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Fluufer und Drachen im Mondschein

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Das Ereignis muß festgehalten werden: Wien hat derzeit eine Ausstellung, zu der es sich lohnt, nach Wien zu fahren. Die Ausstellung befindet sich im Oesterreichischen Museum für angewandte Kunst (Eingang: Stubenring) und zeigt japanische Farbholzschnitte aus den Beständen des Museums. Die Ausstellung wird bereichert durch japanisches Gerät, kleine Möbel, Gefäße, Stoffe, Waffen, Schmuck, die, oweit sie auf den Blättern wiedergegeben und *in den Depots vorhanden waren, auch in natura gezeigt werden; ein glücklicher Gedanke, der zur Belebung der Ausstellung beiträgt. Dessen hätte es aber im Grunde gar nicht bedurft: denn die gezeigten Blätter machen uns mit einer fremden und so reichen Welt vertraut, daß wir von ihr ganz erfüllt sind.

Der japanische Farbholzschnitt ist eine Spätkunst; er wurde nie zur „hohen“ Kunst gerechnet, war aber zur Zeit seiner Blüte überaus volkstümlich. Die Holzschnittkunst beginnt in Japan etwa um 1670 größere Bedeutung zu erlangen; zunächst noch im Schwarzweißdruck. Später vervollkommnet sie sich in Technik und Stil und endet jäh um 1870; eine neue politische Epoche öffnet Japan dem Westen. Die Herstellung der Holzschnitte war in Japan weniger eine Sache der Künstler als der Verleger. Der Maler lieferte die Vorzeichnungen für die Holzschnitte und versah sie mit genauen Farbangaben. Die Holzschneider mußten dann für die Linienzeichnung und für jede Farbe je eine Platte schneiden, die Drucker stellten dann aus den Holzstöcken meist mehrere hundert Abdrucke auf Papier, Seide, auch Leder her, deren Qualität oft schwankte. Der Holzschnitt war für ein breites Publikum bestimmt. Daraus erklären sich seine Hauptthemen: Bildnisse berühmter Schauspieler (Starkult!), berühmter Ringkämpfer (Sportkult!), berühmter Kurtisanen, die, geachtet wie Fürstinnen, im vornehmen Vergnügungsviertel Edos lebten; von der bürgerlichen Welt finden wir nur die schönsten Seiten dargestellt: das Leben reicher Frauen und die Feste, Mode und Vergnügungsleben. Die'Landschaft wird für den Holzschnitt eigentlich erst durch seine beiden letzten großen Meister entdeckt: durch Katsushika Hokusai und durch Ando Hiroshige, in deren Kunst sich noch einmal das vereint und manifestiert, was wir uns als Wesen Ostasiens vorstellen; die Blätter dieser Künstler umfassen aber nicht nur Landschaften und Tierstudien,sie schließen auch die gewöhnlichen, „gemeinen“ Seiten des alltäglichen Lebens nicht mehr aus. i Die japanischen Holzschnitte sind entschiedener, robuster als die chinesischen; in ihnen ist alles deutlicher ausgesprochen, kaum jemals der Raum ausgespart für einen Ast, der nur angedeutet ist. Aber auch sie zeigen, was der Holzschnitt geben kann:den Herbstmond über Schiyama, heimkehrende Segelschiffe und Wanderer in Berglandschaften, den wie einen Drachen am Boden kriechenden Pflaumenbaum in Kanido, Damen und Knaben, die Spazierengehen, ein Flötenständchen, Fl.ußufer im Mondschein und Schneefall bei Shisaku, Berge in Nebelschleiern und Reisigsammler im Abend; man müßte alle japanischen Namen hier anführen, sie klingen wie Gedichte; auch die Titel der Reihen sind Gedichte: „Die sechs Tamaflüsse“, „53 Rastplätze des Tokaido“, „Hundert Gedichte, erklärt durch die Amme“, „Rundgang zu den Wasserfällen des Landes“.

Ein kleiner Baedeker noch zur Ausstellung: in der Halle im Parterre wird ein chronologischer Ueber-blick über die Entwicklung geboten, auf der Galerie im 1. Stock sind Holzschnittbücher, Surimonos und Malereien von Holzschnittmeistern zu sehen, und der Eitelbergersaal endlich enthält eine Auswahl der Werke Hokusais und Hiroshiges; man lasse sich also am Anfang nicht allzusehr aufhalten, sonst bleibt für die Betrachtung des letzten Saales nicht genügend

Zeit; und die braucht man gerade hier. Für das Blatt, das den Lampion zeigt, der die Züge einer Ermordeten annimmt, oder für das mit den toten Fischen, unter dem steht: „Wenn die blattähnliche Flunder an der sonnigen Hecke hängt und gelb wird v/ie der Ahorn, welch ein fröhlicher Herbst in der Fischerhude am Strand!“ Solche Blätter kann man in einem Kunstreferat, das durch die Rotationspresse geht, nicht würdigen; man müßte ihr Lob in zierlicher Pinselschrift auf Seide schreiben, und der Fiühmond zur Zeit der Kirschblüte müßte zusehen, und in der Ferne müßte Wasser leise an eine hölzerne Brücke schlagen ... *

Im Innsbrucker Hofgartenpavillon begrüßen wir diesmal als Gäste 17 Künstler der 1946 gegründeten Wiener Künstlergruppe „Der Kreis“, von denen wir einigen schon bei den österreichischen Graphikwettbewerben begegneten. Fast alle gehören abstrakten und konstruktivistischen Stilrichtungen an.

Von guter Qualität ist die humorvolle „Serenade“ von Ernst Paar. Robert Schmitts „Forum Tra-janum“ ist eine schöne römische Erinnerung, die wie ein Entwurf zu einer szenischen Dekoration wirkt. Als begabter Holzschneider erweist sich Hans Stockbauer in seinem Großstadteindruck „Lichtreklame“. Von Arnulf N e u w i r t h stammt die zarte Vision „Mond über Chikago“. Elisabeth Stern-berger bildet in dieser Schau insofern eine wohltuende Ausnahme, als sie in ihren sympathischen Monotypien „Akt“ und „Badende“ die unzerstörte Menschenfortn zeigt. Sonst sehen wir in dieser Ausstellung neben hübschen farbigen Spielereien manche ziemlich sinnlos anmutende Figurationen unter den verschiedensten Titeln und seltsam trostlose Visionen. Man fragt sich, ob hier die Künstler wirklich ihrem inneren Müssen und nicht vielmehr einer momentanen Modeströmung folgen. L.

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