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Wege der freien Kunst

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Immer wieder wird heute die Frage nach der Freiheit der Kunst gestellt. Die einen sehen die Freiheit der Kunst bedroht, die anderen halten manche beanspruchte Freiheit durch Künstler für eine Bedrohung der gemeinschaftlichen Ordnung und für eine gefährliche Maßlosigkeit, die sich schließlich gegen die Würde und gegen die Freiheit anderer Menschen richten könnte.

Die Kirche darf nicht müde werden, immer wieder die Freiheit der Kunst zu betonen und zu befürworten; wie die Freiheit zum Menschen gehört, so gehört auch die Freiheit zur Kunst. Die Freiheit der Kunst ist eine der vielen notwendigen Freiheiten des Menschen als eines geistbegabten und wahrheitsfähigen Wesens.

Die Frage der Kunst ist eine sehr sensible, die von allen sowohl Wohlwollen als auch Unterscheidungsgabe fordert. Die Kunst sollte jedoch ihre Freiheit nie als ein Asylrecht besonderer Art betrachten. Auch die Kunst muß zur Rechenschaft gegenüber den fragenden, kritisierenden und kunstinteressierten Menschen Ständig bereit sein. Auch die Kunst kann Gefahr laufen, durch Verweigerung der Kommunikation einfach autoritär zu sein. Auch die Kunst besitzt nicht jene Unfehlbarkeit, Fehler, Mißstände, Bewußtseinstrübungen und Fehlentwicklungen als Fehler zu deklarieren, ohne von diesen Fehlern auch selbst bedroht zu sein.

Es gilt, auch andere Freiheiten zu schützen; so zum Beispiel die Freiheit von Forschung und Lehre. Auch wenn niemand diese Freiheiten in Frage stellen möchte, taucht dennoch heute immer öfter die Frage auf: ,JDar/ man das, was man zum Beispiel in Wissenschaft und Technik fconn?“ Diese Frage wird sich auch der Kunst gegenüber stellen, wenn die Grenzen gegenüber der Würde des Menschen und gegenüber der Wahrheit überschritten werden.

Auch die Kirche -kann in manchen Fragen, die durch die Kunst aufgeworfen werden, nicht schweigen und Augen und Ohren verschließen. Immer öfter könnte es notwendig sein, daß die Kirche eine „Katechese durch Protest“ anwendet, um das Recht des menschlichen Gewissens auf die Wahrheit des Glaubens und die Würde des glaubenden Menschen zu schützen. So sollte verstanden werden, was die Kirche an Bedenken gegenüber Kunst oder QuasiKunst auch in letzter Zeit äußern mußte. Wo die Kunst frei ist, muß auch die vom Menschen gewählte Kultur des Widerspruchs legitim sein.

Die Kirche hat ein viel höheres Alter als jede existierende Form von anderer Gemeinschaft und Institution in unserem Land. Die Kirche kann zu allen Zeiten vorweisen, daß die Kunst in ihren vielfachen Weisen zu ihrem innersten Lebensbereich gehört. Die Kirche hat es auch nicht verweigert, daß die von ihr ermöglichte, geförderte und inspirierte Kunst zum kulturellen Gemeingut der Menschheit wird. Vieles ist heute für die Kirche fast nichts anderes als eine drückende Last, worüber andere sich freuen und es als kulturellen Reichtum eines Volkes rühmen. Eine Besinnung auf die Gerechtigkeit im Teilen der Last ist heute dringend nötig.

Niemand würde es verstehen und billigen, wenn die Kirche Paläste bauen und Gärten und Wasserspiele anlegen wollte. So viel man auch von der Kirche an Kon-naturalität und Wohlwollen gegenüber der Kunst erwartet, es ist heute auch ein ganz besonderer Ernst, in dem solche Erwartungen stehen.

Die Kirche steht in einer besonderen Verantwortung gegenüber Gott und gegenüber dem Menschen, der der „erste und vornehmliche Weg der Kirche“ ist, wie dies Johannes Paul II. so eindrucksvoll ausspricht. Die Kirche kann zum Menschen und über den Menschen nur dann kompetent sprechen, wenn sie dabei immer die Wirklichkeit Gottes einbezieht. Gott aber ist der Schöpfer der Welt und des Menschen, Gott ist auch Erlöser durch Jesus Christus und den Heiligen Geist.

Mit neuen Augen, mit Verantwortung und Sorge sehen die Menschen heute die Schöpfung. Sollte die Kunst nicht helfen, die Schöpfung im Schöpfer neu zu sehen? Und ein solcher Blick auf den Schöpfer leitet die Kunst an, eine „sakrale Kunst“ zu sein. Unsere Welt braucht die Unberühr-barkeit der Schöpfung und des Lebens. Sollte nicht Kunst, die an den Weltproblemen Anteil nimmt, eine sakrale Mitte haben, aus der heraus sie ihre Sprache der Verantwortung spricht?

Der Mensch braucht nicht nur den Frieden mit der Schöpfung; der Mensch braucht auch die Erlösung, Erlösung durch den Erlöser des Menschen, Jesus Christus. Wo die Kunst die Erlösung durch Christus aufnimmt, wird sie nicht nur eine sakrale, sondern auch „christliche Kunst“ sein.

Wäre es nicht für die Kunst ein Gebot der Stunde, dieser heute so deutlichen Sehnsucht nach Erlösung durch Christus das Zeugnis der Formen und der Kreativität zu geben? Auch die Kunst könnte so zu einer Gabe des Heiligen Geistes werden, der uns erinnert und uns verstehen läßt, was der Erlöser für uns getan hat.

Der Autor ist Weihbischof der Erzdiözese Wien für Kunst und Wissenschaft.

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