Eine Aufgabe für die Politik

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Waren das damals noch Zeiten: als Kant Kunst schlichtweg als ästhetische Erfahrung des wahrnehmenden Individuums definieren, Hegel die Kunst in den Rang des einzigen Instrumentariums mit Anspruch auf Wahrhaftigkeit hieven und Kierkegaard unwidersprochen das Bild des leidenden Künstlers entwerfen konnte.

Heute scheint in der allgemeinen Diffusion der Begrifflichkeit auch die Kunst als Begriff an Relevanz zu verlieren. Kunst, so scheint es, ist alles, was von sich aus den Anspruch erhebt, Kunst zu sein, Künstler ist jeder, der von sich behauptet, mit dieser "sakralen Passion" ausgestattet zu sein, unabhängig vom Output seines Schaffens.

Dabei ist die Frage angesichts des Automationsprozesses, der zahlreiche Bereiche der Kunst mittlerweile prägt, brennender denn je: Gibt es gewisse Ansprüche, die ein Kunstwerk erfüllen muss, um als Kunstwerk zu gelten?

Nein, zumindest nicht im Sinne tradierter Vorstellungen über Kunst, wohl aber im Sinne eines gesellschaftlichen Konsenses über das, was das Wesen von Kunst ausmacht. Das schließlich ist auch der Schlüssel zu einer gültigen Definition von Kunst: Kunst kommt nicht zwingenderweise von Können, vielmehr ist Kunst das, was die Gesellschaft als Kunst definiert - nicht mehr und nicht weniger. Vorbei sind die Zeiten, in denen Kunst in den Rang einer Ersatzreligion erhoben wurde, vorbei sind glücklicherweise auch die Zeiten, in denen Kunst zu gefallen hatte, vorbei sind wohl auch die Zeiten in denen ein bisschen Weltschmerz genügte, um als Künstler anerkannt zu werden.

Kunst im 21. Jahrhundert ist in erster Linie ein kommerzieller Faktor, ist ein Konsumgut wie viele andere auch, wird instrumentalisiert und lässt sich hofieren, gefällt und missfällt, kritisiert und biedert sich an, wird kritisiert und bejubelt. Selten allerdings sind die Momente geworden, in denen Kunst zu provozieren vermag. Ein Schlingensief, eine Jelinek, ein Nitsch sind bürgerlich geworden, "Skandale" werden im Regelfall nur mehr inszeniert. Immerhin hilft die Vorstellung, es gebe noch gesellschaftliche Skandale, beiden Seiten - den Künstlern dabei ihre Arbeiten zu verkaufen, den Gegnern dabei sich als sittengestrenge Wächter nicht mehr vorhandener gesellschaftlicher Normen zu positionieren. Echte Kunst-Skandale werden wir wohl nicht mehr erleben.

Schade ist das deshalb, da es eine der wesentlichen Aufgaben von Kunst seit jeher war, zu provozieren, zu verstören, gesellschaftliche Tabus zu thematisieren, Grenzen zu überschreiten. Kunst muss auch heute noch der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten, der Künstler muss die Courage haben, um auch gegen die Meinung der Mehrheit seiner Mitmenschen seiner Haltung Ausdruck zu verleihen.

Dafür, dass er das kann, muss der Staat die Rahmenbedingungen schaffen. Ob die derzeitige Form der Kunstförderung der richtige Weg ist, darf angezweifelt werden. Eine Abhängigkeit des Künstlers von finanziellen Mitteln des Staates ist zurecht in keinem demokratischen System erwünscht, andererseits ist es wohl wenig zielführend, den Markt über das entscheiden zu lassen, was Kunst ist und was nicht. Eine Art "Grundsicherung" für Künstler wäre wohl ein Weg aus dem Dilemma, wobei kein Weg an gewissen Normen für die Definition dessen, was einen Künstler ausmacht, vorbeiführt. Provokation als einziges und entscheidendes Kriterium wird wohl zu wenig sein.

Als Minimalstandard kann dennoch gelten, dass Kunst Neues schafft und in diesem Sinne wohl auch den Motor für gesellschaftliche Veränderungen darstellt. Ein Beispiel dafür ist die 68er-Bewegung. Selbst wenn man die verklärt romantisch-revolutionäre Sicht der Beteiligten außer Acht lässt, bleibt doch unterm Strich das Faktum bestehen, dass die 60er- Jahre eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung zur Folge hatten, einer bürgerlich-konservativen Gesellschaft ein liberal-sozialistisches Modell gegenüber stellten.

Man mag nun inhaltlich dazu stehen, wie man will, der Paradigmenwechsel wirkt bis in die Gegenwart. Getragen wurden diese Veränderungen wie nie zuvor von einer kulturellen und künstlerischen Revolution, die aber ohne Auswirkungen gewesen wäre, wenn sie lediglich auf die Kunstszene beschränkt geblieben wäre.

Und das ist schließlich der Punkt: Kunst kann nur gesellschaftliche Relevanz entwickeln, wenn sie von einer gewissen Anzahl an Menschen in ausreichendem Maße wahrgenommen wird. Damit schließt sich der Kreis: Kunst ist und bleibt in erster Linie ein Phänomen der Kommunikation. Sie kann bewusst oder unbewusst provozieren, bewusst oder unbewusst Aufmerksamkeit erregen, bewusst oder unbewusst gesellschaftliche Veränderungen erwirken, bewusst oder unbewusst kommerziell sein. Was Kunst nicht zwingenderweise können muss, ist sich selbst zu erhalten. Aus diesem Grund kann Kunst nur das sein, was gesellschaftlich als solche anerkannt wird. Und genau das ist das Problem: Folgt man Boris Groys, erkennt die Gesellschaft Kultur und Kunst nur als Archive an, als Mittel zur Bewahrung der Tradition. Selbst Neues muss dabei dem Anspruch folgen, Vergangenes in musealisierter Form zu erhalten.

Folglich ist auch das Phänomen erklärbar, dass von den Zeitgenossen verachtete Kunst Jahrzehnte später als viel beachtete Kunst den Weg zurück in die Öffentlichkeit fand, dass "große Künstler" Zeit ihres Lebens arm und verkannt dahin vegetierten, dass "große Künstler" ihrer Zeit heute vergessen, aus dem kulturellen Archiv verschwunden sind.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass es in einer Demokratie Aufgabe der Politik ist, Kunst unabhängig von ihrer Aussage, von ihrem Auftreten, von ihren Inhalten, von ihren Protagonisten und ihrer gesellschaftlich relevanten Position zu ermöglichen.

Ob diesem Postulat nun mit Förderungen, mit Kultur-Sponsoring, mit einem "freien" Kunstmarkt oder mit Steuerfreiheit für Künstler Rechnung getragen wird, soll zweitrangig sein.

5. Platz: Daniel Lohninger Geboren 1974 in Linz. Schulbesuch in Gmünd , Niederösterreich (Matura 1993), seit 2000 ständiger Wohnsitz in Wien-Währing. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in einer Fächerkombination mit Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Wien. Thema der Diplomarbeit: "Wahlen und regionale Medienlogik" über die politische Bedeutung regionaler Zeitungen am Beispiel der Niederösterreichischen Nachrichten". Nach dem Magisterium Beginn einer Dissertation zum Thema Neutralität. Mitarbeiter der Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN) und der Kultur-Zeitschrift "Live" sowie Mitbegründer der grenzüberschreitenden Jugendzeitschrift "Echo-time".

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