Vom Nervenirrsinn zum Wunder der Welt

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Kokoschkas Frühwerk im Belvedere, das Spätwerk in der Albertina: eine spannende Parallelaktion.

Time, Gentlemen please", so der unspektakuläre Satz, mit dem in englischen Pubs die Sperrstunde ausgerufen wird. Oskar Kokoschka hat den alltäglichen Ausspruch 1972 auf ein Bild seines Spätwerks gekritzelt - ein beeindruckendes Bild, das den herannahenden Tod thematisiert. Zu sehen ist ein Mann mit verkreuzten Armen - unverkennbar ein Selbstbildnis - das Assoziationen zu Christusdarstellungen weckt. Er steht an der Schwelle zwischen Leben und Tod, zwischen Helligkeit und Finsternis. Empfangen wird er von einem Mann mit Bart, offenbar der Tod, der ihm ein Kreuz entgegenhält. "Wie ist es möglich, dass man dem Tod so ins Gesicht sehen kann; sich selbst", hat Kokoschka in seinen Schriften notiert. Es dauerte noch acht Jahre, bis Kokoschka 1980 in der französischen Schweiz die Bühne des Lebens verließ. Ein turbulentes Leben, das 1886 in der kleinen Stadt Pöchlarn in Niederösterreich begonnen hatte und das den Künstler quer durch Europa führte.

Der Wilde von 1908

Kokoschka, der als Maler, Grafiker und Schriftsteller neben Egon Schiele und Gustav Klimt als dritter Gigant der österreichischen Moderne gilt, machte erstmals 1908 auf sich aufmerksam. Als er bei der "Wiener Kunstschau" seine Bildergeschichte "Die träumenden Knaben" präsentierte und in einer expressiven Zeichen- und Bildsprache eine erste "offene Darstellung seiner selbst" zum Besten gibt, wird er schlagartig berühmt. Innerhalb weniger Tage verkauft er alle seine Werke, zugleich avanciert er zum Oberwilden und Enfant terrible der Wiener Kunstszene, dem Thronfolger Franz Ferdinand am liebsten "alle Knochen im Leib brechen" wollte.

Sein künstlerischer und persönlicher Werdegang erzählt sich romanhaft. Die leidenschaftliche Affäre mit Alma Mahler, die Verletzungen im Ersten Weltkrieg, die Flucht vor den Nationalsozialisten, die dramatischen Exil-Jahre im kriegszerrütteten Europa und sein Wirken an der Salzburger Sommerakademie ab den 1950er Jahren gehören zu einem wesentlichen Bestandteil der österreichischen Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Vor allem aber ist es sein ausdrucksstarkes und farbintensives Œuvre, das nach wie vor Stoff für zahlreiche kunstwissenschaftliche Studien und Ausstellungen gibt. Spannend ist der Bogen, der sich von dem emotionsgeladenen "nervenirrsinnigen" Frühwerk bis zum farbintensiven leichtfüßigen Spätwerk spannt. Genauso faszinierend ist es, Kokoschkas sich verändernde Sicht auf die Wirklichkeit zu beobachten. War es im Frühwerk vor allem die Innenwelt des "träumenden Knaben", die der junge Wilde damals auf die Leinwand pinselte, so spricht aus seinem "Spätwerk" die Faszination am "Wunder der sichtbaren Welt", wie er es selbst formulierte.

