Ringen um menschliche Existenz

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Wir wissen, dass das Verhältnis der Kirche zur Kunst in der gesamten Geschichte des Christentums ein umstrittenes war. Am schärfsten hat sich die Frage im Bereich der Bilder gestellt. Welche Bedeutung haben Bilder für den Glauben? Immer wieder wurde die Meinung vertreten, Bilder seien Luxus, schöner Schein, etwas Unernstes und Unwichtiges, ja sogar etwas für den Glauben Gefährliches. Das Alte Testament enthält ein Bilderverbot (das allerdings kein Kunstverbot ist). Haben Menschen nicht zu allen Zeiten mit Kunstwerken Dämonen beschworen, sie als Götzen angebetet und darüber hinaus Macht über andere ausgeübt? Haben nicht alle Machthaber die Kunst vor ihren Wagen gespannt und damit die Massen manipuliert? Hat das nicht ein Joseph Goebbels schamlos ausgedrückt, als er sagte, Aufgabe der Kunst sei "Produktion von Optimismus"?

Dagegen lässt sich sagen: Kunst ist für den Glauben von höchster Relevanz. Warum? Glauben gründet in Erfahrungen. Die Bibel ist voll davon: die Erfahrung der Rettung des Volkes Israel aus der Hand der Ägypter; die Erfahrung des Gehaltenseins des Menschen selbst in der tiefsten Leidenserfahrung bei Hiob; die Durchsichtigkeit der erotischen Erfahrung auf Gott hin im Hohelied; die Erfahrungen der Jünger im Umgang mit Jesus, der ihrem Leben einen neuen Sinn gegeben hat. Alle diese Erfahrungen finden ihren Niederschlag in Kunst und werden vermittelt durch Wort und Bild, durch Tanz und Musik. Wenn diese Erfahrungen nicht ihren Niederschlag in Gestaltungen finden, verflüchtigen sie sich.

Die tiefste Begründung der Relevanz der Bilder für den Glauben hat schon in der Zeit des Bilderstreites im achten nachchristlichen Jahrhundert Johannes Damascenus gegeben. Die Berechtigung des Christusbildes verteidigt er mit dem Argument, es gehe dabei um die zentrale Heilswahrheit. Leugnet jemand nämlich das Recht des Christusbildes, so leugnet er die Fleischwerdung Gottes in Christus und damit die Liebe Gottes, die sich darin offenbart. Außerdem - und das bezieht sich nicht nur auf das Christusbild - leugnet er die leib-seelische Verfasstheit des Menschen, denn "es ist uns nicht vergönnt, außerhalb des Körperlichen zum Geistigen vorzudringen." Kurz: weil Glaube nur als inkarnierter Glaube möglich ist, ist Kunst, sind Bilder notwendig.

Die Berechtigung der Bilder und die Berechtigung von Kunst hat sich im Christentum durchgesetzt. Tatsächlich ist die Kunst von der Konstantinischen Zeit bis zum Ende des Mittelalters und im katholischen Bereich bis zum Ende des Barock im Dienst der Kirche gestanden. Schon in der Renaissance entsteht eine profane Kunst, die auch von den Reformatoren gerechtfertigt wird, indem sie die Kunst zu den "adiaphora", den wertfreien und religiös neutralen Dingen zählen.

Die Kunst wurde von kirchlichen Bindungen befreit, dadurch schlug "die Abwertung der Bilder in deren Aufwertung um" (Werner Hofmann). Was damals begann, fand seine Vollendung in der Aufklärung. Kunst erklärte sich für autonom. Die Künstler folgten ihrem eigenen Auftrag und stellten ihre Werke in Galerien und Museen aus, wie das bis heute geblieben ist. Kirchliche Auftragskunst wurde gering geschätzt und gewann nur ausnahmsweise hohen Rang.

