Auf Augenhöhe mit den Kollegen

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Das Belvedere möchte Künstlerinnen der Wiener Moderne mit der Schau "Stadt der Frauen" gemäß ihrer Bedeutung zu Lebzeiten würdigen.

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Das Belvedere möchte Künstlerinnen der Wiener Moderne mit der Schau "Stadt der Frauen" gemäß ihrer Bedeutung zu Lebzeiten würdigen.

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Mit dämonischem, lüsternem Blick starrt sie herausfordernd vor sich hin, ungebändigte Haare wallen, der Mund wirkt verbissen: eine aus Marmor geschaffene, nackte Hexe, die sich für die Walpurgisnacht die Fußnägel schneidet. Ganz und gar kein "fräuleinhaftes" Thema hatte Teresa Feodorowna Ries für ihre Skulptur gewählt, die in der Künstlerhausausstellung 1896 präsentiert wurde. Es kam zum Skandal, zum Aufschrei der Kritik. Aber schon damals gab es Fürsprecher ersten Ranges, Stefan Zweig schrieb eine Hymne über Sinnlichkeit und satanistische Stimmung des Werks, Gustav Klimt lud Ries ein, in der Secession auszustellen. Eines war Ries jedenfalls gelungen: Sie polarisierte.

Dabei war es aber nicht alleine das Sujet, das die Zeitgenossen erboste. Die Bildhauerin war in eine männliche Domäne eingedrungen. Wie undenkbar war es in einer Zeit, in der manche den Frauen überhaupt jegliches kreative Potenzial absprachen, dass eine ins Korsett geschnürte Dame sich an hartem Marmor abarbeitete.

An eben diese Divergenz gemahnt der rohe, ungeschliffene Marmorblock, auf dem die "Hexe" platziert ist - wie auch Ries' Schlafwandlerin und ihre liegende "Eva", eine wie die andere beeindruckend: die "Eva" durch ihre Monumentalität, die "Somnambule" durch minutiöse Herausarbeitung von Faltenwurf und wallendem Haar. Für letztere musste übrigens das Stubenmädel Modell stehen, war Frauen das Aktstudium doch verwehrt.

Der Erfolg sollte Ries Recht geben. Sie nahm an mehreren Weltausstellungen teil, hatte ihr eigenes Atelier - bis sie 1938 in die Schweiz floh. Ihr Lebenswerk ließ sie zurück, nach ihrer Heimkehr konnte sie es nur mehr fragmentarisch dem Wien Museum übergeben. Die abgebrochene Hand der nun im Belvedere ausgestellten "Hexe" spricht auf doppelte Art und Weise Bände.

Vergangener Ruhm

In vielerlei Hinsicht ist Teresa Feodorowna Ries also ein treffendes Beispiel für das, was die Ausstellung "Stadt der Frauen" im Unteren Belvedere aufzeigen möchte. Hier sollen Künstlerinnen der Zeit von 1900 bis 1938 auf eine Art und Weise gewürdigt werden, wie es ihrer Bedeutung zu Lebzeiten entsprach. Die Geschichte der Wiener Moderne wird oft als stark männlich dominierte rezipiert, man spricht in diesem Zusammenhang von Klimt und Schiele, von Hoffmann und Moser, aber keinesfalls von Ries, Emilie Mediz-Pelikan oder Fanny Harlfinger-Zakucka.

Nicht umsonst stellt die Kuratorin Sabine Fellner im Katalog die Frage: "Könnte es sein, dass wir vor rund einhundert Jahren in dieser Frage bereits sehr viel weiter waren?" Waren doch bei einer von Klimt kuratierten Kunstschau 1908 ein Drittel der ausstellenden Künstler weiblich, sie stellten auf Augenhöhe mit den männlichen Kollegen aus. Ein Beispiel dafür ist Elena Luksch-Makowsky mit ihrem Selbstbildnis für Ver Sacrum und ihrer "Adolescentia", für welche Josef Hoffmann sogar einen eigenen Raum der Secessionsschau schuf.

All das geschah zu einer Zeit, in der den Künstlerinnen die Aufnahme in die Akademie ebenso verwehrt war wie in die meisten Künstlervereinigungen, ja, wo sogar noch Diskussionen geführt wurden, ob denn Frauen überhaupt in der Lage seien, kreativ zu arbeiten. "Viele Erkenntnisse haben mich selbst überrascht", sagt Fellner. "Ganz klar aber wird: Die Wiener Moderne war auch weiblich und die Beiträge von Frauen sind sehr ernst zu nehmen. Wir hoffen, dass durch die Ausstellung das tradierte Bild ein bisschen zurechtgerückt wird."

Neues Terrain für die Kunstgeschichte

Belvedere-Direktorin Stella Rollig sieht hier einen klaren Bildungsauftrag ihres Hauses, dessen Ruf doch so sehr auf den Stützen der Wiener Moderne aufbaut. Sie spricht überhaupt von einem "Umschreiben der Kunstgeschichte: Sie wird nach dieser Schau nicht mehr so stehen bleiben können wie bisher. Wir haben hier Lichtjahre an neuem Terrain erschlossen."

