"Es wurde neu verteilt"

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"Presse"-Kulturchef Hans Haider und IG-Autoren-Geschäftsführer Gerhard Ruis im Furche-Streitgespräch über die Kulturpolitik der Regierung, über Kunst- und Filmförderung und ein eigenes Kunstministerium.

Die Furche: Viele Künstler und Autoren sind von Anfang an gegen Schwarz-Blau Sturm gelaufen. Wie sieht die Bilanz nach drei Jahren aus?

Gerhard Ruis: Grund für den Protest war, dass eine gesellschaftliche Klimaveränderung befürchtet wurde, dass es Probleme mit der Meinungsfreiheit, mit der Medienpluralität oder in den Infrastrukturen geben könnte, die der Kunst zur Verfügung stehen. Das waren die Auseinandersetzungen über den ganzen Zeitraum dieser letzten Regierung - mit keiner wirklich befriedigenden Bilanz.

Die Furche: Sind die Befürchtungen eingetroffen? Wurden Subventionen politisch reglementiert?

Ruis: Es wurde neu verteilt. Das wird ja auch im neuen Parteiprogramm der ÖVP so ausgedrückt: Umverteilung von den Strukturen auf die Individualförderungen.

Die Furche: Herr Haider, wie sieht Ihre Bilanz aus? Ist es besser geworden in den letzten drei Jahren?

Hans Haider: Ich glaube, dass das Angebot quantitativ so groß ist wie nie, und es ist tatsächlich in den letzten Jahren explodiert. Das ist vielleicht langfristig die große Frage: Wie weit künstlerisches Schaffen noch Akzeptanz findet. Ich erinnere daran, dass im Museum moderner Kunst - soeben in einen Neubau im Museumsquartier übersiedelt - nur fünf Prozent ausgestellt sind. Alles andere liegt in den Depots. Man tut gut daran, es nicht zu verkaufen, denn sonst ist der Kunstmarkt kaputt. Es gibt allein im Museum für Moderne Kunst Material für etwa 6.000 Quadratmeter Installationen. Ich glaube, da ist man an einer Grenze angelangt, womit man die Öffentlichkeit noch befassen kann. Man wird sich irgendwann einmal überlegen müssen, wie man Produkte der Kunst pietätvoll entsorgt.

Die Furche: Haben die letzten drei Jahre unter der ÖVP-FPÖ-Regierung da Entscheidendes verändert?

Haider: Überhaupt nicht. Es sind die Museen in dieser Zeit abgekoppelt worden von der Kameralistik, was jedem einzelnen Direktor und Museumskurator wahrscheinlich einen größeren Freiraum aufgetan hat. Man kann als Museumsmensch besser planen, man kann windschnittiger fahren. Was Marketing anlangt - das haben die Museen auch erst langsam entdecken müssen - kann man sich mit den privaten Veranstaltern besser auf Marktkämpfe einlassen.

Ruis: Entscheidend wäre, dass die Kunst dorthin kommt, wofür sie auch gemeint ist, um innerhalb der Gesellschaft zu wirken, Akzeptanz oder Nicht-Akzeptanz zu finden. Da sehe ich vollkommen andere Voraussetzungen als etwa noch in den achtziger Jahren. Wenn ich mir die Entwicklung insbesondere der elektronischen Medien ansehe, dann weiß ich: diese Medien haben mit der ursprünglichen Vorstellung von Bildungsmedien nichts mehr gemein. Darin existiert Kunst nicht mehr. Wenn diese großen Instanzen, die ja von der Politik bewegt werden können, darauf verzichten können, mit Kunst überhaupt umzugehen, dann werden wir mit diesem Problem nicht fertig werden. Und ich glaube, wir werden auch deshalb nicht damit fertig, weil alle Kulturpolitik der neunziger Jahre ausschließlich in der Fortschreibung eines Status quo oder einer Weiterverwaltung besteht, mit der einen oder anderen Nuancierung, aber niemals mit einem generelleren Anspruch, eine Situation vollkommen neu anzudenken und sich Perspektiven zu überlegen. Einen Ausdruck hat es sicher auch darin, dass man 1997 die Kunst plötzlich zu einer "Chefsache" degradieren konnte. Und alles soll inzwischen der Markt, die heilige Kuh, regeln - das ist letztlich auch eine Bankrotterklärung der Politik. Die Politik ist aber dazu da, dass sie im Dienst der Allgemeinheit etwas leistet und nicht dem Markt Dinge zuliefert oder vom Markt Dinge erwartet, die er gar nicht leisten kann. Er kann vor allem etwas nicht leisten: Geld auszugeben für Infrastrukturierungen.