Diese Entwicklung ist auch sachlich begründet. Sie hängt zusammen mit der Emanzipation vieler Bereiche von der Kirche, was in Politik und Wissenschaft schon längst geschehen ist. Tatsächlich sind Kunst und Kirche, Kunst und Religion eigenständige Bereiche. In der Religion geht es um Sinngebung und Heil des Menschen, die im täglichen Leben zu finden sind. Auch der Kunst geht es um Sinngebung, die in der Gestaltung gesucht wird. Der Kunst ist bewusst, dass sie nicht Heil wirken kann. Dabei gibt es aber viele Berührungspunkte. Beide haben es mit dem Menschen zu tun, mit seinen Leiden und seinen Ekstasen. Insofern kann es Begegnungen zwischen ihnen geben, die sehr fruchtbar sein können.

Spuren Otto Mauers

Wenn man heute in Österreich vom Verhältnis der Kirche zur Kunst spricht, so fällt zunächst einmal der Name Otto Mauer. Er hat sich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und bis zu seinem Tod 1973 mit Kompetenz und großem Mut für die Gegenwartskunst eingesetzt und begabte junge Künstler entdeckt und gefördert, so etwa Hollegha, Mikl, Prachensky, Rainer, Urteil und Goeschl.

Dabei ging es ihm nicht darum, sie für die Kirche zu vereinnahmen, sondern umgekehrt die Kirche an die Kunst heranzuführen. Voraussetzung dafür ist, dass die Kirche erkennt, dass "hier ein theologischer Topos vorhanden ist", oder anders gesagt, dass Kunst für den Glauben relevant ist. Daher muss die Kirche in einen Dialog mit der Kunst eintreten. Es geht darum, den Gläubigen die Augen zu öffnen.

Dass Otto Mauer damals in der Gesellschaft und speziell in der Kirche auf wenig Verständnis stieß, ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die österreichische Gesellschaft damals voller Vorurteile gegen die moderne Kunst steckte und noch das Wort von der "entarteten Kunst" grassierte.

Wie ist das Verhältnis von Kunst und Kirche heute, 28 Jahre nach dem Tod der charismatischen Persönlichkeit von Monsignore Otto Mauer? Zunächst einmal ist zu sagen, dass auch nach seinem Tod in seinem Sinne weitergearbeitet wurde. Prälat Karl Strobl, der Erbe des Monsignore, hat die Sammlung Mauers mit rund 2.000 Werken dem Erzbischöflichen Dom- und Diözesanmuseum Wien mit der Auflage vermacht, dass die Erzdiözese jährlich eine beachtliche Summe (heute sind es 1,2 Millionen Schilling) für Kunst und Wissenschaft zur Verfügung stellt.

Verwaltet wird diese Summe vom Otto Mauer-Fonds. Von diesem Fonds wird jährlich der Otto Mauer-Preis für österreichische Künstler unter 40

Jahren vergeben, der mit 150.000 Schilling der höchst dotierte Preis in Österreich für Künstler dieser Altersgruppe ist. Seit 1981 haben viele Künstler den Preis erhalten, die mittlerweile in der Kunstszene bekannt geworden sind, unter anderem Alfred Klinkan, Erwin Bohatsch, Erwin Wurm, Gunter Damisch, Franz West, Peter Kogler, Brigitte Kowanz, Lois Renner, Heimo Zobernig, Otto Zitko und Manfred Erjautz.

Die neue Situation

In Graz hat der Ende 1999 verstorbene Josef Fink das auch heute noch florierende Kulturzentrum bei den Minoriten geleitet, von dem in der Steiermark wesentliche Impulse ausgegangen sind. An der Katholisch-Theologischen Fakultät in Linz wurde 1984 ein Institut für Kunst gegründet, das einzige Institut an einer Katholisch-Theologischen Fakultät im deutschen Sprachraum, das sich vorwiegend mit der Gegenwartskunst auseinander setzt. Hier war auch lange Zeit die Redaktion der ökumenischen Zeitschrift "Kunst und Kirche" angesiedelt, die bis heute von österreichischen Redakteuren mitgestaltet wird. Die Zeitschrift hat einen evangelischen und einen katholischen Herausgeber, die bestens zusammenarbeiten.