Zwar ist "Stadt der Frauen" nicht die erste Untersuchung über Künstlerinnen der Wiener Moderne, aber bei Weitem die umfangreichste Ausstellung über jene Zeit, in der ausschließlich Frauen vorkommen. 60 Künstlerinnen werden präsentiert, 260 Exponate sind zu sehen. Dafür ging man naturgemäß nicht nur in hinterste Winkel der Depots, sondern auch auf Dachböden, um die oft in Vergessenheit geratenen Werke aufzuspüren, selbst wenn die Vorgängerinstitution des Belvederes bereits um die Jahrhundertwende Arbeiten von Künstlerinnen angekauft hatte und ebensolche gerade in den vergangenen Jahren unter Stella Rollig verstärkt Aufnahme in die permanente Schausammlung fanden.

Natürlich entdeckt man in der Ausstellung auch Namen, die man kennt und die im Belvedere auch in der vergangenen Zeit gewürdigt wurden. Tina Blaus lichtdurchflutetes Pratergemälde ist ein Höhepunkt der Schau, Olga Wisinger-Florian zieht das Auge des Betrachters in Blumenfelder ebenso hinein wie in einen herbstlichen Wald. Doch bei Gertraud Reinberger-Brausewetter oder Bertha Tarnóczy von Sprinzenberg musste selbst die Direktorin bei der Pressekonferenz auf ihren Spickzettel schauen -es ist also keineswegs eine Schande, wenn man einige der Künstlerinnen beim Betreten der Schau nicht kennt. Sicher aber ist: Durch diese Ausstellung wird das kollektive Kunstgedächtnis um einige Namen reicher sein, werden doch viele spannende Schicksale vor den Vorhang geholt.

Gefeiert, verbannt, vergessen

Broncia Koller-Pinell zieht sich überhaupt durch die gesamte Ausstellung, die stilistisch vom Stimmungsimpressionismus über den Secessionismus und Expressionismus bis zum Kinetismus und der Neuen Sachlichkeit reicht. Koller-Pinell kann gleichsam als roter Faden für die Belvedere-Schau herhalten, hat sie doch besonders viele verschiedene Stile rezipiert und auf ihre Art und Weise umgesetzt. Nicht umsonst war sie Teil der Freitagabendtreffen der Klimtgruppe und eine damals renommierte Künstlerin. Niemand Geringere als Bertha Zuckerkandl schrieb über Koller-Pinell: "Es ist wirkliche, nicht nachempfundene männliche Energie in dem Formenausschnitt und in den Pinselstrichen dieser Künstlerin." Interessant ist auch das Schicksal von Stephanie Hollenstein, die im Ersten Weltkrieg als Mann verkleidet an der Front diente, bevor sie aufflog und als Kriegsmalerin arbeitete. Später war sie frühes Mitglied der NSDAP, nicht nur ihr Lebenslauf, auch ihre Bilder sind voller Kanten und Zacken.

Erkennt man aber in der Schau, dass die Werke nicht von Männern, sondern von Frauen stammen? Kuratorin Sabine Fellner verneint, was die Qualität der Arbeiten betrifft, räumt aber ein, dass "Frauen spezielle Themenbereiche behandelten. Waren sie anfangs auf Stillleben, Porträts und Landschaftsmalerei beschränkt, so durchbrachen sie dies durch einen verstärkt sozialkritischen Blick. Sie malten Zeitungsausträger und Bergarbeiter und setzten Leuten ein Denkmal, die sonst nicht vor den Stift geholt wurden."

Wie aber konnte es sein, dass diese Künstlerinnen, die sich damals größter Akzeptanz erfreuten, derart in Vergessenheit gerieten? Wieso weiß man heute nicht mehr, dass viele Künstlerinnen es schafften, sich einen Namen zu machen und ihre Werke in den Ausstellungen von Künstlerhaus, Secession und Hagenbund prominent zu platzieren? Nicht umsonst ist der zeitliche Rahmen der Schau mit 1938 begrenzt. Waren Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Kunstgeschehen Wiens fest verankert, so wurden sie nach 1938 verbannt und vergessen. Das NS-Regime und der Zweite Weltkrieg führten dazu, dass ihre Werke aus Museen, Galerien -und somit aus der Kunstgeschichte -verschwinden sollten. Gegen dieses Vergessen will man nun ankämpfen, vor allem aber den Künstlerinnen zu einer Bedeutung verhelfen, die sie sich einstmals schon erobert hatten.

Stadt der Frauen Künstlerinnen in Wien von 1900 bis 1938 Unteres Belvedere, bis 19. Mai 2019 tägl. 10-18 Uhr, Freitag 10-21 Uhr

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