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Propheten und Buffonerien

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Mit zyklopischen Meißelschlägen bahnt sich Alfred Hrdlicka seinen eigenen Weg durch eine Welt der technischen Perfektion, der Abstraktion und des allbeherrschenden Intellekts, setzt dem Computer kolossale Male der Phys-is entgegen. Auch als Graphiker braucht er Material, das rein vom Handwerklichen seine Kräfte herausfordert. Die Salzburger Galerie Welz zeigt zur Zeit 120 Arbeiten des Künstlers, der innerhalb weniger Jahre, im Raketentempo, in die internationale Spitzenklasse aufstieg. Die Kupferplatte wird zum Jahrmarkt des Abgründigen, Hrdlicka ätzt eine Giftblütenlese aus dem Pitaval ins Metall, reiht auf einem Blatt Einzelbilder aneinander, wie auf einer Bänkelsängertafel, Szenenfetzen, durchsetzt und durchwuchert von obenhin gestrichelten Skizzen, aus dem schwarzen Grund herausgeschabten Schemen und Visionen. Altmeisterlich dichte Strichlagen verschatten die Kompositionen, die Radiernadel wühlt Busen, Schenkel, grinsende Visagen aus der Düsternis.

Das Erlebnis des Körperlichen, wüst

Fleischlichen dominiert, wie fast immer bei Hrdlicka literarisch oder von der Moritat, vom Illus-Knüller inspiriert und zyklisch angelegt: causes celebres, crtaies passionelles, wie der Fall der amerikanischen Giftmischerin Martha Beck, die Untaten des päderastischen Massenmörders Haarmann in Hannover um 1925, oder der grausige Tod des Johann Joachim Winckeimann, jener große wahre Krimi aus der Goethe-Zeit. Dirnen treiben mit Gerippen erotischen Schabernak und klapprigen Sexspuk. Hrdlickas Variation auf die „Nachtwache“ erweist, wie die in Schabtechnik und Aquatinta entstandenen Blätter, eine intensive Beschäftigung mit der Graphik Rem-brandts, welche dem Wiener entscheidende neue Impulse brachte. Grimmige Ironie enthüllt Dumpfheit und Gier, durchstößt die Hüllen des Banalen, erspart dem Beschauer nichts an menschlicher Gemeinheit und Abwegigkeit. Das ist Hrdlickas persönlichste Sicht. Die Radiernadel wird zur Sonde im Existentiellen. , An die vor zwei Jahren gezeigte Käthe-Kollwitz-Schau schließt sinngemäß die Ausstellung von Graphiken und Kleinplastiken Ernst Barlachs (1870 bis 1938) im Mirabell-pavillon an. So bietet sich am Rand des großen seichten Touristenstromes ein Ruhepunkt der Vertiefung, zwei Räume fassen leicht die kleine aber kennzeichnende Auswahl an Meisterwerken figuraler Darstellung. In Haltung und Duktus von Barlachs Gestalten, in dieser spannungsgeladenen, expressiven Gebärdensprache der Propheten und Gottsucher wird die innere Verwandtschaft mit dem Ausdruckstanz deutlich, der während jener Epoche seine Ausprägung erfuhr. Barlachs Kunst ist die Kunst

eines Einsamen, ein deutscher Denker schrieb seine Bildzeichen von den Tugenden und Dürftigkeiten des Menschentums in den Sturm. In den lithographierten Illustrationen zu seinem eigenen Drama „Der arme Vetter“ klingt noch das Rußlanderleb-nis nach, aus der versonnenen Schwerblütigkeit erwachsen in kraftvoller Strichführung und Schraffur ein hintersinniger bäuerlich-praller Humor und erzählerische Lebendigkeit. In typischem Gegensatz dazu etwa die ganz in statuarischer Ruhe gesammelte Komposition „Paar im Gespräch“, ein besonders schönes Blatt. Ebenso typisch die wenigen mini-monumentalen Bronzen.

Die Internationale Sommer akademie zeigt im Austeltunffsraum der Residenz Schülerarbeiten: neben originellen Experimenten in verschiedenen Techniken und gipserner Schaumschlägerei Oeine geplatzte und mit Draht verzurrte blaue Riesenkugel) fällt das ruhige zielstrebige formale Bemühen in den Aquarellstudien des Seminars für Figurale Malerei auf (Prof. Rudolf Szyszko-witz), das am meisten den Traditio-

nen von Kokoschkas „Schule des Sehens“ verpflichtet ist Im Zw er gl-gartenpavillon werden die interessanten Planzeichnungen des Seminars für Städtebauliche Architektur (J. B. Bakema, Rotterdam) von der konfusen Masse der Collagen, Farbexplosionen und Objekt-Arrangements des eruptiven venezianischen Tausendsassas Emilio Vedova fast überrollt. Vedova, eines der Lieblingskinder der internationalen Kul-turschmockeska, zieht unter dem mundgerechten Schlagwort „Plu-rimi“, wie könnte es anders sein, eine linksgedrallte zeitkritische Show ab.

Der Beitrag des Salzburger Künstlerhauses; eine Retrospektive der 1918 gegründeten Gruppe „Der Wassermann“ mit Werken von Anton Faistauer, Paris Gütersloh, Egon Schiele, Alfred Kubin und Anton Kolig, dessen Entwurf für einen Vorhang des Festspielhauses durch seine Farbigkeit besticht, aber nicht frei von Kitschelementen ist.

Die Max-Reinhardt-Forschunosund Gedenkstätte, deren Sitz nunmehr das Schloß Arenberg am Hang des Kapuzinerberges ist entfaltet im noblen einstigen Bibliothekssaal Hermann Bahrs unter der Devise „Max Reinhardt und das Musiktheater“ eine sehr gut gestaltete Dokumentation der Buffonerien des Bühnenmagiers von der Premiereninszenierung des „Rbsenkavaliers“ in Dresden bis zu der unvergessenen Berliner Fassung von „Hoffmanns Erzählungen“. Kenner und Liebhaber des skenographischen Esprit seien auf die Zeichnungen Ernst Sterns hingewiesen. Es ist immer wieder vergnüglich, sie anzusehen.

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