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In der Zeitenwende...

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Im Kultischen liegt der Ursprung aller Künste. Aus dem religiösen Erlebnis, aus der Kraft des Glaubens nahm auch die bildende Kunst ihren Ausgang. Stand sie schon in ihren Anfängen im Zeichen demütiger Verehrung des Göttlichen, soweit der Mensch dessen Größe und Gewalt überhaupt zu erfassen vermochte, so entwickelte sie sich mit der Vertiefung und Bereicherung des Glaubens und erreichte immer einen Höhepunkt in jenen gesegneten Zeiten, da das ganze Fühlen und Denken der Menschen vom Gedanken an das Göttliche durchpulst war und in Ewigkeitswerten das Endziel des Lebens erkannte. Dieser Höhepunkt bedeutete aber auch stets bereits Wende und Niedergang. Äußerliche formale Vollendung trat an die Stelle innerer Kraft, sobald der Gottheitsglaube im

Lebensraume der Menschen von spekulativer Philosophie abgelöst wurde. Der Mensch sah nicht mehr im Göttlichen die Krönung des Alls, sondern er erhob sich in übermütigem Stolz auf rein äußerliche Errungenschaften zivilisatorischer Entwicklung gegen Gott, ja er setzte sich ihm gleich, indem er ihn zu vermenschlichen trachtete. Weil ihm das wahre Ziel des Lebens verlorengegangen war, trat an Stelle der klaren Weltordnung das Chaotische, an Stelle echter Kunst das intellektuelle Spielen mit ihren äußeren Formen.

Diese Kunstentwicklung vollzog sich in großen rhythmischen Perioden von verblüffender Ähnlichkeit im wesentlichen, wenn ihr auch Zeit und Volkscharakter verschiedene Merkmale auf-drüdUen. Die Kunst der östlichen Mittel-

meerländer, die griechische, die christliche Kunst des Mittelalters und die( Kunst der Neuzeit sind die vier Perioden, in denen sich die Kunstentwicklung deutlich wiederholte. In jeder von ihnen setzte das künstlerische Schaffen mit kultischen Werken ein, die der Verehrung des Göttlichen dienten und in ihren Anfängen ungefüg und unbeholfen waren, aber doch durch die Kraft des religiösen Erlebnisses ihrer Schöpfer auch heute noch zu erschüttern vermögen.

Man kann das Ringen unserer Zeit um neue künstlerische Aussagen nur dann verstehen, wenn man Parallelen zur Kunstentwicklung vergangener Zeitperioden zieht. Immer dann, wenn sich die Menschheitskultur, von den religiös fundierten Grundlagen ihrer Ordnung entfernte, verlor sie die Ganzheit des Lebens und trieb Staaten, Völker und Menschen in das Chaos auswegloser Verzweiflung. Als die babylonische und ägyptische Kunst nicht mehr der Verherrlichung der Gottheit, sondern mit ihren Prunkbauten und Riesenpyramiden der Manifestation überheblichen weltlichen Machtwillens dienten, gingen die Reiche ihrer Erbauer dem Untergang entgegen. Als die Kunst des griechisch-römischen Kulturkreises immer mehr verweltlichte und im Hellenismus nur dem schönen Schein huldigte und ins Spielerische entartete, verloren die griechischen Stämme ihre Selbständigkeit, zeigten sich die Zersetzungserscheinungen des römischen Imperiums. Sobald die herrliche Kunst des Mittelalters in kirchlich-weltlichen Kämpfen und im Bildersturm der Reformation ihre religiöse Grundlage einbüßte, ging das christliche Europa dem Dreißigjährigen Kriege entgegen, dessen Wüten weite Landstriche entvölkerte und unersetzliche Kulturgüter vernichtete. Und

als im Zeichen glaubensfeindlicher philosophischer Systeme die Menschheit nach dem Abklingen des Barocks auch im Kunstschaffen jeden Zusammenhang mit dem Göttlichen verlor, geriet trotz wissenschaftlicher und technischer Wunderleistungen das christliche Abendland in zwei Weltkriegen an den Rand der Vernichtung, verfiel in ein Chaos, aus dem es anscheinend keinen befreienden Ausweg mehr gibt. Wir sind wieder am Ende einer rhythmischen Entwicklungsperiode der Kunst angelangt, die — vielleicht — ein neues Aufwärtssteigen ermöglicht, wenn wir uns bewußt werden, daß an seinem Beginne als Ausgangspunkt das religiöse Erlebnis stehen muß.

