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Ein sichtbares Zeichen zu geben…

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Gehört christliche Kunst in eine Ausstellung? Gehört christliche Kunst in die Kirche? Wo ist sie zu Hause?

Um zu wissen, wohin christliche Kunst gehört, müssen wir zunächst wissen, was sie ist. Wenn es die erste und edelste Aufgabe aller Kunst ist, nicht das Sichtbare wiederzugeben, sondern sichtbar zu machen,'so ist die Aufgabe der religiösen Kunst: das sichtbar zu machen, was an göttlicher Gnade unsichtbar in unserem Leben vorhanden ist. Keine Kunst kann sich ausschließen, auch religiöse Kunst zu sein, wenn sie in sich, und sei es nur in einem unbeachteten Teil, Geheimnisse offenbart, die nicht von dieser Welt sind. So wie kein Mensch der Gnade gänzlich verschlossen sein kann, so kann kein Kunstwerk, das wirklich Kunstwerk ist, sich dem höheren Auftrag gänzlich verschließen. Er wäre daher ein Irrtum, annehmen zu wollen, daß ein klarer Trennungsstrich zwischen religiöser und profaner Kunst möglich sei. Eine Heiligendarstellung kann ebenso profan sein, wie die Darstellung eines Herbstabends religiös.

Religiöse Kunst in ihrer reinen Form hat den wunderbaren Auftrag, uns ein Zeichen zu geben, an das wir uns halten können. Ein Zeichen von solcher Intensität, daß es vor dem Kreuzeszeichen, dem Urbild aller Zeichen, bestehen kann. Ein Zeichen dafür, daß Simone Weil nicht unrecht hatte, wenn sie schrieb: „… so ist der unendliche Ueberfluß der göttlichen Barmherzigkeit dennoch hienieden schon in seiner ganzen Fülle heimlich gegenwärtig." Ein Zeichen dafür, daß den verworrenen Fäden der Wirklichkeit em Muster . zugrundeliegt, daß es Gnade genug gibt. Ein Zeichen eben für das „heimlich Gegenwärtige". Für die Messe also und für die Auferstehung, für das Mysterium von der Ungültigkeit der Zeit, für Opfer, Verwandlung und Kommunion.

Wo ist solche Kunst zu Hause? Solche Kunst ist überall dort zu Hause, wo Menschen zu Hause sind. Solange Menschen in der Kirche zu Hause sind, ist auch religiöse Kunst in der Kirche zu Hause. Solange Menschen in Ausstellungen zu Hause sind, und nicht fremd sind im Umgang mit geistigen Dingen, hat sakrale Kunst auch dort ihren legitimen Platz. Und solange Menschen in ihren Wohnungen zu Hause sind, ist die religiöse Kunst zu Hause unter ihnen.

Heißt es aber nicht, wir sollten uns kein Bild machen von Ihm? Hat denn sakrale Kunst überhaupt Berechtigung? Ja; denn sie soll uns ja nicht das Bild Gottes zeigen (das zu versuchen wäre konventioneller, devotioneller Kitsch), sondern sie will das Gotteserleben, die unio mystica ausdrücken und bezeugen. Sie will nicht da historische Antlitz Christi (das wir nicht kennen) wiedergeben, sondern sein geistiges Gesicht in seiner Tiefe ahnen lassen. Nicht seine einzelnen Gesichtszüge, sondern seine Göttlichkeit will sie erkennen helfen. Sakrale Kunst ist also nichts Endgültiges. Sie ist immer im Stadium des Advents, des Unterwegs-seins und des Ankommens. Sie ist mit uns zu Hause auf dieser Welt, die ja auch nichts Endgültiges ist.

Das Gotteserleben hat notwendigerweise etwas Ueberwältigendes an sich, ist mit irdischem Maße nicht meßbar. Ein Bild, das davon erfüllt ist, ist mit ästhetischen Prinzipien, die „Richtigkeit", aber niemals „Wahrheit" feststellen können, nicht erfaßbar. Es mulį noch in ganz anderen Schichten „stimmen". Es muß ein Zeichen geben. Mehr: Es muß Zeugnis ablegen. Der Dornbusch brennt.

In der Wiener Secession ist eine „Internationale Ausstellung moderner christlicher Kuns t", veranstaltet von der Oesterreįchischen Gesellschaft für christliche Kunst, zu sehen. Sie bringt Beiträge aus Oesterreich, Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Spanien und Peru. Sie zeigt Werke und Gegen-stände christlicher Kunst. Es widerstrebt, hier auch von christlichem Kunstgewerbe zu sprechen. Denn die zweckgebundenen Gegenstände, die der Kulthandlung dienen, sind mehr als Kunstgewerbe. Sie sind nicht selbst Zeichen, sondern ihnen sind die Zeichen vorgegeben: der Kelch, die Monstranz, das Kreuz. Sie sind die Ausführung vorgegebener Zeichen, sie dienen der Messe und den Sakramenten. Ein Uebergang zu den Werken freier Kunst sind die Glasfenster der Kirche. Auch ihnen ist ein Zweck, nicht aber ein Zeichen vorgegeben. Sie sind Ausschnitte in das Unendliche. Wir halten dem Licht ein Zeichen entgegen, und es wird durchscheinend. Da ist ein Teilstück aus einer Symbolfensterwand für St. Kilian in Schweinfurt von Georg Meistermann. Die Farben sind grün, gelb, grau und weiß, ein Fisch taucht aus dem Wasser. Da sind die Glasfenster von Alfred Manessier, Margret Bilger, Lydia Roppolt, Franz Deed. Durch sie fällt Andacht in den Raum der Kirche und in die Seele. Sie sind die wesentlichsten Stücke der Ausstellung.

Ein anderer Uebergang zu den freien Werken ist die Volkskunst. Hier sind einige schöne Steinmosaike aus Peru besonders zu nennen. — In der Ausstellung vermissen wir Italien, von den Oesterreichern Boeckl, Moldovan und einige andere. Aber wir finden die Herbstbilder von Georges Rouault, den Litbographienzyklus „Ostern" von Manessier, dem man nicht anmerkt, daß er abstrakt ist. Alles Werke, die spüren lassen, daß es sich hier nicht um irgendeinen Auftrag gehandelt hat, sondern um ein Engagement. Mag der Auftrag, der die vorhandene Substanz des Künstlers prüft, vielleicht auch in dem einen oder anderen Fall der Anlaß gewesen sein. Was wissen wir, wie Kunst entsteht? Aber dem inneren Engagement konnte sich keiner von denen, die Kunst gegeben haben, entziehen. Nur in diesem Sinne scheint es mir zulässig, bei christlicher Kunst von „engagierter" Kunst zu sprechen.

Christliche, religiöse Kunst gehört auch in eine Ausstellung. Sie muß von hier aus ihren Weg nehmen in die Kirchen, in alle Welt. Sie gehört überallhin, wo Menschen sind.

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