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Mini-Art - Durchbruch des Seins?

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Maschinell in Serie hergestellte ABC-Kunst wurde ebenso ernsthaft diskutiert wie aristotelische Kunstphilosophie, eine Tonmontage aus Streichen, Klopfen, Schlagen und Reißen auf Klaviersaiten ebenso aufmerksam aufgenommen wie das Manifest von August Stramm über den Urwert des Wortes: Das XIII. Internationale Kunstgespräch 19 67, das die „Galerie nächst St. Stephan“ in Wien veranstaltete, war Forderung und Beweis, daß Kunst nicht als Denkmal vergangener Zeiten konserviert und gedankenfaul konsumiert sein will, sondern geistiger Auseinandersetzung und immer neu zu aktualisierenden Kontakts mit dem Leben bedarf.

Der uralten Frage des Verhältnisses von Kunst und Leben und Wahrheit galten nicht nur die Vorträge dieses Titels von Msgr. Otto Mauer („Kunst und Realität“) und Fridolin Wip-Unger („Das Kunstwerk als Darstellung der Wahrheit in der Sicht des Aristoteles“), sie war auch gegenwärtig in der Forumdiskussion der Architekten im Anschluß an das Referat von Herbert Muck SJ „Gibt es sakrale Architektur?“, in der Frage von Oswald Oberhuber „Österreichische Kunst — eine Illusion?“, in der Information von Manfred de la Motte über die jüngste Kunstrichtung „Mini-Art, Primary structures, ABC-Kunst“.

Für viele Zuhörer war dieser dernier cri der bildenden Kunst, der in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland schon beachtlichen Anklang und Abnehmer findet, eine Neuigkeit oder gar Sensation; die Grundidee der ABC-Kunst

— Reduktion auf Simplizität und Beschäftigung des Publikums mit den Kunstprodukten — konnte jedoch ansprechen. Oswald Oberhuber, der den Kunstbetrieb in Österreich äußerst kritisch betrachtete und der Praxis staatlicher Kunstförderung manche gute Anregung zu bieten hätte, wies der österreichischen Kunst einen ähnlichen Weg: Nach seiner Kunstauffassung würde in Zukunft nicht mehr der Einzelne Kunstwerke verfertigen, sondern in Gemeinschaften — Klubs etwa — würden sich geistig-künstlerische Ereignisse vollziehen. Die Forumsdiskussion der Architekten Holzbauer und Spalt mit Achleitner, Czech, Dimitriu, Prof. Klostermann und Msgr. Mauer entwickelte sich durch die Sachkenntnis und das Engagement der Beteiligten zu einer Zentralveranstaltung der diesjährigen Kunstgespräche. Trotz heftiger Meinungsverschiedenheiten in einzelnen Punkten herrschte Übereinstimmung darüber, daß die alte Vorstellung dieser Begriff skombination in der heutigen Zeit, in der die Theologie keinen Unterschied zwischen sakralem und profanem Weltbezug macht, nicht mehr tragbar sei; und die Mehrzahl der Teilnehmer akzeptierte wohl doch die Forderung Msgr. Mauers, daß auch dem modernen Kirchenbau ein gewisses Niveau an Spiritualität eigen sein müsse, um Kultvorgänge aufnehmen zu können.

Obwohl der Hauptakzent der Kunstgespräche in der „Galerie nächst St. Stephan“ im allgemeinen auf Malerei und Plastik zu liegen pflegt, dann Architektur einbezogen wird, Dichtung, Musik und Film folgen, war die „Rangordnung“ diesesmal nicht so deutlich. Der Grund dafür wird jedoch kaum in der Programmgestaltung zu suchen sein, als vielmehr in der heute allgemein zu beobachtenden Entwicklung, daß sich die Grenzen zwischen den einzelnen Kunstgattungen verwischen, ihre Probleme und Mittel ineinanderübergreifen: So wurde in den Diskussionen der Unterschied zwischen Plastik und Architektur in Frage gestellt und im „experimen-taltheater deutschland 1914 bis 1927“ (einer sehr guten Dokumentation von Gottfried Schlemmer, die als Schlußveranstaltung über 100 Gäste in der Galerie versammelte) neben der Beteiligung des Publikums auch die des bildenden Künstlers am Theater gefordert. Auch das Zwischenschalten eines Apparates, di: Einbeziehung der Maschine zeigte sich der Filmkunst (österreichische Erstaufführung des Stan Brakhage-Films „Songs 1 bis 25“), der Tonmontage (komponiert und vorgeführt von Anestes Logothetis) und dem Experi-mentaltheater gemeinsam. Wie überhaupt bei den Gesprächen deutlich wurde, daß die maschinelle Produktion — von Mini-Art zum Beispiel — heute nicht mehr unbedingt als Verminderung des künstlerischen Wertes empfunden und abgelehnt wird.

Wie jedes Internationale Kunstgespräch, zu dem die „Galerie nächst St. Stephan“ und ihr Leiter Msgr. Otto Mauer alljährlich Künstler, Kritiker und Interessierte laden, bot auch das diesjährige ein weitgespanntes Programm an aktuellen Themen und prinzipiellen Problemen aus allen Gebieten der Kunst, die hier nicht alle vermerkt werden könnten. Der Wert des Gespräches liegt in diesem Jahr vielleicht weniger in der Information und Diskussion, sondern

— gerade für das junge Kunstleben, das sich in dieser Galerie entfaltet — in der Rückführung dies Blickes auf Aristoteles, um mit ihm das Kunstwerk jeder Zeit als immer neue „Entbergung“, immer neuen Durchbruch des Seins zu begreifen.

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