Dass es an der Zeit sei, Kokoschka, der noch nicht so abgefeiert wurde wie Klimt und Schiele, zu würdigen, befanden gleich drei Museen - so dass sich das heurige Frühjahr als Kokoschka-Fest entpuppte. Unmotiviert, denn ein Jahrestag ist auch beim besten Willen nicht zu entdecken. Die Kunstszene hat sich im Vorfeld den Mund über das "zufällige" Kokoschka-Jahr zerrissen, von sinnloser Konkurrenz war die Rede. Kulturpolitisch ist Kritik an mangelnder Kooperation der Museen und dem Versuch, sich gegenseitig zu übertrumpfen, sicher angebracht. Über die Ausstellungen selbst lässt sich allerdings beim besten Willen nicht meckern. Denn beide Präsentationen sind, gerade aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit, ausgesprochen sehenswert. Man könnte sogar mutmaßen, dass die Konkurrenz möglicherweise zu einer Qualitätssteigerung geführt hat. Und für die Besucher und Besucherinnen ist es ohnehin ein Gewinn, die Entwicklung vom Frühwerk im Belvedere bis zum Spätwerk in der Albertina verfolgen zu können. Die Zwischenkriegsjahre gibt es dann ab 31. Mai im Linzer Lentos zu sehen.

Im Belvedere, das 150 Werke aus der frühen Schaffensphase zeigt, interessieren besonders Kokoschkas Herauswachsen aus dem Umfeld der Wiener Werkstätten, die frühen Grafiken und die in dunklen Farbtönen gemalten Charakterisierungsversuche der seelischen Befindlichkeit einer Person. So porträtierte er, der sich selbst als "psychologischen Dosenöffner" bezeichnete, "Vater Hirsch" (1909) in dem für seine damaligen Bilder typischen Blau als starrköpfigen alten Mann mit gefletschten Zähnen - fern jeglicher Konvention.

In der Albertina, die 44 Gemälde und 160 Papierarbeiten aus dem Spätwerk präsentiert, hinterlässt neben den Buntstiftzeichnungen und den flimmernden Städtebildern besonders der politische Kokoschka Eindruck. "Das rote Ei" nennt sich eine gemalte politische Satire, die 1940/41 in London entstand und die den Kampf um Tschechien zu Thema hat. Es ist gerade die Spannung aus dem ernsten Thema und der farbenfrohen, locker-sarkastischen Malweise - Hitler ist darauf in Narrenkappe zu sehen - die die Wirkung dieses Gemäldes ausmacht.

Die politische Satire 1941

Der Besuch beider Ausstellungen bringt einem das Bild einer komplexen Persönlichkeit nahe. Kokoschka war ein Künstler, der sowohl mit seinen bildkünstlerischen Innovationen als auch mit seinen literarischen Werken - er gilt als Wegbereiter des expressionistischen Dramas - die österreichische Kulturgeschichte wie kaum ein zweiter dominiert hat. Er war ein Künstler, der sich selbst trotz Kritik stets treu blieb - egal ob es die Kritik der konservativen Umgebung im Wien um 1910 war oder die kritische Sicht aus dem Umfeld der Avantgarde nach 1945, die das Spätwerk als zu "lieblich" gering schätzte. Wie kaum einem Zweiten gelang es Kokoschka sowohl thematisch als auch medial einen großen Bogen zu spannen - und dennoch stets unverkennbar zu bleiben. In seinem Œuvre findet sich Märchenhaftes genauso wie Satirisches, Malerisches genauso wie Zeichnerisches, Düsteres genauso wie Heiteres. Dass er zugleich Beziehungen außergewöhnlich intensiv lebte und ein politisch wachsamer wie sozial engagierter Zeitgenosse war, macht ihn umso sympathischer.

OSKAR KOKOSCHKA

Träumender Knabe - Enfant terrible

Unteres Belvedere, Orangerie

Rennweg 6, 1030 Wien

Bis 12. Mai tägl. 10-18, Mi 10-21 Uhr

Katalog hg. von Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger, Verlag Bibliothek der Provinz, Wien 2008, 300 Seiten, € 38,-

OSKAR KOKOSCHKA

Exil und neue Heimat 1934-1980

Albertina, Albertinaplatz 1, 1010 Wien

Bis 13. Juli tägl. 10-18, Mi 10-21 Uhr

Katalog hg. v. Antonia Hoerschelmann, Wien 2008, 328 Seiten, € 29,-

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