Haider: Der Markt hat sicher an Bedeutung gewonnen. Man sieht das international in Berlin, wo in den letzten zehn Jahren das weggefallen ist, was einmal an politischem Geld links und rechts der Mauer investiert wurde. Jetzt regiert der Markt und es ist vieles weggebrochen. Trotzdem ist Berlin eine relativ lebendige, interessante Stadt geworden. Es hat sich eben eine andere Szene entwickelt. Und wenn flankierende Maßnahmen da sind - und die sind bei uns in einem erstaunlich hohen Maß da - dann: keine Angst!

Die Furche: Heißt das, ein Kulturministerium ist überflüssig?

Haider: Grün und Rot fordern ein Kulturministerium - ein völliger Anachronismus jetzt, wo die Bundestheater und die Museen ausgelagert sind aus den Ministerien und an Bundeskompetenz eigentlich nur mehr die Bundeskunstförderung da ist. Dazu brauche ich keinen Minister.

Ruis: Das ist kein Anachronismus, sondern eine längst überfällige Maßnahme! Die Idee ist ja nicht, einer Kunstsektion ein Ministerium aufzusetzen, sondern eine sehr merkwürdige Trennung in Österreich aufzuheben: die Trennung in die Kunstagenden, die beim Bundeskanzler ressortieren, und in die Kultur- und Bildungsagenden, die im Bildungsministerium ressortieren; Medien ressortieren wieder beim Bundeskanzler, die Auslandskultur beim Außenministerium. Mittlerweile ist die Position des Kunststaatssekretärs die eines obersten Verwalters.

Haider: Ich bewundere die Hoffnungen, tatsächlich gravierende Probleme mit derart formalistischen Vorkehrungen lösen zu können. Das Problem geht zurück in die Entwicklung, die Fortschritte und Legitimationskrisen der Sozialdemokratie. Je mehr sich die Sozialdemokratie als eine Kulturpartei profilieren wollte, desto mehr hat sie die sozial Schwachen vergessen und auch verprellt. Nicht zufällig gab es diese Wanderbewegung von der SPÖ zur FPÖ. Mitte der neunziger Jahre hat die Sozialdemokratie gedacht, sie kann mit den staatlichen Banken, mit Kunst-, Kultur- und Medienbetrieb herrschen. Indem diese Politik immer inhaltsleerer geworden ist, hat sie dieses Vehikel Kunst und Kultur immer mehr zum Instrumentarium für Machterhalt, sprich zur Abwehr und Ausgrenzung von politischen Gegnern benutzt. Und da hat sie natürlich in der FPÖ einen wunderbaren Feind gefunden. Die FPÖ hat nur dieses Match zunächst einmal gewonnen - siehe die Wahlergebnisse von 1999. Die Alternative ist eigentlich, Kunst und Kultur nicht als tagespolitisches Machtmittel zu instrumentalisieren. Das haben die Leute, die im Februar 2000 aus allen Wolken gefallen sind, bis heute nicht begriffen, dass das kein Zukunftsmodell ist.

Ruis: Was am meisten fehlt, ist ein völlig neuer Aufbruch, der vieles grundsätzlicher andenkt als bisher. Ich glaube, dass auch die Verwaltungsfrage so wichtig ist, denn die größte Schwäche des Kunstsekretariates seit 1997 war die, dass es keinerlei Durchsetzungsmöglichkeit in Fragen gab, die für uns von existenzieller Bedeutung sind: Wie entwickeln sich Sozialrecht, Steuerrecht und Urheberrechte ?

