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Besuch bei Picasso

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Vor vielen Jahren kaufte ich in Paris sechs Bilder von Picasso, nicht weil sie mir gefielen, aber weil sie in Mode standen und ich sie zu Geschenken brauchen konnte, für Damen, die mich zu Mahlzeiten einluden. Als ich mich einmal allein an der Cote d’Azur aufhielt und mir keinen Zeitvertreib wußte, bekam ich Lust, den Urheber dieser Bilder von Angesicht zu Angesicht zu sehen.

Er wohnte ganz nahe, in einer Villa am Meeresstrand, mit seiner noch sehr jungen und anmutigen Gattin. Sein Alter schätze idi auf fünfundsechzig oder Sechsundsechzig Jahre, er ist ein echter Katalane!, stark und ebenmäßig gebaut, von guter Gesichtsfarbe und gutem Humor.

Zuerst sprachen wir über einige gemeinsame Bekannte, bald aber kam das Gespräch auf die Malerei. Pablo Picasso ist nicht nur ein Künstler, der es weit gebracht hat, er ist auch ein kluger Mensch, der sich nicht scheut, über die Theorien seiner Bewunderer zur rechten Zeit und am rechten Ort zu lächeln.

„Sie sind weder Kritiker noch Ästhet“, sagte er mir, „und so kann ich mit Ihnen frei sprechen. In jungen Jahren glaubte auch ich, wie alle jungen Künstler, an die Religion der Kunst, der großen Kunst. Später aber, als die Jahre gingen, wurde mir klar, daß die Kunst, wie sie noch das ganze neunzehnte Jahrhundert aufgefaßt hatte, ihr Ende erreicht hat, daß sie eine Sterbende, zum Tod Verurteilte ist und daß die sogenännte künstlerische Betätigung bei alle ihrer Vielfalt nichts anderes darstellt als die Sehr mannigfach gestalteten Erscheinungsformen ihres Todeskampfes. Die Menschen entfremden sich immer mehr und mehr der Malerei, der Skujptur, der Dichtkunst, mag es auch zunächst nicht so scheinen. Sie haben heute ihr Herz ganz anderen Dingen eröffnet: Maschinen, wissenschaftlichen Entdeckungen und Reichtum, dem Gebiet der Naturkräfte und der Erforschung der Länder auf dieser Erde. Die Kunst empfinden sie nicht mehr als Lebensbedürfnis, als geistige Notwendigkeit, wie es in früheren Jahrhunderten geschah. Viele von ihnen fahren fort, sich als Künstler zu geben und mit Kunst zu beschäftigen, aber aus Gründen, die mit echter Kunst wenig zu tun haben, nämlich aus Nachahmungstrieb, aus wehmütiger Liebe zur Tradition, aus Beharrungsvermögen, aus Liebe zu Großtuerei, zu Luxus, zu geistiger Neugier, ferner aus Mode oder aus Berechnung. Gewohnheit oder Snobismus lassen sie mehr in gestriger Zeit, aber die große Mehrzahl, hoch und nieder, kennt keine echte und heiße Leidenschaft für die Kunst mehr, sondern betrachtet diese bestenfalls als Unterhaltung und Zerstreuung oder als Ornament. Allmählich werden die neuen Generationen, die in Mechanik und Sport vernarrt sind, ehrlicher, zynischer und roher auftreten und die Künste ganz in Museen und Bibliotheken verbannen, als unverständliche, nutzlose Überbleibsel aus vergangener Zeit.

Was kann ein Künstler, der dieses nahe Ende klar vor sich sieht, wie ich es sehe, was kann er tun? Berufswechsel wäre ein zu harter Entschluß, wäre auch gefährlich vom Standpunkt des Lebensbedarfs. Für ihn gibt es nur zwei Wege: Suche nach Unterhaltung und Streben nach Gelderwerb.

Vom Augenblick an, da die Kunst nicht mehr Seelenspeise für die Besten unter den Menschen ist, kann der Künstler sein Talent in jeglicher Suche nach neuen Formen sich ausleben lassen, in allen Bocksprüngen seiner Phantasie, mit allen Hilfsmitteln geistiger Marktschreierei. Das Volk sucht in der Kunst nicht mehr Erbauung und Erhebung, aber die Schlauen, die Reichen, die Müßiggänger und die Goldsucher fahnden nach Neuem, Ungewöhnlichem, Absonderlichem, nach dem, was befremdet und Anstoß erregt. Ich meinesteils habe, vom Kubismus bis heute, diese Narren und diese Kritiker mit all den vielgestaltigen Wunderlichkeiten zufrieden gestellt, die mir durch den Kopf gingen. Je weniger sie davon begreifen, desto mehr bewundern sie mich. Dank den Belustigungen, die mir alle diese Spielereien boten, diese Seiltänze, das Rätselstellen, das Erratenspiel, mitsamt llem Arabeskenschmuck, wurde ich ziemlich schnell berühmt. Berühmtheit aber bedeutet für einen Maler Verkäufe, Verdienst, Glück, Reichwerden. Und heute bin ich, wie Sie ja wissen, berühmt und reich. Aber wenn ich allein bin, habe ich nicht den Mut, mich für einen Künstler zu halten, im großen, alten Sinn dieses Wortes. Echte Maler waren Giotto und Tizian, Rembrandt und Goya; ich bin nur ein amuseur public, der seine Zeit erfaßt hat und besser, als er ahnen mochte, die Dummheit, die Eitelkeit und die Habgier seiner Mitmenschen auszunutzen wußte. Was ich da sage, ist ein bitteres Eingeständnis, schmerzhafter, als Sie wohl • glauben, aber es hat den Wert der Aufrichtigkeit.

Et apres ęa“, schloß Pablo Picasso allons boire.

Unser Gespräch war damit noch nicht beendet, aber mir fehlt die Geduld, andere hemmungslose Paradoxa aufzuzeichnen, die von den Lippen des alten katalanischen Malers flössen.

Aus dem im Herbst im Verlag Herold, Wien, erscheinenden Werk „Das schwarze Buch“.

Übersetzung von Paul Thun-Hohenstein.

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