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Entdecken wir unsere Maler

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Im März wird die Osterreichische Galerie eine große Ausstellung von Bildern Anton R o m a k o s eröffnen: Zum ersten Male wird es dann möglich sein, das Lebenswerk eines der bedeutendsten österreichischen Maler zu übersehen. Es ist mit Sicherheit zu hoffen, daß diese Exposition dem immer noch fast Vergessenen den Platz in der österreichischen und europäischen — ja, europäischen — Kunstgeschichte verschaffen wird, der ihm von Rechts wegen zukommt. Vielleicht wird sich dann auch ein Verständiger finden, der Romako endlich eine Künstlermonographie widmet; die Literatur über Manet, den Romako als Phänomen vielleicht noch überragt, könnte eine Bibliothek füllen. Was bisher über Romako geschrieben wurde, hat in einer Brieftasche leicht Platz. Aber immerhin, es besteht Aussicht, daß diese Lücke endlich geschlossen und Romako wirklich „entdeckt“ wird. Glücklicherweise bleibt es nicht nur bei ihm; die Albertina erwirbt sich in diesen Wochen ein Verdienst, indem sie eine Reihe sehr bemerkenswerter Aquarelle Thomas Enders in ihrer Neuerwörbungsschau zeigt. Eine breitere Öffentlichkeit kannte Ender bisher nur als Maler klassizistisch trockener öllandschaften — als Aquarellist ist auch er eine Neuentdeckung und keine gering zu schätzende. Weiter hat eine Wiener Privatgalerie vor noch nicht langer Zeit durch eine vielbeachtete Ausstellung den Wiener Biedermeiermaler Michael Neder aus der Vergessenheit geholt, einen Sonderling, der gleichwohl in vielem interessanter und der Gegenwart näher ist, als es die gewohnte, mehr oder minder harmlose Biedermeiermalerei augenblicklich noch sein dürfte. Weitere ähnliche Ausstellungen und, wenn man will, künstlerische Sensationen stehen noch bevor. So die Gauermann-Schau, die von der Albertina geplant wird, und die Salzburger Exposition von Werken des uns eigentlich nur mehr dem Ruf nach bekannten Grazers Wilhelm Thöny, der in Amerika gestorben ist.

In der Tat: Österreich beginnt allmählich zu entdecken, welche Künstler es hervorgebracht hat, welche Schätze unter den Spinnweben der Jahrzehnte noch verborgen sind. Die Entdeckerfreudigkeit der letzten Jahre braucht um weitere Ansatzpunkte wahrhaftig nicht verlegen zu sein; ein halbes Jahrhundert österreichischer Malered — jenes zwischen 1850 und 1900 — ist kaum noch erforscht, spielt in der offiziellen Kunstgeschichte unseres Landes kaum eine Rolle: Schindler, Schuch, Jettel, Ribarz, Pettenkofen, Rahl, Canon sind uns, seien wir ehrlich, höchstens dem Namen nach geläufig; selbst Makarts Oeuvre ist durch eine schablonenhafte Vorstellung entwertet worden. Und, gehen wir über die Jahrhundertwende hinaus: ohne die Architekten und Künstler des

Wiener Jugendstils und der-ihm verwandten Strömungen gäbe es heute die Baukunst Wrights nicht, auf den die Amerikaner mit Recht so stolz sind. Aber wer weiß das bei uns schon? Bestenfalls der kunstgeschichtlich Orientierte — und doch könnte jeder einzelne von uns stolz darauf sein, soweit man eben auf die Vergangenheit stolz sein darf. Einer der Großen des Wiener Jugendstils, Josef H o f m a n n, den man täglich von neuem feiern müßte, lebt rüstig schaffend mitten unter uns und wird im Dezember dieses Jahres seinen 80. Geburtstag begehen. Man ehre ihn bei diesem Anlaß, indem man in der Sezession oder sonst irgendwo eine Ausstellung seines Lebenswerkes veranstalte. Das wird ihm vermutlich mehr Freude bereiten und uns wichtiger sein als viele preisende Feuilletons.

All das ist nicht nur vom kunsthistorischen Standpunkt aus von größter Bedeutung. Wir befinden uns in einer Zeit, in welcher das Schaffen unserer lebenden Künstler besondere Wichtigkeit gewinnt. Die Kunst unseres Landes hat bisher nur in kurzen Phasen ihres Wirkens Gelegenheit gehabt, in die europäische Entwicklung einzugreifen. Zum erstenmal im 18. Jahrhundert — aber das ist lange her, und das beliebte Wort vom „barocken Empfinden“ dürfte heute nur mehr angesichts schlechter moderner Bilder zu zitieren sein; zum zweiten Male übte sie um die Jahrhundertwende, zwischen Makart und Loos, europäischen Einfluß aus. Es ist nicht ausgeschlossen, daß unsere Kunst nun zum dritten Male, und diesmal entscheidend, in die allgemeine Entwicklung eintreten könnte. Wir sagen: könnte. Es fehlt nicht an starken Kräften, nicht am Können, die geistigen Voraussetzungen sind gegeben. Aber es fehlt noch immer an Mut und an Bewußtsein der eigenen Kraft. Unsere Künstler sind durch den harten Existenzkampf, den jeder von ihnen auszu-fechten hat, eingeschüchtert, sie sind verdrossen und fühlen sich ein wenig — wir sprechen hier natürlich nur von den wirklichen Könnern — als jene bekannten Propheten, die im eigenen Lande nichts gelten. Die Folge davon ist der Hang zum Sonderlingsdasein, zu künstlerischer Schrebergärt-nerei, in der sich die Perspektiven verkürzen und die schöpferischen Kräfte von Verkümmerung und Verkrüppelung bedroht sind. Dieser Minderwertigkeitskomplex bedarf dringend der Behandlung — sie wird zum Teil darin bestehen, daß man auch die Lebenden „entdeckt“. Daß sie es verdienen, steht außer Frage. Sie und das Publikum, und letzteres ganz besonders, müssen endlich das Gefühl haben, daß Österreich eine Fülle von guten Malern immer besessen hat und heute noch besitzt — es ist möglich, daß dann die Künstler die Angst verlieren, in hoffnungsloser Isolation zu stehen und das Publikum zu begreifen beginnt, daß man so wie den Verstorbenen auch den Lebenden Aufmerksamkeit schenken muß. Was beide bedürfen, sind Publikation und Publizität, deren Mangel das Kunstschaffen unseres Landes seit jeher auf das schwerste beeinträchtigt hat. Daß darin allmählich eine Wendung, eine Änderung zum Besseren eintritt, erfüllt uns mit Hoffnungen. Mögen sie sich nicht als trügerisch erweisen.

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