Vergnügliches Spektakel

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Cezanne, Picasso, Gauguin, Klimt - Hunderttausende Menschen strömten in den letzten Monaten in die heimischenMuseen und Gallerien, um die Meisterwerke zu sehen. Was macht solche Ausstellungen so faszinierend für die Besucher?

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Cezanne, Picasso, Gauguin, Klimt - Hunderttausende Menschen strömten in den letzten Monaten in die heimischenMuseen und Gallerien, um die Meisterwerke zu sehen. Was macht solche Ausstellungen so faszinierend für die Besucher?

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Wien 2000: Innerhalb von drei Monaten besuchten 300.000 Menschen die Cezanne-Ausstellung im Bank Austria Kunstforum. Wie viele werden es bei der derzeit laufenden Ausstellung sein, die dem österreichischen Maler Adolf Frohner am gleichen Ort gewidmet ist?

Diese Frage zielt nicht darauf ab, einen Künstler gegen einen anderen auszuspielen. Sie lautet einfach: Wie erklären sich die Besucherrekorde für den einen Künstler und das bescheidene Publikumsinteresse für einen anderen?

Die erste Antwort lautet: Die Menschen gehen auf das zu, was sie schon kennen. Cezanne starb vor 95 Jahren. Die Zeit, in der man ihn kennen lernen konnte, spielt sicher eine Rolle. Wenn ein Künstler in den Schulunterricht Eingang gefunden hat, wenn es herrliche Kunstbücher gibt, die seine Werke auch Menschen fern der Museen zugänglich machen, wenn sich zu Gedenktagen die Medien seiner annehmen, dringt er allmählich in das allgemeine Bewusstsein ein. Ein lebender Künstler steht noch auf dem Prüfstand: Er ist noch stark auf "Vermarktung" angewiesen. Lebt er nicht in einer der heutigen Kunstmetropolen, etwa in New York, London oder Paris, findet er seinen Weg nicht zu den großen Kunstmessen der Welt, dann scheitert er schon daran, dass sich keine Auseinandersetzung um sein Werk entwickelt. Die Macht der Kunstkritiker ist dabei nicht zu unterschätzen.

Doch selbst einer, der in der Fachwelt ein Echo findet, hat das Publikum noch lange nicht gewonnen. Joan Miro schrieb im Jahr 1958: "Die Kunst hat in den letzten Jahren so viele Türen verschlossen und versiegelt. Und jetzt hat niemand den Mut, irgend eine dieser Türen wieder zu öffnen. Die meisten Künstler befürchten, wenn sie zum Beispiel wieder gegenständlich arbeiten, würde man ihnen vorwerfen, sie seien reaktionär geworden. Die moderne Kunst bewegt sich auf einem zunehmend engeren Pfad."

Miros Sorge, dass die abstrakte Kunst zur Alleinherrscherin würde, hat sich nicht bewahrheitet. Aber in vielen Menschen ist das Misstrauen gewachsen, Künstler wollten eher schockieren als erfreuen. Den Schock lieben manche, längst nicht alle. Der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa schreibt in seinem jüngst auf deutsch erschienenen brillanten Essay über den im Dritten Reich gehassten Maler George Grosz: "Eines der Wesensmerkmale der modernen Kunst ist gerade, dass sie nicht aus guten Gefühlen und wahren Ideen entsteht. Im Unterschied zu den religiösen Kulturen der Vergangenheit, in denen eine die Gesellschaft vereinheitlichende Spiritualität herrschte, ein unteilbarer Konsens in Bezug auf die ethischen, künstlerischen und transzendenten Werte, ist die Kunst in der heutigen westlichen Gesellschaft, die in allem, was Moral, Religion, Kultur und Politik betrifft, gespalten und fragmentiert ist, dazu übergegangen, nicht die Regel, sondern nur die Ausnahme auszudrücken. Nicht das Fühlen, Glauben, Wünschen der Gesamtheit oder der Mehrheit, sondern das eines einsamen, aus der Kultur der Freiheit geborenen Geistes. In der Kunst drückt sich heute vor allem das exzentrische Individuum aus, bisweilen in heftiger Konfrontation zum gesellschaftlichen Ganzen, zur Existenz selbst, und das Kunstwerk, aus einem ,Unterschied' heraus geschaffen - den persönlichen Obsessionen und Träumen des Künstlers -, errichtet eine autonome, konträre und in jedem Fall von der wirklichen Welt geschiedene Welt. In diesen Welten der Kunst und Literatur finden andere Individuen bisweilen ihre eigenen geheimen Utopien formuliert, das Nahrungsmittel, um ihr innerstes Verlangen zu stillen oder zu erkennen."

