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Der Prophet im eigenen Land

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Ich liebe die Weh“, sagt der 72jährige Oskar Kokoschka vor seinem“- Thermopylae-Triptychon, das jetzt im ersten Stock des Wiener Künstlerhauses aufgestellt ist. „Meine Bilder — das ist ein Bericht, was ich mit den Augen gesehen habe, was ich mit dem Herzen gespürt habe. Ich habe sie gegen das Chaos gemalt. Ich habe nie einer Schule angehört, nie eine Mode nachgeahmt. Ahmt man eine Mode nach, ist man immer So Jahre zu spät dran. Ich war immer allein.“

So steht er vor seinen Bildern, nicht eigentlich sie erklärend, nur auf die eine oder andere Feinheit hinweisend. Immer wieder legt er ein Bekenntnis zur Humanität ab; einfach, herzhaft; in philosophischen Erörterungen ist er nicht zu Hause. „Ich bin ein Mensch, kein Philosoph“, sagt er. Es geht ihm weniger darum, begriffen zu werden, als gesehen zu werden: Nur wer Bilder wirklich sieht, versteht sie richtig.

Dies ist die größte Kokoschka-Ausstellung, die es je gegeben hat. Sie umfaßt beide Stockwerke des Wiener Künstlerhauses. Im Parterre ist in der Hauptsache das revolutionäre Frühwerk untergebracht, das Kokoschka gegen seine Zeit malte und dem er heute seinen Ruf verdankt, einer der größten Maler des Jahrhunderts und sein vielleicht genialster Porträtist zu sein. Im oberen Stockwerk sind die Werke späterer Jahre zu sehen, auch sie keiner Mode verhaftet, unzeitgemäß und umstritten; wiewohl Kokoschka heute zu den bestbezahlten Malern der Welt gehört!

Gezeigt werden 164 Gemälde, 250 Aquarelle und Zeichnungen, 270 Druckgraphiken. Es ist fast zuviel. Man muß öfter hingehen, um den Bildern, die einen berühren, wirklich zu begegnen. Sonst wirkt die Fülle des Oeuvres erdrückend.

Ob die Ausstellung ein Erfolg werden wird, ein Publikumserfolg? Wir glauben fast: ja. Auch wenn Kokoschka nur ein Meister der Leinwand und nicht, wie van Gogh durch Kirk Douglas, auch ein Held der Leinwand ist. Die Münchner Ausstellung, die vor wenigen Wochen geschlossen wurde, hat 80.000 Besucher gezählt. Ob der Prophet im eigenen Lande auch so viel gelten wird?

Die Ausstellung wird veranstaltet von der Oesterreichischen Kulturvereinigung in Wien. Das Hauptverdienst an ihr 'aber gebührt dem unermüdlichen Kunsthändler und Freund Kokoschkas, Friedrich Welz in Salzburg. Er hat keine Mühe gescheut, sie in dieser großartigen Form zustande zu bringen; zu den in München gezeigten Werken hat er noch zwanzig weitere für Wien hinzugewonnen.

Der Prophet ist heimgekehrt. Liebenswürdig, charmant, zuweilen hitzig werdend (wenn er auf die von ihm befehdete abstrakte Kunst zu sprechen kommt), steht er vor seinen Bildern, die er im letzten halben Jahrhundert in allen Ländern Europas gemalt hat: als ein österreichischer Maler. Denn das ist er geblieben, auch wenn unter einem seiner Bilder, das aus England hergereist ist, steht: „O. K., British Citizen, born 1886 in Austria.“ So wollen wir ihn auch, über alle Diskussionen um einzelne Bilder hinweg, als österreichischen Maler in Wien begrüßen.

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