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Zeichenkunst und Surrealismus

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Der Wiener Art-Club hat vor einigen Tagen in der Zedlitzgasse eine Ausstellung von Graphiken und Skulpturen eröffnet. Jedes Unternehmen dieser Art verdient Beachtung, hat doch die österreichische Kunst seit den Tagen Klimts, und Schieles, welche Künstler ja geradezu eine neue Periode der Zeichenkunst eingeleitet haben, der Graphik viele bedeutende Kräfte zugeführt.

Immer noch unbestritten und von keinem erreicht, steht Alfred Kubin seit Jahrzehnten an der Spitze der zeitgenössischen österreichischen Graphik; sein unübersehbares Lebenswerk, ein Katalog des Dämonischen gewissermaßen, weist kaum Stilschwankungen auf. In seinen Blättern, die von den Zeichnungen der jüngeren und manchmal radikalen, modern sein Wollenden umgeben sind, erweist er sich immer noch als der weitaus Stärkste und Überlegene; sein prachtvoller „Stier” zum Beispiel besitzt mehr Hintergründigkeit als die Deformationen der benachbarten Surrealisten. Ähnliches ließe sich von den Arbeiten Hans Frontus sagen, eines Künstlers, der sich in kurzer Zeit und verdientermaßen in die erste Reihe unserer Graphiker gestellt hat. Kubin in seiner Vorliebe für das Dämonische, Bedrohliche, manchmal auch Magische verwandt, unterscheidet er sich von dem Nestor doch in den Mitteln der Darstellung; er bevorzugt die Verschleierung, Andeutung und gewinnt Aufschlüsse aus der geheimnisvollen Mechanik des Traums. Audi diesmal zeigt er Blätter von hohem Rang. Eine andere, hellere Seite des Traumhaften wird in den reizvollen Miniaturen A. P. Güterslohs und den noblen Zeichnungen Alfred Wickenburgs spürbar.

Aus den Reihen der Jüngeren treten gleichfalls starke graphische Begabungen hervor. Zu nennen sind Karl Kreutzberger mit seinen streng gebauten, schönen Landschaftszeichnungen, Carl Unger mit freundlichen, manchmal etwas konstruierten venezianischen Aquarellen und schließlich Kurt Moldovan, dessen Landschaften und Ballettszenen nicht nur graphisch gelungen erscheinen, sondern auch Phantasie und Originalität in der Betrachtungsweise verraten; er geht eigene und interessante Wege. Die ironischen und ein wenig an Paul Klee erinnernden, sehr gescheiten Liniengeflechte des jungen Innsbruckers Paul Flora folgen in nahem Abstand, und endlich müssen einige beachtliche Zeichnungen von Susanne Wenger erwähnt werden, die auffallenderweise in Ihren surrealistischen Kompositionen alle Reize einer recht flachen Gespensterhaftigkeit opfert.

Daß die Graphik nach dem Dämonischen tendiert, ist nicht verwunderlich, denn ihr haftet von vornherein etwas Irreales, sinnlich schwer zu Erfassendes an. Die Bildhauer haben es schwerer, diese Irrealität aus dem Stein zu erwecken. Sie begnügen sich deshalb damit, lieber dem gefälligen Experiment nachzustreben wie Wander B e r t o n i. Maria Bilger erzeugt nach archaischen und exotischen Vorbildern geschmackvolle Kleinigkeiten.

Es ist schade: auch diesmal überwiegen im Art-Club die Arbeiten der verhältnismäßig kleinen Gruppe der Wiener Surrealisten, was angesichts dessen, daß sie eine Anzahl schon älterer Blätter nochmals zeigt, nicht ganz verständlich ist. Es fällt auf, daß ihre Arbeiten von Mal zu Mal blasser und manierierter werden; doch ist das zu verstehen, denn das Inventar des Surrealismus ist erstaunlich gering. Anorganisches und Zertrümmertes ähneln einander immer, daher müssen Bilder, die das Anorganische und die Zertrümmerung feiern, einander gleichfalls ähneln, wenn der Künstler in der surrealistischen Welt verharrt und sich nicht zu Formungen aufraffen will. In einem Fall wie dem des jungen Anton L e m d e n wird man es nur bedauern können; als er vor einiger Zeit zum ersten Male an die Öffentlichkeit trat, freute man sich an einer natürlichen und ungezwungenen Begabung, seither ist er wie Ernst Fuchs in die unfruchtbaren Gebiete der Wiederholung abgewandert. Er hat mehr versprochen. Eine Ausnahme bildet in dieser Hinsicht Wolfgang Hutter, er hat sich ein eigenes pflanzliches Inventar geschaffen, in dem eine zwar von Zweideutigkeiten nicht freie, aber doch irgendwie echte Heiterkeit blüht.

Gleichwohl fordert die surrealistische Sektion des Art-Clubs auch diesmal zu einigen Bemerkungen heraus. Zweifellos ist der Künstler, und gerade der Künstler, berechtigt, das Elend der Welt und die fortschreitende Zerstörung des Menschlichen, beides leider unbestreitbare Tatsachen, zu schildern. Die Voraussetzung dazu ist aber, daß er es mit Ernst und Aufrichtigkeit tut, zu den entsprechenden Problemen, und sei es auch im negativen Sinne, Stellung nimmt, sich also seiner Verantwortung gegenüber der Kunst und der Gesellschaft bewußt ist. Die Ruinen des Krieges haben zunächst Entsetzen hervorgerufen — einiges davon ist auch wirklich in den früheren Arbeiten etwa Ernst Fuchs’ zu verspüren. Vielleicht wäre es an der Zeit, die Ruinen zu beseitigen und an ihrer Stelle Neues zu errichten, vielleicht wäre es besser, sie als Mahnung und Erinnerung stehen zu lassen — das kann hier nicht entschieden werden. Aber — und das i s t entscheidend: es geht nicht an, daß man sich in ihnen gemütlich niederläßt und makabre Gschnas- feste feiert, nachdem man ringsum die zerbrochenen Mauern zum Bürgerschreck mit phallischen Ornamenten dekoriert hat. Hier hört die Frage nach der Kunst auf und beginnt der Jux mit dem Entsetzen.

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