Die Kunst war zu allen Zeiten ein Gradmesser, an dem man alle Stürme, alle Fieberschauer und Ekstasen der

Menscüheitsent Wicklung ablesen kann, weil die schöpferische Kraft des Künstlers nicht nur aus dem Vergangenen schürfen und die Gegenwart spiegeln, sondern auch die Zukunft vorausahnen, den Weg zur Klärung und Gesundung zeigen kann, natürlich nur dann, wenn der Künstler aus tiefstem Erleben heraus, aus der Schau auf das große, ruhige und majestätische Sein und nicht aus der klügelnden Überheblichkeit des Intellekts an die Meisterung künstlerischer Probleme herantritt. Das innere Erlebnis ist das Primäre für das Werden jedes Kunstwerkes, es wird nicht zustande kommen, wenn dem Künstler selbst die innere Gläubigkeit fehlt. Niemand kann selbst Schöpfer sein, wenn er nicht den Glauben an den größten aller Schöpfer in sich trägt. Sonst wird er bestenfalls zum Könner, der die technischen Anforderungen seiner Kunst beherrscht und den äußeren Schein der Dinge festzuhalten versteht, aber er vermag nicht das heilige Feuer beseelter Kunst zu entzünden, weil in ihm selbst der göttliche Funke erloschen ist.

Die bloß äußerliche Vollkommenheit eines Kunstwerkes Ist nicht das einzige Kriterium für seinen inneren Wert. Auch dies lehrt uns die Erfahrung. Die Kunst der Renaissance und der folgenden Jahrhunderte hat zweifellos Glanzleistungen in einer Zeit religiösen Niederganges hervorgebracht, echte und große Kunstwerke aber nur dort, wo der Künstler in heißem, oft fanatischem Ringen um Glauben und Gotterkenntnis sein Werk gestaltete, niemals aber dann, wenn er 6ich aus Ruhmsucht und persönlicher Eitelkeit der Gunst der Weltmächtigen verschrieb. So stehen wir vor so manchem Bilde dieser Epochen voll Bewunderung über das Können, das sich in Komposition und malerischer Meisterschaft offenbart, aber wir spüren dabei nicht die tiefe Erschütterung, die uns nur dann ergreift, wenn der ringende und leidende Künstler sein innerstes Erlebnis in seinem Werke ausspricht. Die einen dieser Werke gleichen einem vollendet schönen Antlitz, aus dem uns leere, seelenlose Augen anblicken. Sie mögen musealen Wert haben, die anderen aber, die echten, aus tiefstem Erlebnis heraus geschaffenen besitzen Ewigkeitsgeltung.

Zu allen Zeiten, in denen die Menschen, von äußeren Gewalten bedroht, den Weg zum Göttlichen, zum religiösen Fühlen suchen und finden, fließen aus diesem

den Völkern und ihrem künstlerischen Schaffen gewaltige Kraftströme zu, die sie zu Höchstleistungen befähigen. In der verzweifelten Abwehr der Perserkriege begann das perikleische Zeitalter der griechischen Kunst. In den Todeszuckungen des Imperium Romanum erwuchs aus dem Katakombenchristentum der Anfang einer neuen, von tiefer Symbolik erfüllten Kunstentwicklung. Zur Zeit der Kreuzzüge, da das europäische Christentum den Kampf um die heiligen Stätten der Christenheit führte, erblühte die gesamte mittelalterliche Kultur zu später, nie mehr erreichter wundervoller Harmonie. Die mitreißende Glaubenswelle kirchlicher Erneuerung in der Gegenreformation und der gigantische Abwehrkampf gegen den Türkenansturm zeitigten im Barock den letzten Höhepunkt

künstlerischen Schaffens. Bei allen Völkern, bei denen der Glaube noch eine Realität war, wie in Italien und Spanien, aber auch in den Niederlanden, erreichte die Kunst selbst dann noch eine Spätblüte, als überall sonst der Niedergang bereits eingesetzt hatte.

Können wir nicht aus diesem geschichtlichen Rückblick die beglückende Hoffnung schöpfen, daß auch In der gewaltigen Zeitenwende, in der wir uns jetzt befinden, in der schicksalhaften Auseinandersetzung zwischen Ost und West, vor der wir stehen, die religiösen Kraftquellen wieder stärker zu fließen beginnen, aus denen auch das Kunstschaffen neue schöpferische Kraft gewinntl Die Anzeichen mehren sich, an den Künstlern liegt es, diese Kräfte zu erkennen und zu nützen.

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