Avantgarde in Kirche, Gesellschaft, Kunst

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Führender Ökumeniker, führender Brückenbauer zur Kunst: Eine evangelische Erinnerung an Otto Mauer.

Otto Mauer 1907-1973

Priester

Zu den Erinnerungen an das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) gehören meine Erinnerungen an führende Ökumeniker in Wien. Für die Seite der römisch-katholischen Kirche nenne ich den Pastoraltheologen Ferdinand Klostermann, für die evangelische Seite Professor Wilhelm Dantine. 1965 gründeten die beiden einen Arbeitskreis katholischer und evangelischer Theologen, dessen Mitglieder hauptsächlich aus dem Bereich der katholischen und evangelischen Fakultäten der Universität Wien kamen. In diesem Kreis war aber bald auch Otto Mauer führend tätig. Der Kreis - und damit auch Otto Mauer - kritisierte die Vorherrschaft juridischer Denkstrukturen in der Kirche, kritisierte den Hang zum Zentralismus. Der Kreis forderte eine "prophetische Kirche".

Die Organisation der Kirche sollte "von unten her" erfolgen (Aufwertung regionaler und lokaler Kirchenorganisationen). Der geforderte Prophetismus sollte sich aber mit theologischen Fachwissen verbinden. Dabei ist Theologie als selbstkritische Disziplin zu verstehen (Schlagwort "Kritik als Charisma"). Das bedeutet unter anderem, dass der alte Häresievorwurf fallen gelassen werden soll (nicht "Ketzer", sondern "Brüder"). Das Verhältnis der Religionen sollte "dialogisch" aufgearbeitet werden. Die skizzierten Argumente hat auch und gerade Otto Mauer vertreten.

Öffnungen zur Kunst

Otto Mauer ist dann als Brückenbauer zwischen zeitgenössischer Kunst und Kirchen zu verstehen. Eine solche Synthese gab es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei den französischen Dominikanern. Hier entstanden Öffnungen zu zeitgenössischer Kunst mit kirchlichen Bauwerken wie Ronchamps und La Tourette von Le Corbusier. Hier gab es, teilweise mit kirchlichen Aufträgen, die Arbeiten der Künstler Rouault, Léger, Matisse, Braque, Chagall, Manessier.

Diese Kunst gehörte zur zeitgenössischen Abstraktion und war oft als religiöse Symbolik deutbar. Solche Öffnungen zwischen zeitgenössischer Kunst und Kirchen waren auch Programm von Otto Mauer und der Galerie nächst St. Stephan.

Man darf urteilen, dass die österreichische Kunstszene damit auch ein Defizit aufarbeitete, das durch die nationalsozialistische Kunst entstanden war. Festzuhalten ist dabei gleichermaßen, dass es auf evangelischer Seite ebenfalls ein Defizit gab, wenn es um den Bezug zu zeitgenössischer Kunst ging.

Hier ein persönliches Erlebnis für das Kirche-Kunst-Verhältnis: Als ich 1964 nach Wien kam, bekam ich die Einladung von Otto Mauer im Rahmen der internationalen Kunstgespräche der Galerie nächst St. Stephan über das Thema "Kunst und Humanität. Die Betrachtung eines Theologen" zu sprechen. Der Schlusssatz des Briefes von Otto Mauer lautete: "Es freut mich sehr, dass endlich in Wien ein zweiter Theologe aufgetaucht ist, der sich mit der zeitgenössischen Kunst vom christlichen Standort aus beschäftigt".

Otto Mauers Neuorientierung führte zunächst zu Verbindungen der Galerie mit jungen Künstlern in Wien; für diese Künstler war die Galerie aber bald auch Sprungbrett über Österreich hinaus (nach Deutschland, auch nach Amerika).

Durch die Galerie wurden zunächst bekannt: Wolfgang Hollega, Josef Mikl, Markus Prachensky, Arnulf Rainer. Von Seiten der Architekten war es Hans Hollein. Weitere Künstler und Künstlerinnen der Galerie: Oswald Oberhuber, Bruno Gironcoli, Maria Lassnig, Kiki Kogelnik. Dann gab es in einer frühen Phase Kontakte zu George Mathieu und Joseph Beuys. Die Galerie hat dann in Österreich weithin unbekannte Tendenzen aufgenommen und vertreten. Beispiele: Übermalungen von Arnulf Rainer.

Gegen Skeptiker eingetreten

Otto Mauer deutete diese Kunst als "Vorhänge", die das verdecken, was unaussagbar ist; dabei ist das Unaussagbare gerade das Eigentliche. Weiter hat die Galerie in einer frühen Phase das "Informel" und den "Tachismus" vertreten. Diese Tendenzen bedeuteten eine Abkehr von geregelten Formstrukturen und eine Hinwendung zu spontanen Gesten des Künstlers. Ein Beispiel: die auf Leinwand geschleuderten Farbflecken.

Mit diesen Tendenzen wurde die Galerie zur eigentlichen Avantgarde der zeitgenössischen Kunst. Und für diese Kunst trat Otto Mauer auch in einer oft skeptisch reagierenden kirchlichen Öffentlichkeit ein.

Der Autor ist emeritierter Professor für Systematische Theologische H.B. an der Evang.-Theolog. Fakultät der Universität Wien.

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