Eine interessante Diagnose. Viele Ausstellungs-Macher scheinen daraus aber folgenden Schluss zu ziehen: Alle Besucher hätten ein geheimes, unerfülltes Verlangen - nach "Konfrontation zum gesellschaftlichen Ganzen". Allen müsse wieder und wieder das Banale, Hässliche, Grausame eingelöffelt werden.

Die "breite Masse" verweigert sich freilich. Apropos breite Masse: Sie lässt sich zu Ausstellungen locken, die gut vermarktet werden. Die Adabeis sind eine ubiquitäre Erscheinung. Noch immer immer gibt es gesellschaftliche Kreise, in denen eine Ausstellung Gesprächsthema ist; man muss sie gesehen haben. Tausende allerdings besuchten die herrliche Cezanne-Ausstellung aus reiner Freude an den Bildern und aus Neugier an ihrem klugen Thema, das sich in der Präsentation niederschlug.

Der damalige Direktor des Wiener Kunstforums, Klaus Albrecht Schröder, hatte den Titel "Vooendet - Unollendet" gewählt. Damit war ein genaues Hinschauen gefordert. Vertiefung, Schauenkönnen und -wollen ist allerdings derzeit nicht hoch im Kurs. Der Chefkurator des Hauses der Kunst in München, Hubertus Gaßner, berichtet von einem einschneidenden Erlebnis im Jahr 1990. Seine Studenten der Kunstgeschichte, bis dahin willig und aufmerksam, wenn er das Dia eines Bildes 20 Minuten stehen ließ und erklärte, wurden 1990 schlagartig unruhig und nervös. Und Wilfried Seipel sagte anlässlich seines zehnjährigen Jubiläums als Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums, den Jungen gehe vor einem Gemälde einfach das Flimmern des Bildschirms ab.

Derzeit ist es noch das "gebildete Bürgertum" der mittleren und älteren Generation, welches das Hauptkontingent der Besucher von ästhetisch beglückenden Ausstellungen und auch von "Wissens-Ausstellungen" konstituiert. Man musste sich nur die vielen "Grauköpfe" anschauen, die sich jüngst für Karl V. im Wiener Kunsthistorischen Museum interessierten.

Die krampfhaften Versuche, Junge durch "Events" anzulocken, mögen kurzzeitig Erfolg haben. Wenn aber die Bildungspolitiker nicht einen radikalen Schwenk machen hin zur Forderung nach vertieftem Wissen, wird es in absehbarer Zeit kein Publikum mehr geben, das kenntnisreich, mit Lust und Freude die Begegnung mit neuer und alter Kunst sucht.

Eine Mittelschullehrerin aus Lienz, die jedes Jahr eine Schulklasse nach Wien führt, erlebte, dass ihre Schülerinnen sich weigerten, die Picasso-Ausstellung zu besuchen. Begründung: "Diesen Schmierer wollen wir gar nicht sehen!"

Nichts haben sie bisher gesehen, nur Vorurteile inhaliert.

Gerade die moderne Kunst erschließt sich nicht dem nur ästhetisch genießen Wollenden. Man muss neugierig sein, erfahren wollen, warum ein Maler so und nicht anders malt. Die Begegnung mit Kunst muss sich lohnen, und das heißt: Die Jungen sollten erleben, dass Kunst eine verwandelnde Kraft hat. Das ist ihre größte Stärke. Freilich: Nicht jede so genannte künstlerische Hervorbringung leistet die Verwandlung des Zuschauers. Wer viel weiß, wird in seinem Urteil immer sicherer, kann begründen, warum er etwas mag und das andere nicht.

Die Begegnung mit Kunst kann in die Abgründe des eigenen Innern führen, wie das Mario Vargas Llosa für die moderne Kunst in Anspruch nimmt. Sie kann auch das erreichen, was Miro, der lebenslängliche Mensch in der Revolte, bezeugte: "Bach gibt mir großartigen Architektur-Unterricht. Mozart beschwört die Liebe herauf mit seiner Reinheit, seiner Großzügigkeit und seiner Liebe. Sie alle verhelfen uns dazu, dass wir unter so viel Niedrigkeiten und Gemeinem leben können."

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