Vasarely, Matta, Hartung und Dubuffet sind eine harte Nuß. Gleich nebenan hängen Max Ernst, Heinz Mack, Otto Piene, Hans Richter, dann Pasmore, Smith, Sutherland und Tilson usw.

Wer sich in den Tendenzen 71 nicht ohnedies gut auskennt, wird hier vergeblich Orientierung suchen.

Österreich ist in diesem Wirrwarr noch relativ überzeugend vertreten: Frohner und Hrdlicka, als „Verwandte“, und Hundertwasser, Lehmden und Wotruba als „Außenseiter“ konkurrenzieren einander nicht, wenngleich sie auch nicht die heutige österreichische Graphikszene zu re- sümmieren imstande sind. Unwillkürlich muß man sich fragen, ob nicht eine in den Aspekten mehr auf die Avantgarde orientierte Schau sinnvoller gewesen wäre, eine Schau, in der die Jungen demonstrieren, was hierzulande alles passiert: Gi- roncoli, Pichler, Rainer usw. So sind wir durchweg mit repräsentativen, in Venedig von den Biennalen her bekannten Namen vertreten. Auf uns aufmerksam machen können wir indes damit nicht, sind doch fast alle der hier gezeigten Österreicher auch den im Hintergrund der Schau stehenden Galerien, so „Marlborough- Graphics“ (London), Maeght (Paris), Marconi (Mailand), Stamperia d’Arte 2RC (Rom) usw. wohlbekannt.

Wie so oft: eine Monsterausstel- lung mit hunderten Blättern, aber ohne jede Phantasie, ohne jedes Bemühen um ein Durchsichtigmachen der Situation, nur mit Routine arrangiert.

Welch ein Unterschied zur großen Enrico-Baj-Ausstellung im Palazzo Grassi in Venedig, die das Gesamtwerk dieses witzig-originellen Künstlers vorstellt Mit Österreichs Parademaler Hundertwasser, Starkunstkritiker Restany, Yves Klein, „Messerstecher“ Lucio Fontana und Österreichs emigriertem Parade- Dada-Artisten Raoul Hausmann hat Enrico Baj, Jahrgang 1924, aus Mailand gebürtig, all denen, die Kunst, Kunstmanagement und -markt tierisch ernst nehmen, so manchen Tiefschlag versetzt: 1957 mit einem Manifest „Gegen die Stile“, mit Pamphleten, Zeitschriften, und natürlich mit seinen politisch aggressiven Arbeiten.

Aller Angriffslust zum Trotz hat sich freilich der internationale Kunsthandel von Baj nicht abschrecken lassen, so daß er heute zu den arrivierten Spitzenkünstlern Italiens zählt: daß er dadurch’ nichts an Originalität, Frechheit, Schlagfertigkeit eingebüßt hat, beweist nun seine monumentale Schau.

Dickwanstige, aufgeblasene Polit- Ungeheuer, ordenübersäte Generale, aufblasbare politische Persönlichkeiten tollen über seine Bildtafeln oder posieren als kostümierte Figuren in Spiegelkabinetten und Galerien. Eine Parade der Popanze, ein Maskenball verrotteter Roboter, ein Fest absurder Existenzen…

Kunst — und speziell Malerei — ist für Baj Kritik: Scherz, Satire, Ironie und deren abgrundtiefe Bedeutung. Hinter dem chic und flott hingepinselten Adam-und-Eva-Bild mit Roboterfreund tut sich eine „Un- Welt“ auf: Verkitschung, die Gewalt drohender Maschinen, Entmenschlichung — Militarismus! Gegen Militärs wütet er mit Pinsel, Farbe, Orden und Stoffresten. Jedes Werk eine neue Attacke. Seine Militärs haben ihn denn auch weltberühmt gemacht. So ziemlich alle großen Museen zeigten diese Werke Bajs. In Wien stand er ein-, zweimal im Gespräch. Dabei ist es nach guter, alter Sitte geblieben.

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