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Wiederbegegnung von Kunst und Kult
Unter dem Titel „M orphologie der sakralen Kunst“ veranstaltete der Katholische Akademikerverband in Schloß Puchberg bei Wels, dem Bildungsheim der Diözese Linz, im Juli Tage der Diskussion mit Künstlern, Kunsthistorikern, Kritikern und Theologen. Die erste Tagung, dieser Art hatte im Sommer 1955 im Zisterzienserstift Wilhering, OOe., unter Beteiligung von Pere Capellades OP., Paris, Pater Urban Rapp OSB., Professor Georg Meistermann, Dozent Dr. Friedrich Heer u. a. stattgefunden. Sie trug den Titel: „Die moderne Kunst im sakralen Raum.“
Seit den Tagen der Impressionisten besteht, eine tiefgehende Entfremdung zwischen Kirche und zeitgenössischer Kunst, die weder durch die gutgemeinten restaurativen Ideen der Nazarener noch durch die archaisierenden Programmversuche der Beuroner Mönche überwunden werden konnte. Der Grund für diese Entfremdung liegt, wie Prof. Otto Mauer in seiner Eröffnungsrede zum Ausdruck brachte, ebensosehr auf kirchlicher Seite wie auf Seite der modernen Kunst selbst. Den zeitgenössischen Künstlern, auch wenn sie von höchstem Rang — wie zum Beispiel Cezanne — waren, wurden seit den Tagen von Dela-croix keine kirchlichen Aufträge mehr zuteil. Die Kirche besaß keine Experten mehr, sie entließ und verließ die moderne Kunstwelt und unternahm keine Anstrengung, die „verlorene“ geistig heimzuholen, wie das in jahrhundertelangen Bemühungen die antiken Kirchenväter und noch ein Thomas von Aquin bezüglich der heidnischen Philosophie getan hatten. Der Kult und seine theologischen Probleme traten in den Hintergrund, die Duldung des Kitsches und des abwegigen Volksgeschmackes stießen den Künstler ab, voreilige Verabsolutierungen historischer Stile, wie der Renaissance und des Barock, versperrten der modernen Kunst und ihren Bestrebungen den Zugang zum Kultraum als Wirkungsstätte. Die Ausschmückung überließ man schließlich den Devotionalienhändlern durch Massenfabrikationen „religiöser“ Artikel. Von einigen religiösen Impulsen abgesehen, verfiel die zeitgenössische Kunst immer mehr der Weltverliebtheit eines evolutionistischen Zeitalters, sie verlor den Zusammenhang mit den religiösen Inhalten und Themen, den Kontakt mit der gottesdienstlichen Gemeinde und ihren Anliegen und ging einseitig formal-künstlerischen Problemen nach.
Während die Tagung von Wilhering die Grundprobleme eines neu zu schaffenden Verhältnisses zwischen kirchlicher und künstlerischer Gesinnung im Lebensraum unserer Zeit aufgeworfen hatte, beschäftigten sich die Künstler und Theologen in den Puch berger Tagen mit der formalen Ausprägung des Sakralen innerhalb der kultischen Kunst.
Der erste Vortragende, Stadtpfarrer Bernhard H a n s s 1 e r, Stuttgart, analysierte bibeltheologisch Offenbarungsphänomene des Heiligen und des Dämonischen. Er beschäftigte sich ebenso mit den historischen Berichten über die großen Gotteserscheinungen des Alten Testamentes wie mit der literarischen Bildwelt, in der das Sakrale der Schrift Ausdruck findet, und gab damit ikonographische Grundlagen für die Kirchenraumkunst, Dr. Heinrich K a h 1 e f e 1 d, München, umriß, entwicklungsgeschichtlich fundiert, die Formltruktur der Messe als der zentralen christlichen Kulthandlung. Er betonte auch die primäre Rolle der Gemeinde bei der Kulthandlung, die dem Kultraum seine Funktion und durch diese Funktion seine Form gibt. In einem mit reichem.Bildmaterial illustrierten Vortrag unterschied Dozent DDr. Gerhard E g g e r funktionell bedingte Bildtypen im Kirchenraum, die durch, alle künstlerischen : Stilepochen hindurch in Erscheinung traten: das repräsentative Kultbild in unmittelbarer Nähe des Altares, das meditative oder psychisch emotional wirkende Andachtsbild und die katechetisch wirkende, historisierende biblia, pauperum.
Hochschulassistent Claus Pack ging den Beziehungen zwischen künstlerischer Form und geistiger Realität nach und vertrat im Anschluß an die Epiphanie-Theorie von James Joyce eine stark platonisch gefärbte Auffassung, ohne jedoch den Zusammenhang mit der Kunst als Weltdeutung und als Ausdruck der menschlichen Person zu verlieren. Kunst wurde als splendor veritatis, als glanzvolles Offenbarungsphänomen des Seins verstanden. Doktor Walter W a r n a c h, Köln, untersuchte die historischen Richtungen der modernen Kunst seit dem Impressionismus in einer scharfen Strukturanalyse auf ihre Verwendbarkeit im sakralen Raum hin. Am Beispiel des Impressionismus wies Warnach die ungeheure Schwierigkeit auf, eine welt-oberflächenver-haftete Kunst im kirchlichen Raum zu beheimaten. Auch im historischen Expressionismus wutden die grundsätzlichen1 Möglichkeiten eines religiösen Ausdruckes nur scheinbar wahrgenommen. Hingegen schafft die Flächenverbundenheit der „Abstrakten“ ein wichtiges Formelement für den Ausdruck im Sakralen. Sie besitzen so alle Voraussetzungen liturgischer Verwendbarkeit. Die weltliche Ikone eines Cezanne müßte ins Spirituelle erhöht werden — war abschließend die Forderung Dr. Warnachs. — Der Städteplaner und Kirchenbauer Rudolf Schwarz, Frankfurt am Main, sieht im Kirchenraum die auf die Christusoffenbarung hingeordnete Gottesschöpfung, die im Altarraum ihre Erhöhung findet. Er macht den Versuch einer Versöhnung des streng funktionalen, im Kultvollzug orientierten architektonischen Denkens und jenen symbolisch-poetischen Ideen, die seit dem Mittelalter (Durandus) bis zur Aachener Fronleichnamskirche den Kirchenbau inspirierten.
Die Diskussion wies eine Dogmatisierung von Formen und Stilen als spezifisch sakral zurück, stellte jedoch durchaus Affinitäten zu bestimmten künstlerischen Ausdrucks- und Formenwelten fest.
Diskussion ist nicht alles. Di Verwertung der auf dieser Tagung erarbeiteten Iten ist ebenso der Potenz der Künstler wie der Initiative der berufenen kirchlichen Stellen überantwortet.
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