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Baedeker zu den Festwochenausstellungen

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Im Grunde ist es ein Widersinn: Das ganze Jahr hindurch ruht der Wiener Ausstellungsbetrieb, rekelt sich hie und da ein wenig und gibt von Zeit zu Zert ein Lebenszeichen von sich. Und dann, auf einmal, erfolgt, weil Wien gerade Festwochen feiert, ein so kräftiger „Kulturstoß“, daß wir gar nicht mit- und nachkommen. Da werden jeden Tag, oft zur selben Stunde, Ausstellungen eröffnet, Reden gehalten, und selbst der kleinste Abstellraum verwandelt sich plötzlich in eine Galerie; sogar bezirksweise werden die Künstler erfaßt und ausgestellt. Die öffentlichen Galerien und Museen verlangen nur den halben Eintrittspreis und Plakate weisen uns (erfreulicherweise!) auf die Vielfalt des „amtlich“ Gebotenen hin; daneben entfalten die privaten Galerien und Ausstellungshäuser eine besonders rege Tätigkeit.

Gewiß ist es. für den Fremden, der zu den Festwochen kommt, erfreulich, wenn er zwischen dem Besuch von zwanzig und nicht bloß von zwei Ausstellungen, zu wählen hat. Die Ausstellungen sind aber unserer Ansicht auch für die Wiener da; und diese, sonst nicht verwöhnt, sehen sich auf einmal einer solchen Fülle von Veranstaltungen gegenüber, daß es ihnen schwer wird, alles Sehenswerte auch wirklich aufnehmen und bewältigen zu können. Daher scheint die Forderung begründet, daß diese Ausstellungen nicht bloß zur Zeit der Festwochen offen gehalten werden sollten, sondern noch ein, zwei Monate darüber hinaus, so daß jedermann, der sie sehen will, sie auch wirklich in Ruhe ansehen kann. Denn es ist nicht jedermanns Sache (und auch gar nicht wünschenswert) an einem Tage durch drei Expositionen zu hasten. Einige von ihnen werden ja bis in den Juli hinein geöffnet sein, andere aber werden schon Ende Juni geschlossen werden, ehe sie ihre Funktion ganz erfüllen konnten.

Zwei Ausstellungen, die man sich unbedingt ansehen muß: Die Schau „Europäische Kunst gestern und heute“ im Museum für angewandte Kunst (Eingang Weiskirchnerstraße) und die Paul-KIee-Aus-stellung in der Secession. Das Amt für Kultur und Volksbildung der Stadt Wien hat sich redlich bemüht, eine repräsentative Ueberschau über die europäische (richtiger: mitteleuropäische) Kunst der letzten beiden Jahrhunderte zustandezubringen. Sie führt von Daumier und Degas bis zu Picasso und Leger; insbesondere Cezanne, Matisse, Münch und Franz Marc sind gut vertreten. Die angeschlossene Plastikausstellung (von Rodin bis Marini) ist schwächer. Führungen durch die Ausstellung sollen zum Verständnis der Schau beitragen und ihre erzieherische Absicht unterstreichen.

Das Kunsthistorische Museum und das Historische Museum der Stadt Wien zeigen eine Ausstellung ihrer Neuerwerbungen der letzten Jahre; die Akademie der Bildenden Künste wartet mit zwei schönen Ausstellungen auf: die eine führt die österreichische Landschaftsmalerei von Schindler bis Klimt; die andere, die im Kupferstichkabinett der Akademiebibliothek eingerichtet ist, stellt in „Bildnis und Karikatur“ kostbare Graphiken aus vielen Jahrhunderten zusammen, von drei Blättern Albrecht Dürers führt sie bis zum Humoristen Paul Flora und dem Karikaturisten „Ironimus“; Blätter von Rembrandt (Selbstbildnis mit Saskia), Lucas Cranach und Gustav Klimt sind einige der Sehenswürdigkeiten dieser mit Liebe und Sorgfalt zusammengestellten kleinen Exposition.

Das Oesterreichische Museum für angewandte Kunst (Eingang Stubenring) zeigt eine Schau kostbarer Edelmetallarbeiten des 11. bis 18. Jahrhunderts aus Serbien; leider erlaubt der Platz auch hier bloß diese kurze Anzeige. In drei Ausstellungen sind Werke von Alfred Kubin zu sehen: in der Galerie St. Stephan, in der Berufsschule Wien VI, Mollardgasse 87, und in der kleinen Schau „Wort und Bild“, die aus Anlaß des Internationalen PEN-Kongresses in Wien Arbeiten von Mitgliedern des Oesterreichischen PEN-Plubs zeigt (Friedrich-Schmidt-Platz). Albert Paris Gütersloh, gleich berühmt als Maler wie als Schriftsteller. Oskar Kokoschka, der in den beiden ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts uch mit seinen Dramen die Gemüter erregte, Alfred Kubin, der seinen Roman „Die andere Seite“ zweimal selbst illustrierte, Carry Hauser, der als Carl Maria Hauser auch Dichtungen geschrieben hat, Fritz Wotruba, von dem eine Buchausgabe seiner Gedanken zur Kunst vorliegt, und Käthe Braun-Prager geben hier mit zwei oder drei Bildern, Handschriftenproben, Ausstellungskatalogen und Buchausgaben ihre Visitenkarten ab.

Schließlich sei noch auf zwei Ausstellungen im Künstlerhaus verwiesen: Auf die sehr schöne Kollektion von großflächigen, meist hochformatigen und zuweilen farbigen Holzschnitten des jungen Expressionisten Karl Heinz Hansen, der 1950 nach Brasilien auswanderte und sich dort rasch akklimatisierte, und auf die gediegene Jahresausstellung des „Kreis“ (mit Gästen aus Paris) im Französischen Saal.

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