6733611-1966_10_04.jpg
Digital In Arbeit

OSKAR KOKOSCHKA / MIT SEHENDEN AUGEN

Werbung
Werbung
Werbung

Oskar Kokoschka, Maler, Graphiker und Schriftsteller, wurde am 1. März 80 Jahre. Seine physische Energie scheint ungebrochen, seine Vitalität so kraftvoll wie eh und je; noch immer ist er nach seinen eigenen Worten der „ewige Anfänger, der sich in die Welt vergafft hat”, noch immer stellt er sich dem Leben ohne Rückhalt und sucht es mit schöpferischer Lust zu packen und ins Bild zu zwingen. Es ist, als ob er den Gipfel seines künstlerischen und menschlichen Weges erst im hohen Alter erreicht hätte: In den letzten Jahren wird sein Name überall in der Welt so oft genannt wie nie zuvor, Ausstellungen folgten dicht aufeinander, Preise und Ehrungen häuften sich. Und das, obwohl „OK” keiner der heute herrschenden und den Anspruch auf Alleingeltung erhebenden Richtungen der Malerei angehört, sie alle vielmehr ausdrücklich ab- lehnt und sogar aktiv bekämpft. Abstraktion, mathematischer Konstruktivismus, Formalismus jeder Art bedeuten für ihn Verirrungen. „Ich will allen, die zu mir kommen, etwas lehren, das auszusterben droht: das Sehnen” — mit diesem Wort begann er seinerzeit seine Arbeit in Salzburg.

Kokoschka fühlt sich als Vollender der Tradition des Abendlandes. „Nur um 1910 war ich Revolutionär”, sagt er. Else Lasker-Schüler schrieb: „ ,OK’ ist ein alter Meister, später geboren, ein furchtbares Wunder …” Später geboren in der alten Nibelungenstadt Pöchlarn an der Donau, könnte man hinzufügen, woraus vielleicht das immer wieder fühlbare Bäuerlich-Barocke seiner Kunst zu erklären ist, altösterreichisches Erbe also, das mit einer nervösen Sensibilität des modernen Großstadtmenschen eine reizvolle Mischung ergibt. Als Schüler der Wiener Kunstgewerbeschule, 1904 bis 1909, geriet „OK” allerdings zunächst unter die Herrschaft des Jungendstils, zu dessen hervorragendsten Repräsentanten der Leiter der Schule, Gustav Klimt, gehörte. Aber schon 1908 auf einer Kunstschau der Wiener Werkstätten sprengte der Kern die Schale: „Schockierend, beleidigend”, so tönte es erbost zurück. Alarmierender noch wirkten seine Dramen „Mörder, Hoffnung der Frauen”, „Hiob”. Sie brachten ihn aber in Kontakt mit Karl Kraus und Peter Altenberg und ihren Kreisen und dadurch weiterhin mit den intellektuellen und sozialen Problemen der Zeit.

1909 ist „OK” in der Schweiz; die folgenden Jahre bis zum Kriegsausbruch 1914 lebt er abwechselnd in Wien und Berlin, wo er mit Herwarth Waiden — dem „Sturm”-Gründer — zusammenarbeitet, 1913 in Italien, wo die Venetianer mit Tintoretto an der Spitze den stärksten Eindruck auf ihn machen. Im Krieg wird „OK” als Kavallerieoffizier schwer verwundet; aus dem Heer entlassen, geht er 1917 nach Dresden. Er nimmt Beziehungen zu den Malern der „Brücke” auf, ohne aber sein künstlerisches Einzeig ängertum im geringsten preiszugeben…

Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges war Kokoschka fast ständig unterwegs; in Villeneuve am Genfersee hat er seinen Wohnsitz. Über den großen Maler darf man den nicht weniger bedeutenden Graphiker nicht vergessen. Eine Reihe von Folgen mit stark religiösen Inhalten

„Hiob”, „Passion”, „O Ewigkeit, du Donnerwort” und andere zeigen den ewig suchenden und ringenden Menschen und Künstler in leidenschaftlicher, ständig zu spürender Unruhe, die selbst in rein statischen Momenten unterirdisch lebendig bleibt.

Ehrungen und Auszeichnungen hat „OK”, besonders seit dem Ende des zweiten Weltkrieges, in reichem Maß erfahren. Nur die bedeutendsten seien genannt: 1955 wählte ihn das Ordenskapitel der Friedensklasse des „Pour le Mėrite” zum Mitglied, 1959 wurde der Commander of the Order of the British Empire, 1960 erhielt er anläßlich einer Ausstellung seiner Werke im Palazzo Barberini den Rom- Preis, den großen österreichischen Staatspreis, das Ehrenbürgerrecht von Wien und in Kopenhagen den Erasmus-Preis.

Der Achtzigjährige wird auch heute Pinsel und Zeichenstift nicht für immer aus der Hand legen. Er wird weiter schaffen, suchend, forschend, lehrend, denn „ewig erneuern sich die Grenzen des Menschlichen, und immer neue Tiefen sind zu erfahren.. .”, und „Das Risiko mit sehenden Augen zu wagen, das zeichnet den Menschen aus”, so schrieb der Achtundsechzigjährige, er würde heute dasselbe schreiben. Er wird niemals an einem Ende sein…

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung