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Die Schau der Albertina zeigt einmal mehr die Einzigartigkeit Egon Schieles.

Da bekam er es mit der blanken Angst zu tun, der sonst so zuversichtliche Herr Schiele. Als man ihn in Neulengbach wegen des Verdachts der Kindesentführung und der Schändung für insgesamt 24 Tage ins Gefängnis sperrte. Beinahe wäre ihm seine Unbekümmertheit und Leichtfertigkeit zum Verhängnis geworden, immerhin stand ihm in diesen Tagen die Höchststrafe von 20 Jahren hinter Gittern als Drohung immer zur Seite.

Schiele dokumentiert diesen Aufenthalt der besonderen Art auf seine Weise, indem die spärlichen Gegenstände in der Zelle und sich selbst zeichnerisch festhält. Und es kommt auch sein dichterisches Talent durch, wenn er die Blätter mit Sinnsprüchen versieht. "Den Künstler hemmen ist ein Verbrechen, es heißt keimendes Leben morden!" Zum Glück sah das auch die Justiz ein, so dass Schiele noch sechs Schaffensjahre vergönnt waren, um die österreichische Kunstgeschichte mit einigen ihrer herausragendsten Arbeiten zu bereichern. In der Albertina kann man sich darüber anhand von 130 Blättern aus dem grafischen Werk vergewissern.

Blätter aus dem Gefängnis

Der 1890 geborene Egon Schiele wird mit 16 Jahren an die Akademie der bildenden Künste aufgenommen. Allerdings kann er sich mit dem Ringstraßenstil seines Lehrers Griepenkerl überhaupt nicht arrangieren und verlässt die Akademie ohne Abschluss. Die darauf folgende Zeit bedeutet einen Abnabelungsprozess, einmal vom großen Idol Gustav Klimt, dann von der Ornamentik des Jugendstils beziehungsweise der Wiener Werkstätte. Beiden bleibt Schiele zwar verpflichtet, aber er übersetzt sie in seine eigene, expressionistische Sprache. Die Rede vom Wien der vorletzten Jahrhundertwende als einer Versuchsstation des Weltuntergangs ist bekannt, Schiele wirkte als Protagonist an vorderster Front mit. Viele der alten äußeren Ordnungen brachen zusammen, neue waren noch nicht gefunden. Schiele lässt seine Modelle und sich selbst auf seinen Arbeiten die notwendigen Suchbewegungen vollziehen.

Erotik ohne Versteckspiel

Es ist die Zeit, in der die Erotik aus ihren unglaubwürdigen Verstecken ans Tageslicht hervorkommt. Schiele ist ein Erotiker, ein schonungsloser Erotiker. Geben viele Arbeiten von Klimt aus diesem Genre eine heimliche Beobachtung vor, die durchaus etwas mit Voyeurismus zu hat, so macht Schiele das gegenseitige Ansehen zum Thema. Seine Modelle tun nicht so, als ob der malende Beobachter nicht da sei, sondern suchen den Blickkontakt. Der Schnellzeichner Schiele umwanderte seine Modelle, fing während einer Sitzung mehrere Blickpunkte mit dem Bleistift ein, um sie später aus dem Gedächtnis mit Farbe weiterzuarbeiten. Der damals in Wien stark vertretenen erotischen Fotografie stellte Schiele seine bis an die Grenzen der Erträglichkeit gehende Erforschung entgegen und entriss die Erotik damit einer vulgären Benutzbarkeit, um sie in ihrer Großartigkeit und gleichzeitig Unbegreiflichkeit vor Augen zu führen. Schiele verherrlicht einerseits die Erotik, andererseits verbindet er sie formal mit einem anderen Phänomen seiner Zeit, der schrägen Mimik und Gestik von Hysterikerinnen während ihrer Anfälle: Eingefangene Verkrampfungen - als Liebesbotschaft. Eine gültige Anfrage bis in unsere Zeit mit ihrer Maxime "Sex sells". Die sich umarmenden Paare von Schiele erzählen davon, dass sie in ihrer Nähe nicht zueinander kommen können. Die unendliche Annäherung, bis Haut an Haut klatscht, haut die Betroffenen um.

Haut an Haut

Man möchte Egon Schiele gerne eine unbändige Zuneigung zu den Menschen unterstellen, die sich als durchlittene Gestaltwerdung auf seinen Arbeiten äußert. Jede Zuneigung verrückt die Protagonisten aus ihrer bisherigen Position, manchmal weniger, manchmal mehr. Schieles Modelle - oft ist er es selbst - illustrieren diese Verrücktheit, wenn er ihnen die tatsächlichen Orientierungspunkte im Raum - etwa den Sessel, auf dem sie sitzen - in der Zeichnung nimmt. Im Verlust des konkreten Ortes dokumentiert Schiele die radikale Selbstentfremdung, die jene Krisenzeit für die Menschen bedeutete. Andererseits entgleiten Schiele die Darstellungen nie ins Karikaturhafte oder Maskenhafte, in seinem Naturalismus träumt er weiter vom Menschen, er enthebt ihn seiner Ortsgebundenheit und lässt ihn in Freiheit durch die Kunstwerke schweben. Die unterstellte Zuneigung zeigt sich nicht zuletzt darin, dass er selbst als sein eigenes Modell sich nicht einer psychologischen Nabelschau hingibt, um seine Tagesverfassung festzuhalten. Vielmehr fungieren er und seine Modelle als Stellvertreter für die Menschen - und werden dabei verrückt.

Keine Nabelschau

Was beim schnellen Hinsehen als spätpubertäres Zeichentalent daherkommt, entpuppt sich als gefinkelter Aufdecker menschlicher Grundbefindlichkeiten. Schiele erlag bereits mit 28 Jahren der damals grassierenden Spanischen Grippe. Ein Jammern darüber und die daran gehängten Was-wäre-wenn-Hypothesen übersehen das, was da ist. Das, was da ist, reicht.

Egon Schiele

Albertina, Albertinaplatz 1, 1010 Wien

Bis 19. März tägl. 10-18, Mi 10-21 Uhr

Katalog hg. v. Klaus Albrecht Schröder,

München 2005, 420 Seiten

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