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Oskar Kokoschka

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Die „Neue Galerie“ in Linz hat mit ihrer Kokoschka-Ausstellung allen anderen Galerien unseres Landes, staatlichen und privaten, einen Vorsprung abgewonnen, der sich schwer wird einholen lassen; ihr weiteres Ausstellungsprogramm' — auf dem unter anderem die Namen von Redon und Ensor 6tehen — läßt erwarten, daß sich dieser Vorsprung eher noch vergrößern wird. Es scheint, als ob über kurz oder lang derartige Austeilungsensationen nur mehr in Linz zu erwarten 6eien ...

Damit soll nicht gesagt sein, daß die Kokosdika-Exposition eine Sensation oder auch nur vollkommen wäre. Dazu haben in ihr die Druckgraphiken des großen Malers zu breiten, die Ölbilder und Aquarelle zu geringen Raum; auch ist leider von den Arbeiten der letzten zehn Jahre, auf die man aus mancherlei Gründen besonders neugierig ist, nicht viel zu sehen. Aber immerhin: die erete umfangreiche Kokoschka-Ausstellung seit länger, langer Zeit kaan jetzt in Linz besichtigt

werden. Und wenigstens über das graphische Werk Kokoschkas gibt sie nahezu lückenlose Auskunft: die „Träumenden Knaben“, da6 „Konzert“, die berühmten Illustrationen zu expressionistischen Dichtungen, die frühen, nodi stark an Schiele erinnernden Akte, die erregten Strichgewirre und die schweren Hell-Dunkel-Zeichnungen der mittleren und die looker andeutenden Arbeiten der jetzigen Sdiaffensphase — das ist alles vorhanden.

Dieses Schaffen unterliegt einem gleichsam ohne Ubersetzung die Hand des Malers oder Zeichners zur Bewegung zwingenden künstlerischen Genius, dessen Impetuosität in der Geschichte der Malerei nahezu ohne Beispiel i6t. Kaum ein anderes Oeuvre ist für den Kunsthistoriker oder -kritiker so schwer zu analysieren wie dieses: die Unmittelbarkeit, mit der die blitzschnell auftauchende Vorstellung des Malers in die Zeichnung oder Farbe übertragen wird, läßt keine Lüoke offen, aus der ein Kritiker die Schürfprobe entnehmen

könnte. Wo keine Spuren einer intellektuellen Konstruktion vorhanden 6ind — und deren Fehlen unterscheidet Kokoschka von allen anderen modernen Künstlern —, läßt 6ich der Aufbau und die Entstehung des Werkes nicht erfassen, sondern nur dieses selbst. Sicherlich ist hier die Ursache dafür zu finden, daß manche in ihrem Urteil 6onst sehr zuverlässige Kunstkenner den Werken de6 großen Österreichers ein wenig ratlos und in Unbehagen gegenüberstehen: der nicht mehr naive Betrachter wird angesichts solcher Bilder nicht in eine geistige oder auch nur intellektuelle Auseinandersetzung gezogen, wie sie sich gewöhnlich zwischen ihm und dem modernen Bild zu entspinnen pflegt — wenn beide nämlich gut und klug sind. Hier steht r vor Taten der künstlerischen Leidenschaftlichkeit, hier hört er Anrufe, Schreie, Befehle. Ihnen mag er sich entziehen oder nachgeben. (In Parenthese 6ei vermerkt, daß diese für Kokoschka so charakteristische Unmittelbarkeit gelegentlichen Fehlgriffen nicht entgeht, wofür das Bildnis des österreichischen Bundespräsidenten den Beweis liefern möge.)

Die Kunst Kokoschkas ist in Wurzel und Blüte österreichisch; dies auszuführen und zu beweisen, ist nicht mehr nötig; er selbst hat aus seiner Verpflichtung an Romako oder Schiele nie ein Hehl gemacht und die Verwandtschaft zwischen seinem persönlichen Stil und dem der österreichischen Barockmaler Ist nkht von Kunstfeuilletonisten erfunden worden, sondern mit Händen zu greifen. Doch ist Kokochschka wohl der erste Maler, der diesen österreichisch-expressiven Stil zur Weltgeltung geführt hat.

Freilich dürfte heute auch hierzulande keiner mehr die unerhörte künstlerische Potenz Kokoschkas in Frage stellen wollen. Vor dreißig Jahren hat man ihm Schimpf und Schande angetan. Heute wird die Ausstellung der .Neuen Galerie* selbst von solchen akkla-miert, die in ihrer Jugend noch am liebsten mit dem Messer in der Hand auf ein Koko6chka-Bild losgegangen wären. Seltsam, wie sich die Zeiten ändern und die Meinung über Kunst und Künstler mit ihnen! Nun gut; da die Ressentiments gegen Kokoschka verstummt sind, hoffen wir, daß das neue Kokoschka-Sentiment stark genug sein wird, um den Plan eines Salzburger Sommerseminars, das er nebst anderen Größen der europäischen Gegenwartsmalerei leiten soll, in die Wirklichkeit umsetzen zu helfen. Hier wäre

endlich Gelegenheit, mit einem Schlag die bedauerliche Übung, österreichische Maler in Osterreich zu negieren und nur im Ausland erfolgreich werden zu lassen, mit einem Schlage zu beseitigen.

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