Im gegenwärtigen Zeitpunkt stellt sich die Situation nochmals neu dar. Das Interesse an der Gegenwartskunst ist in den letzten 30 Jahren stark gestiegen. Heute gibt es zahlreiche Galerien, die sich ihr verschrieben haben. Vor kurzem sind das Museum moderner Kunst und das Leopold Museum in Wien eröffnet worden, beides Museen europäischen Ranges. Auch in der Kirche gibt es eine Generation von Dreißig- bis Vierzigjährigen, die auf diesem Gebiet kompetent sind; die meisten von ihnen haben sowohl Theologie als auch Kunstgeschichte studiert. Zu nennen sind: in Graz Johannes Rauchenberger und Alois Kölbl, die bereits 1997 mit der großen Ausstellung "Entgegen - Religion Gedächtnis Körper" aufhorchen ließen. Johannes Rauchenberger leitet als Nachfolger von Josef Fink das Kulturzentrum bei den Minoriten. In Wien ist der Jesuit Gustav Schörghofer tätig, der nun die Jury des Otto Mauer-Preises leitet. An der Wiener Theologischen Fakultät ist Hartwig Bischof als Assistent beschäftigt, der sich besonders um das Thema Gegenwartskunst annimmt. Vor zwei Jahren hat er eine bemerkenswerte Ausstellung über Père Couturier gemacht, eine spirituelle Persönlichkeit, die in Frankreich den Dialog zwischen Kirche und Kunst entscheidend gefördert hat und mit führenden Künstlern befreundet war. In Linz gibt es das schon genannte Institut für Kunst an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität, das von meiner Nachfolgerin Monika Leisch-Kiesl geleitet wird, von dem auch zahlreiche Aktivitäten in Oberösterreich ausgehen. In Kremsmünster ist Klaudius Wintz Kustos der Stiftssammlungen. Er wird zu Beginn des kommenden Jahres zusammen mit Rauchenberger und Kölbl in die Redaktion von "Kunst und Kirche" einsteigen. Erwähnt werden muss auch der von dem evangelischen Theologen Kurt Lüthi und dem Künstler Manfred Seibt geleitete "Künstler-Theologen-Gesprächskreis" in Wien. Last, but not least ist zu sagen, dass sich Bischof Egon Kapellari immer wieder für die Begegnung von Kunst und Kirche einsetzt.

Keine "Sakralkunst"

Natürlich gibt es in der Kirche auch ganz andere Tendenzen, die eine Wiedergeburt der "Christlichen Sakralkunst" herbeiwünschen. Diese ist nach dem eingangs Gesagten nicht zu erwarten, weil niemand ungestraft aus seiner eigenen Zeit aussteigen kann. Es gab auch eine Ausstellung mit dem Titel IMAGO, die nicht nur in Wien, sondern sogar an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom gezeigt wurde. Allerdings kommen die österreichischen Künstler des Imago-Kreises weder im internationalen noch im nationalen Kunstdiskurs vor. Das ist deshalb bedauernswert, weil sich auch in der Kunstszene seit den Tagen Otto Mauers einiges gewandelt hat. Seinerzeit herrschte dort ein Formalismus reinsten Wassers, der Kunst ausschließlich auf das formale Element (das sicher wichtig ist) reduziert hat. Spätestens Joseph Beuys hat die Kunst aus ihrem elfenbeinernen Turm herausgeholt. In diesem Sommer hat Harald Szeemann, der zum zweiten Mal die Biennale von Venedig kuratiert hat, der Ausstellung den Titel gegeben: "Plateau der Menschheit". Auf die Frage "Warum?" hat er geantwortet: "Weil so viele Künstler wieder um die menschliche Existenz besorgt sind und weil es galt, der ganzen Biennale, also nicht nur der Ausstellung, sondern auch allen anderen Künsten, die sie pflegt, eine neue Dimension zu geben."

Wie man sieht, ist die Konstellation nicht ungünstig. Es ist zu hoffen, dass die Chancen genützt werden.

Der Autor ist emeritierter Leiter des Instituts für Kunst an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz und war langjähriger Herausgeber der Zeitschrift "Kunst und Kirche".

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