Haider: Aber es gab doch das Künstlersozialversicherungsgesetz.

Ruis: Das ist der erste Schritt, aber nicht mehr. Und es kann auch nicht mehr sein, denn dort endet die Kompetenz des Kunststaatssekretärs. Er kann natürlich einen Förderungsfonds erwirken, aber er kann nichts tun, um irgendetwas im ASVG oder in der Neuen Selbständigen-Regelung zugunsten der Künstlerinnen und Künstler zu verändern.

Die Furche: Besondere Kontroversen und Einschnitte hat es in der Filmförderung gegeben. Was müsste eine künftige Kulturpolitik für den österreichischen Film tun?

Ruis: Im Grunde genommen wirtschaftlich handeln. Überall anders wird der Film auch als kommerzieller Kinofilm begriffen, und dass das ein enormer Wirtschaftszweig sein kann. In Österreich wird nicht einmal im Sog internationaler Erfolge versucht, so etwas wie Filmwirtschaftsstrukturen zu stimulieren oder aufbauen zu helfen.

Haider: Wenn ich denke, was in Österreich an reformistischem Eifer und an Geld in die Filmförderung seit etwa 1985 investiert wurde, an neu gegründete Festivals wie die Diagonale oder an die Förderung für Auslandsauftritte, erschreckt mich dieser Negativbefund.

Ruis: Weniger öffentliche Mittel, keine gesetzlichen Maßnahmen - wie soll der Befund anders ausfallen?

Haider: Ich kann nur sagen, es gibt internationale Kooperationsmodell über die EU, wo mir Fachleute sagen, da sind die Österreicher einfach ein bisserl zu patschert, da sind andere schneller - dass man es nur über das alte Verlustabschreibungsmodell unterbringt, wird, glaube ich, nicht mehr gehen.

Ruis: Wenn ich auch von dieser Regierung gehört habe, es gehe vor allem um das Schaffen von Rahmenbedingungen - da ist natürlich Politik besonders gefordert, insbesondere wenn sich der Markt immer aggressiver entwickelt. Als wir gemeinsam mit den Buchhandelsverbänden Mitte der neunziger Jahre begonnen haben, uns für die Beibehaltung des festen Ladenpreises zu engagieren, hat uns niemand Chancen gegeben. Heute gibt es in Österreich - und auch in Deutschland mittlerweile - eine gesetzliche feste Ladenpreisbindung. Aus einer aussichtslosen Position dieser nicht so wahrgenommenen Minderheitsinteressen ist es gelungen, die große EU-Wettbewerbsdirektion über viele Jahre zu überzeugen, dass es sehr wohl Sinn haben kann, in kulturellen Bereichen andere Regulative vorzusehen als im Kohlenhandel.

Das Gespräch moderierte Cornelius Hell.

Die Furche: Wir haben gerade die Kontroverse über die Nestroy-Preisverleihung hinter uns. War das, was Andre Heller gemacht hat, Missbrauch von Kunst zu Wahlkampfzwecken oder die legitime Äußerung eines Künstlers zur Politik?

Haider: Ich halte diesen Nestroypreis überhaupt für eine verunglückte Sache - eine schleißige Kopie der Fernseh-Romys noch einmal auf dem Theaterfeld unter dem Namen Nestroy zu organisieren, bedeutet für mich eine Schändung.

Ruis: Dem ist nichts hinzuzufügen. Bei den Reaktionen hat mich aber überrascht, wie wenig politische Souveränität existiert. Da stellt sich dann von der künstlerischen Perspektive her schon die Frage der Botmäßigkeit oder Unbotmäßigkeit vom Äußerungen, denn man könnte diese Äußerungen wie immer qualifizieren, aber hier ging es plötzlich um die Frage des Rechts dazu oder des Unrechts, in das sich jemand mit diesem Äußerungen setzen kann, und das geht dann doch zu weit.

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