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Ein Knstlerschicksal

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„Auf Erden werden die Menschen jetzt — vielleicht — frei. Ich aber muß sie verlassen. Traurig ist das und schwer, das Sterben. Doch nicht schwerer, als das Leben war, mein Leben ...“ Dies sind die letzten, von einem Freund aufgezeichneten Worte, die Egon Schiele sprach, bevor er am 31. Oktober 1918 in der Wohnung seiner Schwiegermutter in Hietzing starb. Seine Frau, von der gleichen Krankheit — der spanischen Grippe — dahingerafft, war ihm vier Tage früher im Tod vorangegangen. — So endete das Leben eines Künstlers, der in acht kurzen hektischen Jahren ein bedeutendes Opus geschaffen hatte, das zwar zu seinen Lebzeiten nicht unbekannt war, aber erst in den letzten 20 Jahren, also fast ein Menschenalter nach Schieies Tod, weltberühmt geworden ist.

Am 17. Juni 1890 kam Egon Schiele als Sohn eines Bahnbediensteten im Bahnhofsgebäude Tulln zur Welt. Die ersten Nachrichten über sein Leben und Streben danken wir seiner aus Krumau in Böhmen gebürtigen Mutter, einer geborenen Soukup, die auf Anregung Otto Kallirs 1927 ihre Erinnerungen niederschrieb. Sie tragen den Titel „Meines lieben Sohnes Egon Biografie von seiner Mutter“. Nach dem Besuch des Realgymnasiums in Krems und Klosterneuburg setzte es der knapp Sechzehnjährige durch, die Akademie am Schillerplatz zu besuchen. Im Marmorsaal des Stiftes Klosterneuburg aber hat die allererste Ausstellung von Schiele-Bildern stattgefunden. Das festigte sein Ansehen bei der Familie. In der Klasse des konservativen Professors Griepenkerl litt es ihn nur bis zum Jahr 1909. Dann verließ er die Akademie — für immer. 1909 stellte Schiele im Rahmen der „Kunstschau“ aus und wurde sehr widersprüchlich aufgenommen. Im gleichen Jahr gründete er gemeinsam mit Faistauer, Gütersloh und Wiegele die „Neukunstgruppe“. 1910 stellt er in Prag, 1912 in Budapest aus. Nun erhält er die ersten Porträtaufträge. 1911 und 1912 entstehen die Bilder „Madonna“, „Prozession“, „Bekehrung“. Nachdem er 1910 sein erstes Bild „Mutter und Kind“ gemalt hatte, folgt 1915 „Mutter mit zwei Kindern“ und das prophetische Bild der toten Mutter mit dem toten Kind im Leibe (als seine Frau Edith, geborene Harms, die er 1915 geheiratet hatte, starb, war sie im sechsten Monat schwanger).

1916 muß Schiele einrücken: zum Polizei-und Bewachungsdienst in Wien. Aber auch in dieser Zeit kann er die gewohnten Reisen machen: immer wieder nach Triest, aber auch nach Innsbruck und nach Kärnten. Im gleichen Jahr widmet die Berliner Zeitschrift „Die Aktton“ Schiele ein Sonderheft. Im März 1918 hat er in der Wiener Secession eine Sonderausstellung mit 19 seiner wichtigsten Bilder und vielen Aquarellen und Zeichnungen. Fünf Ölbilder und 13 Aquarelle werden verkauft.

Trotzdem tut Schiele sich schwer im Leben, sehr schwer. Als er das erstemal aus Wien flieht, schreibt er: „Alle Leute sind neidisch zu mir und hinterlistig. In Wien ist Schatten, die Stadt ist schwarz.“ Aber er hatte auch Gönner, Freunde, Verehrer. Zu den frühesten gehört Otto K allir - N ir en-stein, der, aus dem Krieg als Leutnant der Reserve zurückgekehrt, bald darnach in Wien die „Neue Galerie“ aufmachte und den Verlag „Neue Graphik“ gründete. Kallir pflegte besonders das Werk der österreichischen „Expressionisten“ (Faistauer, Gerstl, Kubin, Kokoschka). Seine besondere Liebe aber galt Schiele, dem er eines seiner ersten Mappenwerke widmete. Noch zu Lebzeiten Schieies sammelte er jenes Material, das er 1930 in dem großen, bei Zsolnay erschienenen Werkkatalog vorlegte. 1933 war das nur in 500 Exemplaren gedruckte Buch in Deutschland nicht mehr verkäuflich, ab 1938 auch in Österreich nicht mehr. Der Rest der Auflage wurde eingestampft, die wenigen erhaltenen Exemplare aber zu Liebhaberpreisen gehandelt.

Jetzt entschloß sich der Wiener Zsolnay-V erlag zu einer wesentlich erweiterten, verbesserten und durch ganz neue Teile ergänzten Neuauflage. Eigentlich handelt es sich um ein neues Buch mit dem Titel: „Egon Schiele. Der KatalogderGemäld e“. Das vorbildlich schön und solid ausgestattete Werk Otto Kallirs hat 560 Seiten. Die Zahl der überaus sorgfältig registrierten Gemälde konnte von 179 (1. Auflage) auf 245 erweitert werden. Außerdem enthält das Buch die Beschreibung beziehungsweise Wiedergabe von rund einem halben Hundert verschwundener Bilder. Bei jedem ist vermerkt: das Format, die Art der Signatur, das Entstehungsjahr, sämtliche früheren Besitzer, sein gegenwärtiger Aufenthaltsort, wo und wann es ausgestellt beziehungsweise reproduziert wurde — eine ungeheure Arbeit, die da selbstlos investiert wurde ...

Besonders wichtig für eine künftige Schiele-Biographie ist der Teil mit dokumentarischem Material: die bereits erwähnte Biographie der Mutter, die zum erstenmal publizierten Beiträge von Dr. Otto Benesch (Erinnerungen an nicht existierende Schiele-Bilder) und von Th. M. Messer (über die Aufnahme von Schieies Werk in Amerika, wo das New Yorker Guggenheim-Museum 1965 die bisher größte Schiele-Ausstellung veranstaltete). Die Bibliographie nennt sämtliche Bücher, Mappenwerke, Ausstellungskataloge und Zeitschriften mit Aufsätzen von und über Schiele. — Aus den in der Abteilung „Dokumente“ publizierten Werklisten, die Schiele von Zeit zu Zeit anfertigte, geht unter anderem hervor, daß sich von den in den Jahren 1911 und 1912 gemalten Bildern im Jahre 1913 bereits 22 in Privatbesitz befanden, also verkauft waren. Seit 1909 bis zum Tod des Künstlers hat es 26 Ausstellungen mit Bildern Schieies gegeben: in Wien und Budapest, München und Düsseldorf, Zürich, Berlin, Amsterdam, Stockholm und Kopenhagen; bis 1965 waren es mehr als hundert, wobei man eine fast zehnjährige „Pause“ berücksichtigen muß. Vor dieser Zäsur wurden Schiele-Bilder zuletzt 1937 im Pariser Jeu de Paume gezeigt; die erste Schiele-Ausstellung nach dem Krieg fand 1946 im Wiener Kunstgewerbemuseum statt. Alle diese Expositionen sind in dem Oeuvre-Katalog genau verzeichnet.

Das Beste jedoch zum Schluß: Es ist Otto Kallirs ausführliche biographische und interpretierende Einleitung, deren hervorragende Eigenschaften Einfachheit und Authentizität sind.

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