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Zum Wiedererstehen der „Wiener Sezession”

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Die „Wiener Sezession”, die bis 1938 das österreichische Kunstleben maßgebend beeinflußt hatte und über die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus Ansehen genoß, hat in dem letzten Jahrzehnt nicht nur ihre künstlerische Selbständigkeit, sondern auch ihr Haus, das bekannte Werk Olbrichs, eingebüßt. Nunmehr haben sich ihre alten Mitglieder wieder zusammengefunden und treten zum ersten Male seit fast einem Jahrzehnt wieder als geschlossene Künstlervereinigung mit einer Ausstellung vor die Öffentlichkeit.

Die Verhältnisse, unter denen dieses künstlerische Ereignis vor sich geht, sind nicht die günstigsten. Die allgemeine Depression, die auf das gesamte Wiener Kulturleben ihre Schatten wirft, macht sich auf dem Gebiete der bildenden Kunst besonders bemerkbar, und die Zedlitz-Halle, die für diese Ausstellung zur Verfügung steht, ist durch ihre lichte Wandbespannung und ihr ungedämpftes Licht durchaus kein idealer Ausstellungsraum, so daß die Farben vieler Bilder nicht recht zur Geltung kommen.

Im allgemeinen ist das Niveau der ausgestellten Kunstwerke höher als das so mancher Ausstellungen der letzten Zeit. Neben der Gruppe der altbewährten Mitglieder der „Sezession”, die wie P a u s e r, Dobrowsky, Huber, Laske und W. Kaufmann zu den führenden Künstlerpersönlichkeiten Wiens zählen, finden wir auch eine Reihe jüngerer Künstler aus Wien und den Bundesländern, die teils durch Können, teils auch durch ihr Bestreben, neue künstlerische Wege zu gehen, unser Interesse fesseln.

v Manchmal hat man bei ihnen allerdings den Eindruck, daß nicht das künstlerische Erlebnis in ihren Bildern nach Ausdruck ringt, sondern daß die farbenreiche Palette für sie das Maßgebende oder daß die Maltechnik für sie entscheidender ist als der künstlerische Gedanke oder die expressive Gestaltung des Motivs. Der zweifellos begabte Paul O. H a u g, der mit brutaler Kraft seine farbigen Visionen malt, aber auch Ferdinand Kitt, dessen Aquarelle nur aufs Flüssige hin gemalt sind, gehören hierher.

Da und dort fühlt man den Pulsschlag der neuen Zeit, die Sehnsucht, aus der Alltäglichkeit heraus in das Reich seelischen Erlebens zu flüchten, wie in den religiösen Kompositionen Elisabeth Stembergers, aber man merkt auch, daß die Erdenschwere unausgereifter künstlerischer Technik den Flug der Idee hemmt. Eine Überraschung bringt der Salzburger GeorgJung, der in seinen auf wenigen Farbtönen aufgebauten figuralen Arbeiten, durch die Leuchtkraft seiner Palette und die Lebendigkeit der Gestaltung auffällt. D o- b r o w s k y wird immer ruhiger und abgeklärter in seinem malerischen Vortrag, vor allem iq dem noblen „Damenbildnis in Schwarz”.

Eine interessante Leistung ist Güterslohs für die Stadt Wien bestimmter Gobelin, sein innerstes Wesen aber verrät sich in den hervorragenden illustrativen Federzeichnungen, kleinen Meisterwerken graphischer Kunst. Überhaupt sind Graphik und Aquarellmalerei besonders gut vertreten. Ein vorzügliches „Selbstbildnis” von Rutsch, die technisch brillanten Graphiken Stefferls, die auch motivisch und kompositioneil das Mittelmaß weit uber- beigen, die köstlichen Pastelle P reg artbauer s, der sonst in seinen Ölbildern oft so schwer anmutet, bleiben im Gedächtnis haften. Daß auch die Plastik durch Humplik, Stemolak, Cremer und P o w o 1 n y ausgezeichnet vertreten ist, bedarf keiner besonderen Erwähnung.

Uber die Fülle guter Arbeiten ein kritisches Urteil abzugeben, ist nicht Aufgabe einer kulturellen Wochenschrift, die über den künstlerischen Einzelfall hinaus die Wege aufzeigen soll, die sich der Kunst der Gegenwart eröffnen. Die „Wiener Sezession” scheint dazu berufen zu sein,’ Sammelpunkt bewährter Kräfte und vorwärtsstürmender Talente zu werden, wie es früher ihr Ziel gewesen ist. Deshalb ist ihre erste Ausstellung nach so langer erzwungener Pause ein künstlerisches Ereignis, das über die Bedeutung anderer Ausstellungen hinaus in das Wiener Kunstleben eine bemerkenswerte Note bringt.

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